Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lichtexperiment mit „Lucia No. 3“: Farben! So viele Farben!
> LSD-Lampe wird es auch genannt – ein Gerät, das für Entspannung sorgen
> soll. Funktioniert das? Ein Selbstversuch und seine Folgen.
Bild: Optische Reize, tranceartige Zustände
Wien/Berlin taz | Rote Wellen schwappen über mich und verdecken die weißen
Punkte, die ich grade noch gesehen zu haben meine. Gelbe Kreise, orange
Dreiecke, ein bedrohliches Weiß und wieder der rote Schwall. Meine
Augenlider zucken, meine Schultermuskulatur verkrampft, ich atme
unregelmäßig. Von Entspannung vorerst keine Spur. Wenn das LSD sein soll –
ja dann weiß ich auch nicht.
Nach fünf Minuten ist der erste Probelauf beendet, und ich öffne
erleichtert die Augen und nehme die Kopfhörer ab, aus denen Regengeräusche
blubbern. Das Problem: Ich bin die schlechteste Testperson, die man sich
vorstellen kann. Ich kann mich nicht mal mit Blei an den Füßen fallen
lassen, schon gar nicht, wenn noch jemand im Raum ist.
Lucia steht vor mir, ich mustere sie, „Die Lichtbringerin“. „Lucia No. 3�…
heißt die Lampe, die mich bei meinem Besuch in Wien in neue Sphären führen
soll. Sie wird als alternatives und ergänzendes Therapiemittel von
Therapeuten und Heilpraktikern eingesetzt. Doch weil der Hersteller eine
hypnagoge Lichterfahrung ankündigt, die einige Benutzer – die es offenbar
wissen – mit einem LSD-Trip verglichen haben, wird sie auch „LSD-Lampe“
genannt.
Hypnagogie, das ist ein Bewusstseinszustand, der irgendwo zwischen wach und
schlafend liegt und von Wahrnehmungen, vielleicht Halluzinationen begleitet
wird. Ich war nicht sicher, ob ich das erleben will. Aber jetzt sitze ich
ja schon hier, in Wien-Meidling, auf einer beige Kunstlederliege, umgeben
von ein paar hellen Landhausmöbeln, bunten Kristallen und einem
Zimmerbrunnen. Eigentlich bin ich in der Stadt, um meine Familie zu
besuchen.
## Nur in deinem Kopf
Die runde Lampe hängt etwa 30 Zentimeter vor meinem Gesicht, sie ist mit
dem Lampenständer verbunden durch etwas, was aussieht wie der Schlauch
eines Duschkopfs. Der Lampenkopf sieht aus wie eine überdimensionierte
Nähmaschinenspule, in der ein Halogenstrahler und acht LED-Stroboskope
angebracht wurden.
Wenn sie läuft, ist das Licht weiß und flackert in unterschiedlichen
Rhythmen vor den geschlossenen Augen des Nutzers. Erst der eigene Körper
erzeugt dann die Formen, Muster und Farben, die einem erscheinen.
„Menschen, die an einer starken Depression oder Burn-out leiden, sehen kaum
Farben unter der Lampe, nur grau und schwarz“, sagt Elfriede Neustädter,
die mich in der Lichttherapiepraxis empfangen hat. Zu ihr kämen
unterschiedlichste Menschen, sagt sie. Auch Kinder, die vom Schulstress
überfordert sind.
Wie genau die Formen und Farben vor den Augen der Nutzer entstehen, ist
wissenschaftlich nicht geklärt. Eine Theorie sagt, dass die Muster der
Netzhaut schuld sind, eine andere vermutet, dass die Zirbeldrüse, die etwa
reiskorngroß in der Mitte des menschlichen Gehirns sitzt, verantwortlich
ist. Die Zirbeldrüse ist für die Melatoninproduktion zuständig, soll aber
laut Forschungen auch den halluzinogenen Stoff DMT ausschütten. Esoteriker
nennen die Zirbeldrüse deshalb gerne auch „das dritte Auge“.
Mit Esoterik habe ich nichts am Hut. Meine Augen tränen, und ich will
wissen, wieso meine Augenlider so gezuckt haben. „Das liegt daran, dass Sie
versuchen, durch Ihre geschlossenen Augen zu sehen“, sagt Elfriede
Neustädter. Ja, das klingt nach mir. Wir machen eine kurze Pause, bevor es
mit der eigentlichen 20-minütigen Session weitergeht. Der gerade erlebte
Durchlauf diente nur dazu, ein passendes Programm für mich zu finden.
Denn davon gibt es über 120 für die Lucia No. 3, die über einen Computer
gesteuert wird. Sie unterscheiden sich in Länge, Intensität und
Wirkungscharakter. Die Wirkung ist letztendlich individuell, sagt
Neustädter. Lucia No.3 soll in erster Linie Entspannung bringen. Sie soll
ein Wellenmuster im Gehirn erzeugen, das sich sonst erst nach mehrjähriger
Meditationspraxis zeigt. Der Effekt soll sofort spürbar sein. Sie soll
gegen Schlafstörungen und Unruhe helfen. Aber auch kreative Prozesse
sollen durch die Lampe angeregt werden, wie der Münchner Designprofessor
Ralf Buchner gezeigt haben will, der seine Studenten für einen Versuch
unter die Lampe setzte. Wobei fraglich ist, ob sich Kreativität überhaupt
messen lässt.
## In einem Kaleidoskop sitzen
Aussagekräftige Studien zur Wirkungsweise der Lucia No. 3 gibt es nicht.
