| # taz.de -- Die Wahrheit: Alle Passagiere kielholen! | |
| > Auf dem Rückweg von Finnland den ersten Deutschen seit Wochen an Bord | |
| > eines Fährschiffs zu begegnen, kann einen in die Reling beißen lassen. | |
| Wir sind an Bord. Zum Schweinepreis von 94 Euro und 11 Cent. Das sind 689 | |
| dänische Kronen. Von Rødby in Dänemark zurück nach Puttgarden in | |
| Deutschland. Hinter uns liegt Finnland, Finnland, ach, Finnland … | |
| Auf dem Ticket steht der irrwitzige Satz: „Dieser Coupon berechtigt zum | |
| Erwerb von 1 Schachtel zollfreier Zigaretten pro Person. Nur für den Konsum | |
| an Bord!“ Die gesamte Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Nach dreizehn | |
| Minuten beginnt erst der Verkauf! Wie soll man ernsthaft eine Schachtel in | |
| 32 Minuten wegquarzen? Einige an Bord stellen sich der Aufgabe. Scheinbar | |
| erfolgreich. | |
| Später werde ich staunen, dass niemand bei Verlassen der „FS Deutschland“ | |
| untersucht wird nach verbliebenen Zigaretten. Oder haben alle erfahrenen | |
| Schmuggler die Zigaretten im Strumpf? Manche tragen doch überhaupt gar | |
| keine Strümpfe. Trotz „Wetter“, mehr als bedeckt, Wind und leichtem Regen, | |
| sind viele in Crocks und barfuß und kurzen Hosen und T-Shirt oder | |
| Trägershirt und Top hier auf dem Außendeck unterwegs und wundern sich | |
| jetzt, dass es während der Fahrt kalt wird! Wo waren die bloß? Sicher nicht | |
| in Finnland wie wir. Finnland, ach, Finnland … | |
| Finnland, das heißt 16 Menschen pro Quadratkilometer. In Deutschland sind | |
| es 229! Hier an Bord dieses winzigen Schiffs sind aber schon 1.124 Menschen | |
| – oder besser: Deutsche! Wochen lang haben wir keine getroffen. Nun sind | |
| plötzlich alle hier. Und es gibt sicher wunderbare Deutsche. Hier an Bord | |
| allerdings scheinen die anderen zu sein. So viel Dösigkeit auf einen Haufen | |
| hat man selten erlebt. | |
| Ein Paar in Hemdchen steht neben unseren Stühlen auf der Steuerbordseite | |
| des Schiffs, also – amateurhaft gesprochen – auf der rechten Längsseite. | |
| Der Wind weht sehr stark von vorn. Sie sagt: „Das weht hier zu doll!“ Er | |
| sagt: „Lass uns auf die andere Seite gehen. Da weht es sicher weniger!“ O | |
| heiliger St. Einfalt, wieso haben deine Jünger ausgerechnet hier | |
| angeheuert? | |
| Es gibt auch Küche. Hinter uns nimmt man Platz. Die immense Portion Pommes | |
| und die beiden Burger, die das an sich schon gewaltige Paar hier bei | |
| Windstärke vier bis fünf auf dem Außendeck verspeisen will, zeugt von einem | |
| gewissen Hang zur kalten Küche. Denn es dauert nur Sekunden und alles Salz | |
| ist von den Pommes geblasen wie auch alle Hitze aus den Burgern. Aber den | |
| beiden Leuchten der See fällt nichts Besseres ein, als sich zu beschweren, | |
| das Essen sei kalt! | |
| Familienweise werden Chips an Möwen verfüttert. Als ehemaliger Abonnent des | |
| Kleinen Tierfreunds mahne ich die Herrschaften: „Das ist viel zu salzig für | |
| die Tiere.“ Meine Freundin ergänzt: „Das Zeug tut nicht mal Ihren Kindern | |
| gut!“ Darauf werden wir beinahe von der versammelten Elternschaft eiskalt | |
| über Bord geworfen. | |
| Die klugen Möwen entschädigen uns ein wenig, zwicken sie doch heftig die | |
| Finger, mit denen Chips hochgehalten werden. Wir aber müssen unseren Jubel | |
| zügeln. Und können nur im Geiste alle Passagiere kielholen. Dafür haben wir | |
| jetzt noch exakt zehn Minuten Zeit … | |
| 19 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Gieseking | |
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