# taz.de -- Porträt Clara Herrmann (Grüne): Eine, die Haltung zeigt | |
> Die Grünen-Politikerin Clara Herrmann hat keine Aussichten, zum dritten | |
> Mal ins Parlament gewählt zu werden. Beirren lässt sie sich trotzdem | |
> nicht. | |
Bild: Lang ist's her: 2006 war die damals 21-Jährige Clara Herrmann die jüngs… | |
Morgens, halb neun, Warschauer Brücke. Glasscherben übersäen den | |
Bürgersteig und zeugen von der letzten Nacht. Jetzt aber sind die | |
Menschenmassen zwischen Tram, S-Bahn und U1 nicht mehr alkoholselig, | |
sondern hasten geschäftig vorbei. Mittendrin steht Clara Herrmann, dunkles | |
T-Shirt, helle Hose, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, und verteilt | |
Wahlkampfmaterial. Die Sonne brennt an diesen allerletzten Sommertagen, | |
kaum jemand bleibt stehen. Herrmann lässt sich nicht beirren, grüßt und | |
streckt die Hand mit dem grün bedruckten Papier aus, immer wieder. | |
Dabei hätte sie allen Grund, die Sache etwas weniger energisch anzugehen. | |
Denn dass Clara Herrmann, 31, am Sonntag für eine dritte Amtszeit ins | |
Parlament gewählt wird, ist quasi ausgeschlossen. Ihre Partei hat sie nicht | |
aufgestellt im März, als die Landesliste abgestimmt wurde. Zwei Mal | |
hintereinander unterlag sie damals KonkurrentInnen um die Listenplätze. | |
Und dass sie in ihrem Wahlkreis, Nummer 4 in Friedrichshain-Kreuzberg, der | |
das westliche Friedrichshain umschließt, ein Direktmandat bekommt, ist | |
unwahrscheinlich: 2006 gewann hier die Linke, 2011 die SPD, eine von beiden | |
wird wohl auch dieses Mal gewinnen – Herrmann schaffte es zwar, den Abstand | |
der Grünen zum zweiten Platz auf zehn Prozentpunkte zu verringern, aber das | |
ist immer noch viel. | |
„Das hat mich hart getroffen, die Sache im März, das kann ich zugeben“, | |
sagt Herrmann. Aufgewachsen in Friedenau, ging sie mit 17 zur Grünen | |
Jugend: „Wenn Partei, dann die Grünen, das war immer klar für mich, es war | |
eher die Frage, ob ich mich nicht stattdessen zum Beispiel bei Greenpeace | |
engagiere.“ | |
2006 dann der Einzug ins Abgeordnetenhaus, bis zur letzten Wahl war sie | |
dort das jüngste Mitglied. Sie wurde haushaltspolitische Sprecherin ihrer | |
Fraktion – ein trockenes, kompliziertes Thema, nicht unbedingt die Wahl, | |
die andere von einer jungen Abgeordneten erwartet hätten. Genau das macht | |
sie stolz. | |
Gern erzählt sie einen Vergleich, den ein Fraktionskollege von ihr neulich | |
gebracht habe: Wäre die Fraktion ein Schiff, so wären die | |
HaushaltspolitikerInnen die, die im Inneren des Schiffsbaus schuften – | |
harte ArbeiterInnen, unerlässlich für den Kurs, aber ohne die Chance, | |
jemals so im Rampenlicht zu stehen wie der Kapitän auf der Brücke. | |
## Keine Zeit zur Selbstinszenierung | |
Hier sieht Herrmann auch einen Grund, warum sie es nicht erneut geschafft | |
hat auf die Landesliste – neben einer ganzen Reihe von Faktoren, die nichts | |
direkt mit ihr als Person zu tun haben, eine | |
„Anti-Friedrichshain-Kreuzberg-Haltung“ im Landesverband oder den | |
zahlreichen Quotenregelungen bei der Listenaufstellung, die etwa neue | |
Gesichter begünstigen sollen. Sie habe sich immer auf ihre Arbeit | |
konzentriert, auf ihre fachliche Kompetenz – zum Netzwerken und | |
Kontaktpflegen, aber auch für die in der Politik nicht unwichtige | |
Selbstinszenierung sei ihr da weniger Zeit geblieben. | |
Tatsächlich: Bei ihrer Arbeit im Abgeordnetenhaus, in den Ausschüssen und | |
bei Debatten, wirkt Herrmann kompetent, aber der schillernde Auftritt ist | |
ihre Sache nicht. Wenn sie etwa über ihre Arbeit im Ausschuss für | |
Verfassungsschutz spricht, nimmt man ihr ab, dass sie die Sitzungen am | |
liebsten mochte, wo keine Presse anwesend war und die Abgeordneten | |
parteiübergreifend zusammenarbeiteten, statt sich gegenseitig auf Kosten | |
des anderen profilieren zu wollen. | |
Für Zustände wie im Innenausschuss, wo sich Hakan Tas von der Linken, | |
Ex-Pirat Christopher Lauer, der SPD-Mann Tom Schreiber und ihr grüner | |
Fraktionskollege Benedikt Lux gerne testosterongeschwängerte Redeschlachten | |
liefern, immer mit einem Auge bei den anwesenden JournalistInnen, hat sie | |
nur Unverständnis übrig. | |
Auf der Warschauer Brücke ist sie inzwischen ein paar Mal mit | |
Vorbeihastenden ins Gespräch gekommen, wenn auch nicht unbedingt so, wie | |
erhofft: Mit einer Frau unterhält sie sich über ihr Knieleiden, eine | |
Betrunkene bietet ihr Süßigkeiten an, zwei Touristinnen erkundigen sich | |
nach dem Weg zur East Side Gallery. „Morgens ist es immer ein bisschen | |
schwierig, mit den Leuten über Inhalte zu reden“, sagt sie unbeirrbar. | |
„Ich will das jetzt noch gut zu Ende machen, ich bin keine, die in so einer | |
Situation einfach alles stehen und liegen lässt“, hatte sie bei einem | |
vorherigen Gespräch gesagt. Was danach kommt, weiß sie noch nicht – und man | |
merkt, dass diese Ungewissheit ihr zu schaffen macht. | |
## Engagiert gegen Rechtsextremismus | |
Dass sie damals nach ihrem Einzug 2006 ihr Geografiestudium noch beendet | |
hat, macht sie heute froh, trotzdem: Die letzten zehn Jahre war das | |
Abgeordnetendasein ihr Leben, jetzt muss sie sich als gerade mal 31-Jährige | |
neu orientieren. „Wenn Sie von einem Job hören, sagen Sie Bescheid“, | |
witzelt sie, aber so richtig fröhlich klingt ihr Lachen dabei nicht. | |
In der Öffentlichkeit war sie weniger für ihre haushaltspolitische | |
Tätigkeit bekannt als für ihr anderes Steckenpferd: Sie ist auch Sprecherin | |
für Strategien gegen Rechtsextremismus, und diesen Job macht sie ebenfalls | |
ziemlich engagiert und profiliert. Ein seltsames Zeichen, dass die Partei | |
sie ausgerechnet in diesen Zeiten, wo die AfD ins Abgeordnetenhaus und die | |
Bezirksparlamente einziehen wird, nicht wieder aufgestellt hat. Herrmann | |
hofft, dass jemand auf diesem Feld ihre Arbeit weiterführen wird – und ein | |
bisschen, das merkt man ihr auf der Warschauer Brücke an, hofft sie auch | |
auf ein kleines Wunder am Wahlsonntag. | |
15 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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