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# taz.de -- Studivertreterin über Promotionen: „Doktor ist Arzt“
> Zwei von drei Medizinstudierenden promovieren – oft mit einer belächelten
> Arbeit. Studierende fordern den Doktortitel für alle MedizinerInnen.
Bild: Eine Ärztin hält ein Stethoskop (Archivbild)
taz: Frau Heilani, medizinische Doktorarbeiten sind nicht erst seit den
Plagiaten in der Promotion von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
stark in die Kritik geraten. Wie groß ist das Problem aus Ihrer Sicht?
Myriam Heilani: Es gibt unglaubliche Unterschiede in der Qualität von
Dissertationen – der Aufwand geht von einer schnellen dreimonatigen
statistischen Auswertung bis hin zur mehrjährigen Arbeit im Labor.
Normalerweise promovieren Mediziner bisher im Stile eines „Learning by
doing“ während des Studiums. In der öffentlichen Debatte wird die
medizinische Promotion daher sehr durch den Kakao gezogen, während die
strukturellen Probleme innerhalb der Universitäten bislang oft nicht klar
angesprochen werden. Auch international finden deutsche medizinische
Doktorarbeiten wenig Anerkennung. Das ist sehr schade, weil es auch
exzellente Arbeiten gibt. Ich finde es schön, dass die Studierenden jetzt
Handlungsbedarf gesehen haben.
In allen anderen Disziplinen schreiben Studenten zuerst eine
Abschlussarbeit, bevor sie promovieren. Sind viele Medizinstudenten einfach
überfordert, weil sie schon während ihres Studiums mit der Promotion
beginnen?
Möglicherweise. An einigen Universitäten gibt es früh Kurse zu Statistik
und zum wissenschaftlichen Arbeiten – aber das ist gerade das Problem: Die
gibt es nicht flächendeckend an allen Unis. Das führt dazu, dass
Studierende gleichzeitig ihre wissenschaftlichen Kompetenzen erwerben und
ihre Dissertation anfertigen müssen. Das klappt oft nicht und führt zu
Abbrüchen. Gleichzeitig müssen viele Studierende Arbeiten für ihre
Doktorväter erledigen, um deren Publikationsquote zu erhöhen und
Drittmittel einzuwerben.
Im Juni forderte Ihr Verein, die Bundesvertretung der Medizinstudierenden,
dass die Qualität von medizinischen Dissertationen drastisch erhöht werden
soll – und gleichzeitig jeder Medizinstudent einen Doktortitel geschenkt
bekommt. Das ist doch ein Widerspruch!
Schon im Jahr 2014 haben wir, die bvmd, die sehr bestimmte Position
verabschiedet, die bisherige medizinische Promotion aufzuwerten und
gleichzeitig ein sogenanntes Berufsdoktorat zu fordern. Mit der Approbation
soll jedem Mediziner auch ohne zusätzliche Promotionsleistung ein
Doktorgrad verliehen werden, wie es auch in anderen Ländern, wie zum
Beispiel den USA, der Fall ist. Die Studierenden, die wirklich promovieren
wollen und an Forschung interessiert sind, sollen zukünftig einen Titel
erwerben, der international Anerkennung findet. Wie die Titel genau heißen
könnten, ist noch offen.
Warum soll es extra für Mediziner eine Ausnahme von der deutschen Praxis
geben?
Die Studierenden spüren eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, die
verlangt, dass ein Arzt auch stets ein Doktor sein müsse. Diese ist sogar
im Duden präsent: Eine mögliche Bedeutung des Wortes „Doktor“ ist „Arzt…
Gleichzeitig verlangen Sie eine Aufwertung der echten Promotionen. Wie
stellen Sie sich das vor?
Wir fordern die Einführung strukturierter Promotionsprogramme an allen
Fakultäten. Es soll Seminare, eine unterstützende Plattform für
Promovierende, Mentoringprogramme und Softskillkurse geben. So soll die
Qualität verbessert und verhindert werden, dass Promotionen im Sande
verlaufen. Dies wäre ein grundlegender Wandel der ganzen Promotionskultur.
