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# taz.de -- Die Grünen in der Berlin-Wahl: Das Anti-Kretschmann-Projekt
> Die Spitze des Landesverbandes ist pragmatisch und konsensorientiert.
> Doch unterhalb der obersten Riege ist der Landesverband entzweit.
Bild: Die Vier im Anmarsch. Aber wer siegt?
Berlin taz | Sie werden wieder dabei sein. Endlich. Zum ersten Mal nach dem
eineinhalbjährigen rot-grünen Intermezzo zu Mauerfallzeiten werden die
Grünen in der Berliner Landesregierung sitzen, dem Senat. Denn wenn nicht
gleich vier Umfrageinstitute komplett daneben liegen, dann herrscht nach
der Landtagswahl am Sonntag in den nächsten fünf Jahren Rot-Rot-Grün. Die
SPD liegt derzeit bei 21 bis 24, die Linke bei 14 bis 15 und die Grünen
kommen auf 15 bis 18 Prozent. Mitregieren wird aber nicht die Alternative
Liste von 1989: An der Grünen-Spitze stehen vier sehr pragmatische und
konsensorientierte Figuren.
Lange genug hat ihr Landesverband warten müssen. Dreimal hintereinander
hatten sich die Grünen der SPD als Partner angeboten, dreimal wurden sie
enttäuscht: Nach den Wahlen 2001 und 2006 koalierte die lieber mit der
Linkspartei, 2011 überraschend sogar mit der CDU. Das könnte einen
vorsichtig machen mit klaren Festlegungen. Doch Rot-Rot-Grün ist keine
reine Gefühlssache: Es ist die einzige Koalition, die jenseits von
Bündnissen mit der AfD überhaupt eine Mehrheit im künftigen Landtag hätte,
der hier Abgeordnetenhaus heißt. Weder Jamaica noch eine Ampel bekommt das
nach jetziger Lage hin, und jegliches Zweierbündnis sowieso nicht.
Personell ist es ein Anti-Kretschmann-Projekt, mit dem die Grünen ihren
Wahlkampf bestritten und gute Chancen haben, ihr Rekordergebnis von 2011
mit 17,6 Prozent zu übertreffen. Der Ein-Mann-Show in Baden-Württemberg
steht in Berlin ein Viererspitzenteam aus den beiden Landesvorsitzenden und
den zwei Fraktionschefinnen gegenüber. Das hat vor allem damit zu tun, dass
es bei den hiesigen Grünen keine herausragende Figur wie Kretschmann gibt.
Sie setzen daher auf Breite. Die beiden Fraktionschefinnen Ramona Pop, 38,
und Antje Kapek, 39, machen einen soliden Job im Abgeordnetenhaus. Pop ist
die bekanntere und deshalb im Spitzenteam auf Platz 1. Und die
Parteivorsitzenden schaffen es seit über fünf Jahren, einen weiterhin tief
zwischen Linken und Realos gespaltenen Landesverband über Lagergrenzen
hinweg respektiert zu führen.
## Das Spektakulum
Die beiden sind das eigentliche Spektakulum, weil sie lebensweltlich nicht
weiter auseinanderliegen könnten. Da ist Daniel Wesener, 40, vormals
Mitarbeiter der Linken-Ikone Hans-Christian Ströbele und Fraktionschef der
linken Kreuzberger Grünen. Einer, der vor Jahren noch allen Koalitionsideen
jenseits von Rot-Grün entgegenrief: „Wer für alles offen ist, ist nicht
ganz dicht.“ Und dann ist da Bettina Jarasch, 47, lange Mitarbeiterin von
Renate Künast, aktuell katholische Pfarrgemeinderatsvorsitzende und sowohl
Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken wie im Grünen-Bundesvorstand. Nie
zerlegten sich die beiden öffentlich oder ließen sich gegeneinander
ausspielen.
Das konnten und können sich die beiden allerdings auch nicht leisten. Denn
unterhalb der so gut harmonierenden obersten Führungsebene ist der
Landesverband entzweit. Da gibt es jene, die auf Stadtbezirksebene mit der
CDU koalieren und dann eben vor allem die Kreuzberger – die mit dem
einzigen grün-regierten Bezirk der Stadt und dem einzigen direkt gewählten
grünen Bundestagsmitglied, Ströbele.
Nach der Wahl von 2011 und den gescheiterten Koalitionsgesprächen mit der
SPD zerlegte es fast die neue Fraktion, die Linken drohten mit Abspaltung.
Pops damaliger Kofraktionschef, Realo wie sie, warf hin und fand eine neue
politische Heimat bei Kretschmann, wo er heute Staatssekretär ist. „Der
große Graben“, titelte die taz in Anlehnung an den „Asterix“-Band 25.
Dass dieser Graben längst nicht zugeschüttet, sondern nur mit dem Duo
Wesener/Jarasch überbrückt ist, zeigte sich im Frühjahr: Pop erhielt bei
ihrer Wahl auf Platz 1 der Kandidatenliste nur 61 Prozent. Und als sie fünf
Wochen später beim Programmparteitag sprach und Standing Ovations bekam,
blieben linke Delegierte gleich blockweise sitzen und versagten ihr
Applaus. Unter anderen Umständen könnte das die SPD auch ein viertes Mal
von einer Koalition mit den Grünen abhalten. Doch dieses Mal hat sie ja
keine andere Wahl.
18 Sep 2016
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Grüne
Abgeordnetenhaus
Daniel Wesener
Berlinwahl 2016
Schwerpunkt Landtagswahlen
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Wahlkampf
Abgeordnetenhauswahlen 2016
Silke Gebel
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