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# taz.de -- Parlamentswahl in Georgien: Das wird traumhaft
> Am Samstag wird in der Republik im Südkaukasus das Parlament neu gewählt.
> Die Partei „Georgischer Traum“ könnte wieder stärkste Kraft werden.
Bild: Schon den Jüngsten wird die Liebe zur georgischen Nation eingeimpft – …
TIFLIS taz | Politiker, die in Talkshows nicht nur mit Worten übereinander
herfallen, Anhänger rivalisierender Parteien, die sich gegenseitig
krankenhausreif prügeln. Und ein Autobombenanschlag auf einen Abgeordneten
der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) in der Hauptstadt
Tiflis am vergangenen Dienstag: Vor den Parlamentswahlen in der
Südkaukasusrepublik Georgien konnte von einer ruhigen Wahlkampagne keine
Rede mehr sein.
Vor allem einer gießt – mal wieder – reichlich Öl ins Feuer: Georgiens
Expräsident Michail Saakaschwili, derzeit in der Ukraine als Gouverneur des
Gebiets Odessa tätig. Er sei von dem Sieg seiner Partei ENM überzeugt und
werde nach Georgien zurückkommen, um an der Bildung einer Regierung
mitzuwirken, tönte er auf Facebook.
Saakaschwili, gegen den in Georgien ein Strafverfahren wegen
Amtsmissbrauchs läuft, und seine ENM mussten sich bei den Wahlen vor vier
Jahren der Partei „Georgischer Traum“ des Milliardärs Bidzina Ivanischwili
geschlagen geben. Glaubt man den Umfragen, die jedoch je nach Auftraggeber
zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen, kann der „Traum“ auch am
Sonntag wieder mit einer Mehrheit der 150 Sitze rechnen. 77 davon werden
über Listen, 73 als Direktmandate vergeben.
Fraglich jedoch ist, ob es reicht, um erneut allein zu regieren. Insgesamt
treten 6 Wahlbündnisse und 19 Parteien an, von denen vier bis fünf die
Fünfprozenthürde überspringen könnten – darunter auch das prorussische
Bündnis „Industrielle – Unser Heimatland“.
## Fortschritte im Kampf gegen Korruption
Für den Historiker Giorgi Kanaschwili wären eine Koalitionsregierung oder
ein „buntes“ Parlament mit mehreren Parteien „besser für die Demokratie …
Georgien“, auch wenn es längerer Aushandlungsprozesse bedürfe. Auch
ansonsten habe der „Traum“ nach vier Jahren an der Regierung einiges
vorzuweisen. Zwar gebe es noch Repressionen, die hätten jedoch keinen
systematischen Charakter mehr.
2012 hatten Foltervideos aus Gefängnissen, die kurz vor den Wahlen
veröffentlicht worden waren, die Bevölkerung in einen Schockzustand
versetzt und ihren Teil zum Wahlausgang beigetragen. „Die Staatsgewalten
sind unabhängiger voneinander geworden. Checks und Balances gab es unter
Saakaschwili nicht, alles war ihm untergeordnet“, sagt Kanaschwili.
Dennoch liegt noch so einiges im Argen. Der georgische Ableger von
Transparency International kommt in seinem jüngsten Bericht zu dem
Ergebnis, dass im Kampf gegen Korruption Fortschritte zu verzeichnen seien.
So liege beispielsweise die Anzahl der Bürger, die im vergangenen Jahr
Schmiergeld gezahlt hätten, gerade mal bei einem Prozent. „Aber nach wie
vor haben wir keine effektiven Mechanismen, um gegen Korruption in der
Elite vorzugehen“, heißt es in dem Bericht.
Namentlich genannt wird in diesem Zusammenhang Bidzina Ivanischwili. Der
räumte zwar im November 2013 wie angekündigt freiwillig den Posten des
Regierungschefs. Dennoch ist es ein offenes Geheimnis, dass Bidzina, wie
ihn seine Landsleute nennen, immer noch den politischen Kurs vorgibt.
Auch wirtschaftlich kommt das Land mit knapp vier Millionen Einwohnern, das
2014 mit der Europäischen Union ein Assoziierungsabkommen unterzeichnete,
nicht so recht auf die Beine. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Zeitraum 2012
bis 2015 kontinuierlich geschrumpft. In manchen Branchen liegt die
Arbeitslosigkeit bei bis zu 50 Prozent.
## „Borderization“ an der Grenze zu Südossetien
Auch die ungelösten Territorialkonflikte um die beiden abtrünnigen Regionen
Abchasien und Südossetien fördern nicht gerade eine zügige Entwicklung.
Rund um das international nicht anerkannte Südossetien, das von Georgien
aus nicht zugänglich ist und wo seit dem georgisch-russischen Krieg 2008
russisches Militär stationiert ist, bluten ganze Landstriche aus. Immer
wieder kommt es vor, dass Bauern, die beim Versuch ihr Vieh einzufangen die
Demarkationslinie übertreten, festgenommen und mit Geldstrafen belegt
werden.
Meraba Mekrabischwili lebt in dem Dorf Dwani, fast direkt neben dem
Schlagbaum und dem Schild „Republik Südossetien“. Der 54-Jährige baut
gerade an einem neuen Haus. Sein altes ist ihm vor sechs Jahren durch einen
vorsätzlich gelegten Brand abhanden gekommen, weil es auf Gebiet stand,
dass die Südosseten plötzlich für sich beanspruchten. „Borderization“ he…
dieses Phänomen – eine vornehme Umschreibung für den Umstand, dass sich die
„Grenze“ immer weiter auf georgisches Territorium vorschiebt. Eine Mission
der EU, die dort seit 2008 patrouilliert, kann die schleichende Entwicklung
lediglich dokumentieren.
Mekrabischwili ist auf alles vorbereitet. Was, wenn die Grenze wieder
weiter wandert? „Dann baue ich eben wieder ein Haus“, sagt er. Am Sonntag
will er wählen gehen – wen, sagt er nicht. Aber ein wenig träumerisch sieht
er dabei schon aus.
8 Oct 2016
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Georgien
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