Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte über EU ohne Briten: „Alle Rechten feiern“
> Der Brexit birgt Risiken. Aber er eröffnet auch Chancen für die EU, sagt
> Bremens frühere Grünen-Vorsitzende Henrike Müller
Bild: Nigel Farage freut sich. Wer freut sich mit?
taz: Frau Müller, ist der Brexit eine Chance für die EU?
Henrike Müller: Ich finde ja. Anfangs war das natürlich bitter und traurig
und wir haben alle gelitten, als das Votum kam – also wir
Europa-EnthusiastInnen. Aber inzwischen ist eine Ruhe und Sachlichkeit
eingekehrt, dass der Ausstieg zur Chance dafür wird, nachzudenken: Wie
bauen wir die EU so um und so neu auf, dass die Menschen sie mittragen. Und
dass sie Lust haben, sich für das Projekt der europäischen Intgration
einzusetzen.
Ja, schade, dass man die Bedrohung des Brexit nicht als Chance genau dafür
wahrgenommen hat …?
Das hat mich auch irritiert.
Mich nicht: Hatten Sie nicht den Eindruck dass auch konstruktive Kritik
meist als Euroskepsis bewertet und abgebürstet – und so die Chance auf
Reformen konsequent vertan wurde?
Das muss ich wirklich als jemand, der nun schon seit vielen Jahre in der
Europapolitik unterwegs ist, selbstkritisch sagen. Der Reflex, auf Kritik
an der EU immer zu antworten mit: „Nein, die EU ist schon toll“, war schon
ziemlich ausgeprägt. Auch inhaltliche Auseinandersetzungen in einzelnen
Politikfeldern sind, wenn sie auf die EU abzielten, schnell als Verrat am
Friedensaufbau in Europa empfunden worden. Das war falsch. Und das ist ein
Gegenstück zu dem, was uns auf die Füße fällt.
Was ist das?
Es ist die seit Jahrzehnten eben nicht nur in England gängige Praxis, für
alles, was innenpolitisch schief läuft, Brüssel verantwortlich zu machen.
Wir müssen verstehen, dass das nicht mehr legitim ist. Wir haben ein
europäisches politisches System, das wir genauso verteidigen müssen, wie
ein demokratisches System in den einzelnen Mitgliedstaaten: In Deutschland
genauso wie in Frankreich, Polen oder Ungarn.
Und was verleiht Ihnen die Hoffnung, dass zumal Brüssel umdenkt?
Die ersten Reaktionen der europäischen Kommission und der EU-Repräsentanten
waren zum Großteil sehr unglücklich. Da gebe ich Ihnen recht. Das hatte so
etwas von Trotz: Jetzt machen wir es eben ganz alleine, seht nur zu, dass
ihr schnell weg seid. Jetzt habe ich aber schon den Eindruck, dass alle,
die mit Europa zu tun haben, sehr intensiv darüber nachdenken, wie man die
europäische Demokratie so ausformuliert kriegt, dass sie bei den Leuten
auskommt.
Und die Lösung heißt: indem man Ceta, das Abkommen mit Kanada, dass
nichttarifäre Handelshemmnisse, also demokratisch legitimierte Arbeits-,
Umwelt- und Sozialstandards beseitigt, so schnell und mit so wenig
Beteiligung wie nur möglich durchdrückt?
Ceta, TTIP und so weiter sind natürlich sehr schlechte Beispiele. Das
stimmt. Auch abzulehnen, dass das durch die Parlamente geht, halte ich für
kontraproduktiv. Dass sich die Kommission auf die europäische
Jugendstrategie konzentriert, ist hingegen wichtig. So etwas passiert auch:
Dass man besser auf das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in weiten Teilen
Europas schaut, das ist ein positives Zeichen.
Allerdings dauert es, bis solche Impulse die Basis erreichen. Demolieren
nicht vorher die Rechten die EU?
Ich hoffe nicht. Die Gefahr ist allerdings groß: Alle Rechten in Europa
feiern den Brexit und streben dem nach. Ich hoffe, dass sich der Wunsch,
daraus zu lernen, durchsetzt, und die Einsicht: Europäische Demokratie kann
nur dann gelingen, wenn wir uns alle als ihre Multiplikatoren begreifen.
Wir sind Teil des europäischen politischen Systems, auch, wenn wir
Verkehrspolitik in Bremen oder Agrarpolitik in Niedersachsen machen – oder
Gleichstellungspolitik auf Bundesebene. Das müssen wir wissen, und das
müssen wir vermitteln. Anders wird es nicht funktionieren. Wenn wir uns
weiter von der EU distanzieren, leisten wir den Rechten oder den
anti-europäischen Parteien Vorschub.
Anti-europäisch – ist da die Linke mit gemeint, oder wird die Diskussion
total peacig?
Nein, das glaube ich nicht. Die Linke hat eine fundamentalere Kritik am
System der EU, als ich oder meine Partei. Von daher freue ich mich schon
auf eine kontroverse Debatte.
8 Sep 2016
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
EU-Reform
EU-Referendum
Schwerpunkt Brexit
Werder Bremen
Zivilklausel
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
Bremen
Karoline Linnert
Wahlkampf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Zukunft Europas: Die drei Großbaustellen der EU
Der Brexit-Schock zeigt: So wie sie ist, kann und darf die EU nicht
bleiben. Die Union muss sich aus ihrer Blockade befreien.
Der Brexit und Bremen: Schwierige Zeiten
Großbritannien ist bislang drittwichtigster Handelspartner Bremens.
Betroffen sind unter anderem der Whisky-Import, Weichtiere und
Ex-Werderaner.
Bremer Zivilklausel-Streit: Oliv ist keine Grauzone
Grauzonen des Dual Use? Rot-Grün macht es sich einfacher: Selbst eine
unmittelbare Kooperation mit der Bundeswehr sei okay
Grüne Perspektive: Angstfreie Stimme der Basis
Kai Wargalla will Chefin der Bremer Grünen werden: Wer sich für deren
politische Taten interessiert, muss die internationale Presse studieren.
Neuer Parteichef gesucht: Herr Spehr tritt ab
Die Linkspartei wählt neue Vorsitzende. Sie ist inzwischen so solide, dass
nicht mal von einer Kampfkandidatur die Rede ist.
Bürgerschaftswahl in Bremen: Die designierten Verlierer
Nur eine Ökokatastrophe kann Bündnis 90/Die Grünen vor dem Absturz auf
unter 20 Prozent retten. Dennoch ist Rot-Grün wahrscheinlich.
Wahlkampf der Linken: „Manchmal klappt das“
Die beiden Landesvorsitzenden der Linken über einen möglichen
Politikwechsel, das finanzpolitische WG-Modell und Auswege aus dem
Schlangennest.
Linke Parteiführung: „Sie kürzen zu viel“
Doris Achelwilm ist neue Landeschefin der Linken. Im Interview spricht sie
über die Europawahl, Schuldenbremsen und eine Koalition mit der SPD.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.