Ähnliche Programme werden bereits in anderen Disziplinen ausgebaut. Wie
weit ist die Medizin?
Es gibt sehr große Unterschiede: Einige Fakultäten bieten
Promotionsprogramme an, aber nicht für die Breite der Studierenden. Bei
anderen Fakultäten läuft es wie vor 30 Jahren. Aber der Medizinische
Fakultätentag hat bereits zugesagt, dass strukturierte Promotionsprogramme
eingeführt werden sollen.
Wäre das nicht mit viel Aufwand verbunden, wenn zwei von drei Studierenden
derartige Programme durchlaufen – oder sollte die Zahl der Doktoranden
sinken?
Ich bin der Meinung, dass nur diejenigen, die ein tiefergehendes Interesse
an der Forschung haben, promovieren sollten. Das Promotionssystem selbst
setzt die falschen Anreize – und produziert damit die schwankende Qualität
der Arbeiten. Die Strukturierung der Promotionen dient dem Selbstschutz der
Studierenden – sie soll die Studierenden nicht gängeln, sondern absichern.
Würde es nicht viele Studenten davon abhalten, zu promovieren?
An Fakultäten gibt es eine Angst, dass kein Nachwuchs mehr gewonnen werden
könne. Wir können das nicht nachvollziehen. Die aktuelle
Promotionslandschaft schreckt viele Studierende von einer späteren
Forschertätigkeit ab. Wir wollen das Interesse an Forschung durch die
Beschäftigung mit wissenschaftlichen Themen während des Studiums fördern.
Nur so lernen sie, eine neue Studie zu beurteilen – oder das neueste
Angebot der Pharmaindustrie. Das sind grundlegende Kompetenzen.
Wie sehen denn die Fakultäten und Universitäten Ihre Pläne?
Die bvmd ist in einer Arbeitsgruppe der Hochschulrektorenkonferenz und des
Medizinischen Fakultätentags zu dem Thema vertreten. Ich halte es für sehr
unwahrscheinlich, dass das Berufsdoktorat umgesetzt wird – beide Gremien
lehnen es ab. Klar ist, dass die medizinische Promotion aufgewertet werden
soll, um international anerkannt zu werden. Der größte Streitpunkt ist eine
grundsätzliche Frage: Sollen Medizinstudenten studienbegleitend promovieren
– oder nicht. Bei der Hochschulrektorenkonferenz gib es wenig Verständnis
dafür, dass für Mediziner Extraplätzchen gebacken werden.
Da hat sie doch recht, oder?
Ein ständiges Argument ist, dass wir aufgrund des besonders langen Studiums
andere Anforderungen haben. Es ist aber auch nur ein Jahr länger als ein
typischer Bachelor plus Master. Die bvmd ist wie die
Hochschulrektorenkonferenz der Meinung, dass die medizinische Promotion
international nur dann Anerkennung findet, wenn man sich auf lange Sicht
vom Konzept der studienbegleitenden Promotion verabschiedet. Das ist das
Ziel, das wir auch im neuen Papier verfolgen.
Aktuell promovieren zwei von drei Medizinstudierenden. Welcher Anteil
könnte es denn zukünftig sein?
Bei einer flächendeckenden Einführung von strukturierten
Promotionsprogrammen werden es wohl deutlich weniger sein. Die
Hochschulrektorenkonferenz hat eine Zahl von 20 Prozent in den Raum
geworfen – es kann durchaus sein, dass es noch weiter sinkt. Vielleicht
auch auf 10 Prozent. Mit unserer Position haben wir versucht, einen
Balanceakt zu schaffen zwischen dem, was realistische Verbesserungen sind,
und dem, wie es bisher funktioniert. Das ist nicht immer ganz einfach, aber
ich glaube, dass wir es ganz gut geschafft haben. Wenn es umgesetzt werden
sollte, wäre das ein großer Erfolg.
15 Sep 2016
## AUTOREN
Hinnerk Feldwisch-Drentrup
## TAGS
Promotion
Studium
Doktortitel
Zeitschriften
Plagiat
Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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