# taz.de -- Ökonom über höhere Steuern: „Polster für die nächste Krise a… | |
> Der Staat kommt nicht mit weniger Geld aus, so Stefan Bach vom DIW. Er | |
> empfiehlt eine Entlastung der Mittelschicht – und höhere Steuern für | |
> Reiche. | |
Bild: Wie viel vom Gehalt in der eigenen Tasche landet, ist auch von den Steuer… | |
taz: Herr Bach, der wichtigste Satz Ihres neuen Buches „Unsere Steuern“ | |
steht auf der letzten Seite: „Die Steuern werden in den kommenden | |
Jahrzehnten nicht sinken können, sondern wohl eher steigen müssen.“ Warum | |
das? | |
Stefan Bach: Wie uns die Krise seit 2008 zeigt, funktioniert der moderne | |
Finanzmarktkapitalismus doch nicht so gut. Die Staaten mussten mit | |
Hunderten Milliarden Euro ran, um das Schlimmste zu verhüten. Ohne | |
ausreichende Steuereinnahmen geht das nicht. Daher können die Steuern nicht | |
so sinken, wie manche Leute das in den neoliberalen Nullerjahren hofften. | |
Sie rechnen mit weiteren Finanzkrisen? | |
Man muss sie einkalkulieren. Und auch die Kosten der Alterung unserer | |
Gesellschaft dürfen wir nicht vergessen. Um beispielsweise die Renten der | |
geburtenstarken Jahrgänge zu finanzieren, brauchen wir mehr Steuergeld als | |
heute, nicht weniger. | |
Mit der Forderung nach höheren Steuern widersprechen Sie einer verbreiteten | |
Stimmung. Bereits jetzt kündigt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) | |
Entlastungen im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 an. | |
Deutschland ist momentan in der seltenen wie glücklichen Lage, | |
Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Unser Steuerstaat hat derzeit jährlich 15 | |
bis 20 Milliarden Euro mehr in der Kasse, als er ausgibt. Senkt man jetzt | |
die Steuern, können die öffentlichen Budgets aber schnell wieder in die | |
roten Zahlen rutschen. Wir sollten auch in die Zukunft investieren und | |
Polster für die nächste Krise anlegen. | |
In Ihrem Buch setzen Sie sich mit diversen Mythen auseinander, die über die | |
Steuern im Umlauf sind. Haben die Leute nicht recht, wenn sie sich | |
beschweren, dass die Einnahmen des Staates ständig steigen? | |
Das ist in einer wachsenden Wirtschaft nicht verwunderlich. Die Einkommen | |
steigen ja auch jedes Jahr, zumindest nominal. Relevant ist die relative | |
Steuerbelastung, also die gesamtwirtschaftliche Steuerquote. Die ist | |
tatsächlich in den vergangenen Jahren auf 23 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukt (BIP) gewachsen. Trotzdem liegt sie immer noch | |
niedriger als in den 1970er oder 1990er Jahren. Von historischen | |
Rekordsteuereinnahmen kann keine Rede sein. | |
Sind die deutschen Steuern im internationalen Vergleich exorbitant hoch? | |
Nein. Sie liegen spürbar unter dem Durchschnitt der Industrieländer der | |
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Aber wir haben hohe | |
Sozialbeiträge, weil damit hierzulande der größte Teil der sozialen | |
Sicherung finanziert wird. Die gesamte Steuer- und Abgabenbelastung ist | |
deshalb überdurchschnittlich. Aber dafür erhalten die Bürger bei uns auch | |
Leistungen, die es anderswo in dieser Höhe und Qualität nicht gibt. | |
Bei der FDP, Union und AfD heißt es, besonders die Mittelschicht werde | |
geschröpft. Der sogenannte „Mittelstandsbauch“ müsse beseitigt werden. | |
Halten Sie das für gerechtfertigt? | |
Teilweise ja. Während die hohen Einkommen und Vermögen in den vergangenen | |
20 Jahren entlastet wurden, stieg der Beitrag der mittleren Einkommen an. | |
Allerdings ist der Mittelstandsbauch weniger fett, als viele denken. Denn | |
