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# taz.de -- Regeln für einen politischen Umsturz: Wie man richtig putscht
> Bitte nicht im Berufsverkehr! Staatsfernsehen reicht nicht! Ein
> Staatsstreich will gut vorbereitet sein. Zehn goldene Regeln, die zum
> Erfolg führen.
Bild: Per FaceTime-Anruf rief Staatschef Erdoğan zum aktiven Widerstand gegen …
1. Für einen Militärputsch brauchen Sie zunächst einmal: Militär. Wer nicht
die besten Einheiten der Streitkräfte kommandiert oder deren Kommandeure
auf seine Seite gezogen hat, braucht gar nicht erst anzufangen. Man nehme
Präsidialgardisten und Fallschirmjägereinheiten, also die Elitetruppen. Von
Vorteil ist auch, auf das Stillhalten anderer Waffengattungen und Freunde
im Generalstab zählen zu können. Wer einen Bürgerkrieg anzetteln muss, um
zu putschen, steht schlecht da.
2. Sammeln Sie vorher Unterstützung im Volk. Sind die Leute alle zufrieden,
werden sie einen Umsturz nicht gutheißen. Die bisherige Regierung muss sich
selbst so unbeliebt gemacht haben, dass die Massen – oder zumindest Gruppen
von Menschen, die wie Masse aussehen – über ihren Sturz jubeln. Am besten
präsentieren sich die Putschisten als Spitze einer Volksbewegung, die vom
Vorgängerregime blutig unterdrückt wird. Die Opfer sollen den Putsch dann
als Rettung bejubeln, mit den putschenden Soldaten fraternisieren, Blumen
werfen und Fahnen schwingen. Leider lässt sich das meist nicht vorher
einüben. Jubelnde Mengen ersetzen nicht das eigene gezielte Vorgehen gegen
die bestehenden Institutionen.
3. Putschen Sie nicht im Berufsverkehr. Wer mit Waffengewalt Straßen
blockiert, auf denen die Leute nach Hause oder zur Arbeit wollen, macht
sich nur Feinde. Man putscht besser im Morgengrauen oder kurz davor; dann
hat man auch Zeit, Tatsachen zu schaffen, bevor die Leute alle aufwachen.
4. Erringen Sie sofort die Kontrolle über die Medien. Staats-TV und
-Rundfunk zu besetzen ist unerlässlich, aber man braucht auch die privaten
Medien sowie die sozialen Netzwerke, in denen Unterstützer des Putschs
rechtzeitig aktiv werden und bleiben. Im Staatsfernsehen sollte der
Putschführer sofort selbst auftreten.
5. Geben Sie sich zu erkennen. Wenn nur irgendwelche Panzer herumfahren und
ahnungslose Wehrpflichtige mit Gewehren herumlaufen, erzeugt das ein Gefühl
diffuser Bedrohung. Eine identifizierbare Führungspersönlichkeit muss so
schnell wie möglich in der Öffentlichkeit auftreten und etwas sagen, womit
das Volk sich identifizieren kann.
6. Achten Sie aufs Image: Sie putschen nicht für sich selbst, sondern Sie
opfern sich für die Nation. Erfolgreiche Putschisten agieren im Namen von
Demokratie und Freiheit, Recht und Ordnung, und zwar auch dann, wenn sie in
Wirklichkeit demokratische Institutionen hinwegfegen. Man verspricht freie
Wahlen, eine neue Verfassung, die Aufnahme von bisher Verfolgten in eine
Übergangsregierung und andere populäre Dinge. Immer gilt: Man verkündet,
nur schweren Herzens zur Tat zu schreiten und die Macht zum
frühestmöglichen Zeitpunkt an einen verfassungsgemäßen Nachfolger abgeben
zu wollen. Dieser kann man auch selber sein, aber das geht erst später.
7. Schießen Sie nur wenn nötig. Der erfolgreiche Putschist schützt das Volk
vor schießwütigen Schergen des bisherigen Diktators und eröffnet höchstens
zur Verteidigung der Zivilbevölkerung das Feuer. Er agiert, um Gewalt zu
beenden, nicht um sie zu eskalieren. Bombenwerfen auf Gebäude, Raketenfeuer
aus Hubschraubern, Plünderungen und Übergriffe oder wildes
Maschinengewehrknattern in den Straßen bringt in der Regel wenig und regt
die Leute unnötig auf.
8. Denken Sie sich einen schönen Namen aus. „Militärjunta“ heißt niemand
freiwillig. Wer sich „Staatsrat für Gesetz und Ordnung“ nennt, wird immer
autoritär aussehen. „Nationalrat für die Gesundung der Demokratie und die
Wiederherstellung des Staates“ ist schon besser. „Nationalkomitee für das
öffentliche Wohl und die Förderung der guten Laune“ hebt sofort die
Stimmung.
9. Vergessen Sie Ihren Vorgänger nicht. Der gestürzte Machthaber ist in der
Regel mit dem Putsch nicht einverstanden und wird alles tun, um ihn zu
stoppen. Er muss als Allererstes verhaftet oder getötet werden, oder er
darf von einer Auslands- oder Urlaubsreise nicht in die Hauptstadt
zurückkehren. Noch besser: Er wird vom Putsch überrascht und ergreift
öffentlich die Flucht, per Autokolonne ins Nachbarland oder Sonderflug in
die Nähe seines Bankkontos. Seine Kommunikation mit der Außenwelt muss
unterbunden werden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Putschisten
das vergessen und daran letztendlich scheitern.
10. Gehen Sie rechtzeitig wieder. Wer mit einem populären, unblutigen
Putsch eine Diktatur beendet, nur kurz an der Macht bleibt, bleibende
demokratische Institutionen gründet, sich aus der Politik zurückzieht und
dann als Elder Statesman Weisheiten verbreitet, wird für den Rest seines
Lebens verehrt und bekommt sogar den Friedensnobelpreis. Theoretisch
jedenfalls.
Die Ausnahmeregel: Sie sind schon an der Macht und kriegen nicht genug.
Dann inszenieren Sie einen Putsch einfach selbst. Ermutigen Sie über
Provokateure Ihre Gegner zum Putschversuch, oder tun Sie so, als putsche
jemand. Sorgen Sie dabei dafür, dass die angeblichen oder angestifteten
Putschisten mindestens drei der genannten Regeln nicht einhalten können.
Dann siegen nicht die Putschisten, sondern Sie. Sie können dann selbst als
Retter der Nation auftreten, Ihre Gegner als Terroristen verfolgen und
haben Ihre Ruhe. Jedenfalls solange niemand sonst auf die Idee kommt.
Die Anleitung „Richtig putschen“ lesen Sie in der [1][taz.am wochenende vom
23./24. Juli]. Sie ist Teil eines Dossiers über die Lage in der Türkei nach
dem Putschversuch. Darin finden Sie, unter anderem, auch ein
Erdoğan-Porträt der ehemaligen taz-Redakteurin Çiğdem Akyol, die gerade ein
Buch über den türkischen Präsidenten veröffentlicht hat.
26 Jul 2016
## LINKS
[1] /Ausgabe-vom-23/24-Juli-2016/!162606/
## AUTOREN
Dominic Johnson
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