Und auch der Versuch, von Neurologen und Forschern der kognitiven
Psychologie eine Einschätzung der Lampe zu bekommen, scheiterte meist
daran, dass diese nichts dazu sagen konnten. Denn: Licht vor Augen flackern
zu lassen, das ist grundsätzlich nur bei Epileptikern bedenklich. Hinzu
kommt: Neu ist das dahinter stehende Konzept grundsätzlich nicht, denn
repetitive optische und akustische Reize werden schon seit Jahrhunderten
zum Herbeiführen tranceartiger Zustände benutzt. Also von Schamanen, den
Dreamachines der Beatniks und so weiter.
Ich lege mich wieder auf die Liege und frage, ob ich für die Session allein
im Raum sein kann. Frau Neustädter sagt, dass sie mich im Auge behalten
muss, setzt sich aber vor die offene Tür. Ich setze die Kopfhörer auf, der
Regen fällt, ich schließe die Augen. Locker lassen. Langsam kommt eine
dunkelorange Welle auf mich zu, als würde vor mir die Sonne aufgehen. Sie
bleibt da einfach stehen. Dann fängt sie an zu tanzen. Viele kleine Sonnen
brechen aus ihr aus, sie werden dunkelgelb, mir wird angenehm warm. Rot,
blau, gelb blinkt es. Es fühlt sich an, als würde man in einem fahrenden
Zug am Fenster sitzen, die Augen geschlossen; zwischen einem selbst und der
warmen Sonne nur ein paar vorüberziehende Bäume.
Rosa Punkte bilden einen Kreis auf einer gelb wogenden Fläche. Bloß nicht
denken. Dunkelgrüne Strahlen von allen Seiten, lindgrüne Kästchen, langsam
pulsierende orange Kreise. Ein violetter Farbschwall wischt alles weg, aus
der Mitte platzt das prächtigste Türkis, das ich jemals gesehen habe. Als
würde man in einem Kaleidoskop sitzen. Irgendwann kommt die dunkelorange
Sonne zurück. Sie verschluckt alle anderen Farben und geht dann langsam
unter.
Ich öffne die Augen, fühle mich entspannt und zufrieden, wie nach einer
Massage. Und ich bin hungrig. Das sei eine übliche Reaktion, sagt Elfriede
Neustädter: „Die meisten sind nach der Sitzung entweder hungrig, müde oder
voller Energie – je nach Programm und Ausgangslage.“
## Inspiration Nahtod
Erfunden wurde die Lucia No. 3 von zwei österreichischen Wissenschaftlern:
Engelbert Winkler, einem Psychologen und Psychotherapeuten und Dirk
Proeckl, einem Neurologen. „Engelbert Winkler hatte als Kind eine
Nahtoderfahrung, die er als heilsam empfand. Sie war ein Grund für ihn,
Psychologie zu studieren, und er forschte lange an einer Möglichkeit, diese
Erfahrung weitergeben zu können“, sagt mir Martin Duschek am Telefon. Er
macht von Tirol aus die PR-Arbeit für die Lucia No. 3.
Den Prototyp bauten die Erfinder ins Gehäuse einer roten Kaffeemaschine
ein. Die heutige Version der Lampe kostet etwa 18.000 Euro und wird mit
Software und Schulung geliefert. Duschek sagt, dass sich die Anzahl der
seit 2010 hergestellten Lampen im dreistelligen Bereich bewegt.
Einmal, berichtet Duschek im Gespräch, sei bei einer Sitzung wohl der
Ursprung einer Angststörung entdeckt worden. Der Klient ging danach in
Behandlung. Solche Reaktionen seien die Ausnahme. Aber sie sind der Grund
dafür, dass man vor einer Sitzung einen Zettel unterschrieben muss: „Bei
starken Depressionen und Angststörungen sollte eine Sitzung wenn, dann nur
unter ärztlicher Aufsicht passieren.“ Denn die Lampe, sagt Duschek, sei
vergleichbar mit einem Werkzeug, etwa einem Hammer – man könne
unterschiedlichste Dinge damit tun, je nachdem, wie man sie einsetze.
Die Wirkung einer Sitzung der Lucia No.3 könne tagelang anhalten, hatte mir
Frau Neustädter bei meiner Session gesagt – sie könne sich als Entspannung
oder auch als kreativer Prozess äußern. Bei mir ist an den Tagen nach der
Sitzung nicht mehr viel zu spüren. Aber es war ja auch nur eine Sitzung.
Und vor allem: nur ein bisschen Licht.
28 Aug 2016
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Licht
LSD
Sterben
Lesestück Recherche und Reportage
Instagram
Fotografie
Pflege
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nahtoderfahrungen: Ein neuronaler Tsunami
Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir sterben? Und wie prägen Kultur und
Herkunft, welche Bilder wir sehen? Was Forscher:innen über
Nahtoderfahrungen wissen.
Vom Leben und Sterben: Dem Tod so nah
Ostern ist das Fest der Auferstehung. Vier Menschen berichten von ihren
Nahtoderfahrungen – und wie sie ihre Haltung zum Leben bis heute prägen.
Depressionsdiagnose per Profilbild: Rorschachtest mit Instagram
Ein Algorithmus will anhand von Instagram-Fotos erkennen können, ob
Menschen depressiv sind. Wieder so eine Big-Data-Phantasie!
Licht sichtbar machen: Sonnenbrände auf Papier
Nicolai Howalt hat mit alten lichttherapeutischen Apparaturen Fotos
erstellt. Die zeigt das Braunschweiger Museum für Photographie.
Die Wahrheit: Die Verwandten sind da!
Flowerpower revistited: Aus dem Tagebuch eines botanisch über jede Gebühr
Verzweifelten (Teil 2).
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.