# taz.de -- Filmfest in Venedig: Dinos am Strand | |
> US-Regisseur Terrence Malick zelebriert in Venedig das Wunder des Lebens. | |
> Ganz ausliefern möchte man sich dem Ereignis aber nicht. | |
Bild: Ruft Mutter Natur an: Cate Blanchett | |
Festivals bedeuten eine Ausnahmesituation, zu deren vornehmsten | |
Begleiterscheinungen der Schlafentzug gehört. Die fehlende Nachtruhe lässt | |
sich dann zum Teil, wenn auch unfreiwillig, während der Filmvorführungen | |
ausgleichen. Dabei gilt: Je meditativer und handlungsärmer der Film, desto | |
größer die Wahrscheinlichkeit des passageren Einnickens. Für ausgedehnten | |
Erholungsschlaf hingegen sind die Sitze – absichtlich? – nicht bequem | |
genug. | |
Besonders gefährlich sind die Filme nach der Mittagspause, wenn der | |
Blutzucker sich erst einmal wieder regulieren muss. Ein Glück für den | |
verschrobenen US-amerikanischen Filmpoeten Terrence Malick, dass sein | |
Wettbewerbsbeitrag „The Voyage of Time: Life’s Journey“ am Abend läuft, | |
denn obwohl darin im Detail sehr viel geschieht, ist dies bisher mit | |
Abstand der am wenigsten narrative Film in Konkurrenz um den Goldenen | |
Löwen. | |
Das liegt einerseits daran, dass sich sein Thema, die Entstehung des | |
Universums mit dem uns bekannten Leben bis zu seinem mutmaßlichen Ende, in | |
Bildern erzählt wird, die kleine Ausschnitte der verschiedenen Stufen der | |
Evolution bieten, Schnappschüsse, deren verbindenden Faden man im Kopf | |
selbst spinnen muss. | |
Andererseits gibt es dazu keinen Kommentar im Sinne einer Beschreibung des | |
Geschehens, sondern eine Anrufung der Natur – „Oh Mutter“ –, deren | |
gebetsartige Formeln von der Schauspielerin Cate Blanchett gesprochen | |
werden. | |
## Ursüppchen kochen | |
Am Anfang zeigt Malick Bilder, bei denen nicht ganz klar ist, was man da | |
überhaupt anblickt. Zu sehen sind Sternennebel im Weltall, Planeten. | |
Naheliegende Vermutung: Da ist gerade Urknall. Weiter geht es mit allerlei | |
Fließen, Quellen und Wimmeln. Vulkane brechen aus, stoßen Asche in den | |
Himmel, lassen Lava ins Meer strömen oder ihre rotglühende Masse aus dem | |
Meeresboden hervorbrechen, wo sie bald erstarrt. | |
Wenig später flutschen zahllose Amöben durch das Weltmeer, kurz zuvor wurde | |
womöglich die Ursuppe angerichtet. Von da an kommen komplexere Organismen | |
ins Spiel, und oft weiß man nicht, welche dieser Bilder jetzt Aufnahmen von | |
archaischen Lebensformen sind, die bis heute überdauert haben, und welche | |
aus dem Computer stammen. | |
Malick, der 40 Jahre an diesem Film gearbeitet hat, mischt immer wieder | |
Realfilm mit digitalen Animationen. Und spätestens wenn ein einsamer Dino | |
an einem verlassenen Strand entlangstapft, ist klar: Hier wurde kräftig mit | |
dem Rechner nachgeholfen. | |
Die Dinosaurierszenen gehören zu den kitschigsten Momenten des Films und | |
lassen einen mit der Frage zurück, was für ein Film „Voyage of Time“ hät… | |
werden können, wenn Malick sich auf die Seiten der Natur beschränkt hätte, | |
die er mit der Kamera einfangen kann. | |
Denn davon gibt es reichlich in dem Film, und die Bilder haben in ihren | |
besten Momenten eine Poesie, die weniger überwältigen als still auf die | |
Schönheit von Leben und Natur hinweisen will. | |
Zwischen diese ästhetisierten Aufnahmen schneidet Malick grobkörnige Szenen | |
aus der jüngeren Vergangenheit, in denen man asiatische Prozessionen, | |
militärische Konflikte oder Obdachlose auf der Straße als Kontrast zur | |
menschenfreien Natur zu Gesicht bekommt. | |
So weit, so gut. Doch dass Malick durch den wunderlichen Monolog und die | |
oft dramatische Musik etwa von Johann Sebastian Bach oder Arvo Pärt einen | |
starken Zug ins Pathetische billigend in Kauf nimmt, sorgt mitunter für | |
Verdruss. | |
Trotzdem ist „Voyage of Time“ ein Erlebnis, wenngleich eines, dem man sich | |
nicht in allen Teilen vorbehaltlos ausliefern mag. Andererseits ist das | |
Leben auch nicht immer nach dem eigenen Geschmack. Und wie um einen daran | |
zu erinnern, dass die Kunst bloß eine Imitation des Lebens ist, empfängt | |
einen nach dem Film draußen ein sturmartig aufböender Wind vom Wasser her. | |
9 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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