dieser Begriff beschreibt ja nur die Grenzsteuersätze, also das, was man | |
auf einen Mehrverdienst bezahlt. Die Durchschnittsbelastungen der | |
Mittelschichtbürger sind eher gering. Daher würden von der Senkung vor | |
allem die Besserverdiener profitieren – sie zahlen den Großteil der | |
Einkommensteuer. Und das kostet sehr schnell sehr viel Geld. | |
Wie viel? | |
Bis zu 35 Milliarden Euro pro Jahr – das sind gut fünf Prozent des gesamten | |
Steueraufkommens. Davon geht mehr als die Hälfte an die oberen 20 Prozent | |
der Einkommensverteilung – also an die Oberschicht und nicht an die | |
Mittelschicht. | |
Die AfD Berlin schlägt vor, statt des allmählichen Anstiegs der Steuersätze | |
einen Stufentarif einzuführen. Wen begünstigt dieses Modell? | |
Das soll wohl ein Angebot an die Mittelschichten sein, die dann weniger | |
zahlten, weil der steuerfreie Grundfreibetrag erhöht und der | |
Eingangssteuersatz bis zu den mittleren Einkommen konstant niedrig bleiben | |
soll. Nur profitieren auch hierbei die Oberschichten stark. Und die AfD | |
muss dem Volk erklären, wie sie 50 Milliarden Steuerausfälle wieder | |
hereinholen will. Das geht nur über massive Ausgabenkürzungen oder | |
Steuererhöhungen an anderer Stelle, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer. | |
Das belastet dann vor allem die kleinen Leute. | |
Sollten Bürger mit niedrigen Einkommen entlastet werden? | |
Ich denke, ja. Denn diese Schichten tragen eine Steuerlast, die teilweise | |
über der mittlerer Einkommen liegt. Der Grund sind die indirekten Steuern. | |
Mehrwert-, Energie-, Grund-, Kfz- und Alkoholsteuer zahlen alle in | |
ähnlicher Höhe, auch wenn sie wenig verdienen. Hinzu kommen die | |
Sozialbeiträge, die selbst Arbeitnehmer mit relativ niedrigen Verdiensten | |
in vollem Umfang entrichten. | |
Wie kann man konkret tun? | |
Eine Möglichkeit besteht darin, staatliche Transfers zu erhöhen, um die | |
indirekten Steuern zurückzugeben, nicht nur bei den Hartz-IV-Leistungen, | |
sondern für alle Geringverdiener. Aber das ist schwer umzusetzen. SPD-Vize | |
Thorsten Schäfer-Gümbel schlägt vor, einen Freibetrag in der | |
Sozialversicherung ähnlich dem steuerlichen Grundfreibetrag einzuführen. | |
Und wäre es plausibel, den hohen Einkommen und Vermögen einen größeren | |
Beitrag abzuverlangen? | |
Ja, da geht wieder was. Seit den 1980er Jahren haben wir die Steuersätze | |
für große Einkommen, Kapitalerträge und Firmengewinne gesenkt. Die | |
Regierungen sahen sich dazu gezwungen, um die Abwanderung von Investitionen | |
und Finanzanlagen im Zuge von Globalisierung und Steuerwettbewerb zu | |
unterbinden. Aber mittlerweile ändern sich die Zeiten. Steueroasen werden | |
trockengelegt, viele Länder tauschen Informationen über Auslandskapital | |
aus. Steuerflucht für die Reichen wird schwieriger. Daher könnte der Staat | |
bei diesen wieder mehr Einnahmen generieren, ohne nennenswerte | |
wirtschaftliche Schäden anzurichten. | |
Was würden Sie tun, wären Sie Bundesfinanzminister? | |
Die Mittelschicht entlasten und zur Finanzierung beispielsweise die | |
Spitzensteuersätze moderat anheben, von heute 42 und 45 Prozent auf bis zu | |
49 Prozent. Auch mit einer wirksameren Erbschaftsteuer auf hohe Vermögen | |
lassen sich mehr Einnahmen erzielen. Außerdem würde ich | |
Steuervergünstigungen wie die Pendlerpauschale oder das Ehegattensplitting | |
reduzieren. | |
3 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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