# taz.de -- Die Wahrheit: Beschlüsse werden nicht erwartet | |
> Ein Telefonat mit dem öffentlich-rechtlichen Beitragsservice bietet auch | |
> Flüchtlingen einen Einblick in deutsche Behördenkultur. | |
Bild: Kein Kopftuch, keine Burka, ein bisschen Schwarz-Rot-Gold, aber bitte kei… | |
Als neulich das Treffen von 40 Außenministern die Landeshauptstadt Potsdam | |
lahmlegte, als sei eine Terrorwarnung eingegangen, fragte ich mich, warum | |
die das immer machen. Es ist schon klar, dass die Jungs gern verreisen. | |
Weshalb wird man sonst Außenminister? | |
Aber gibt es nicht auch abgelegene Burgen und Schlösser in Deutschland, die | |
man gut umzäunen und bewachen kann? Muss man sich da treffen, wo Leute | |
wohnen und ganz normale Leben mit Zahnarzt- und Scheidungsterminen, | |
Arbeitswegen und Einkaufswünschen haben? Könnte man sich den Aufwand nicht | |
mit Hilfe einer ordentlichen Videokonferenz sparen? Zumal, Zitat: „keine | |
Beschlüsse zu erwarten“ sind? | |
Ich stelle mir das gerade in anderen lohnabhängigen Arbeitszusammenhängen | |
vor. 40 Angestellte fahren für viel Geld auf Konferenz, winken dem Chef | |
tiefenentspannt zu und versichern ihm, dass eh alles beim Alten bleiben | |
wird. | |
Aber versuchen wir nicht alle immer mal etwas, wovon wir schon vorher | |
wissen, dass wir es genauso gut auch lassen könnten? Am eindrucksvollsten | |
lässt sich dieses Gefühl mit einem Anruf beim öffentlich-rechtlichen | |
Beitragsservice, der ehemaligen GEZ, erzeugen. | |
Ich helfe gelegentlich Mohammad, einem Studenten der Anglistik, der vor dem | |
Militärdienst in der syrischen Armee geflüchtet ist, bei seinem Papierkram. | |
Da er einen Studienplatz als Gaststudent hat, besitzt er keinen | |
Flüchtlingsstatus und bekommt weder Bafög noch Kohle vom Amt. Dafür stehen | |
seit seiner Anmeldung im Studentenwohnheim die Rundfunkschergen auf der | |
Matte und wollen – da sein Zimmerchen mit Waschbecken als eigene Wohnung | |
gilt – die vollen Gebühren eintreiben. Mohammad kann das nicht glauben und | |
bittet mich, nachzufragen. | |
Als ich nach 20 Minuten Warteschleife endlich die mürrische Stimme einer | |
Sachbearbeiterin am Telefon und das Geburtsdatum meines Schützlings nicht | |
sofort parat habe, werde ich grußlos aus der Leitung geworfen. Mohammad hat | |
dafür schon am Folgetag eine frische Mahnung in der Post. Es kostet mich | |
einige Mühe, ihm klarzumachen, was jeder Bundesbürger weiß: Anrufe sind | |
auch bei der GEZ-Nachfolgeorganisation vollkommen sinnlos. Das zu begreifen | |
ist eine große Integrationsleistung, an der die Gebührenzentrale besonders | |
aktiv mitarbeitet. Und zwar vom allerersten Tag an, den der Flüchtling – | |
frisch vom Gummiboot an Land gekrochen – in Deutschland verbringt. | |
In den Nachrichten war in letzter Zeit vermehrt über abgebrochene | |
Abschiebungsversuche zu lesen, die wegen heftigen Widerstands abgelehnter | |
Asylbewerber gestoppt werden mussten. Ich würde die Sache an Stelle der | |
abschiebenden Behörden den Jungs von der Rundfunk-Inkasso überlassen: Krieg | |
in Syrien? Kein Geld? Uns doch egal. Wir nerven so, dass die Leute von | |
allein wieder gehen. Das Studentenwerk sagt, man sei für Fälle wie Mohammad | |
mit der Gebührenzentrale in Verhandlung. Beschlüsse werden nicht erwartet. | |
9 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Stöhring | |
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