# taz.de -- Maßnahmen der Erdogan-Regierung: Weitere Verhaftungen, mehr Polizei | |
> Die türkischen Behörden nehmen weitere mutmaßliche Putschisten fest, die | |
> Polizeipräsenz wird hochgefahren. Und dann ist da noch die Diskussion um | |
> die Todesstrafe. | |
Bild: Auch am Sonntagabend gab es wieder Demos von Erdogan-Unterstützern, etwa… | |
ISTANBUL ap/rtr/epd/afp | Die türkische Regierung setzt ihr hartes Vorgehen | |
gegen mutmaßliche Putschisten unvermindert fort. Am Sonntagabend nahmen die | |
Behörden in Ankara 149 Polizisten fest, wie die amtliche Nachrichtenagentur | |
Anadolu meldete. Festgesetzt wurden zudem 70 Generale und Admirale. | |
Zugleich wurde in Istanbul, einem Brennpunkt des dramatischen | |
Umsturzversuchs, die Polizeipräsenz verstärkt: 1.800 Mitglieder von | |
Sondereinheiten wurden Staatsmedien zufolge aus den umliegenden Provinzen | |
zusammengezogen und in die Metropole beordert. | |
Die Zahl der Todesopfer bei dem gescheiterten Militärputsch stieg | |
offiziellen Angaben zufolge auf 294. Mehr als 1.400 Menschen seien verletzt | |
worden, teilte ein Regierungsvertreter mit. Von den Angaben zur Zahl der | |
Todesopfer seien „Terroristen“ indes ausgenommen. So bezeichnet die | |
Regierung die Putschisten. Jüngsten Angaben von Regierungsvertretern | |
zufolge kamen mindestens 104 Umstürzler ums Leben. | |
Die Türkei ringt noch immer mit den Folgen der Spirale aus Chaos und | |
Gewalt, die der Putschversuch am Freitag in Gang setzte. Die Behörden | |
hielten die Gefahr eines neuerlichen Machtkampfs offenbar für nicht gebannt | |
und riefen das Volk zur Wachsamkeit und zum Schutz der Demokratie auf. | |
In der Nacht kam es im ganzen Land zu neuen Solidaritätskundgebungen für | |
Präsident Erdoğan. Regierungschef Binali Yıldırım wandte sich auf dem | |
Kizilay-Platz in Ankara an versammelte Demonstranten und lobte den | |
Widerstand der rivalisierenden politischen Parteien gegen den | |
Umsturzversuch. Sie hätten trotz verschiedener Weltanschauungen Solidarität | |
gezeigt, erklärte er. Dies zeige, dass alles andere nebensächlich sei, wenn | |
es um das Land gehe. | |
## Vorgehen gegen Justiz und Militär | |
Beobachter gehen davon aus, dass Erdoğan den gescheiterten Umsturz zur | |
Festigung seiner Macht nutzen könnte. Den Putschversuch nannte er denn auch | |
ein „Geschenk Gottes“ und kündigt eine „Säuberung“ an. Das Vorgehen g… | |
seine Gegner beschränkt sich indes nicht nur auf das Militär, auch die | |
Justiz ist betroffen. Fast 3.000 Richter und Staatsanwälte wurden ihres | |
Amtes enthoben und Dutzende Juristen auch festgenommen. | |
Am Wochenende hatten mehrere türkische Parlamentsabgeordnete die | |
Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert. Präsident Erdoğan sprach sich | |
dafür aus, darüber Gespräche zu führen. | |
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die Türkei nach dem | |
gescheiterten Putsch-Versuch davor, sich von ihren westlichen Partnern | |
abzuwenden. „Die Nabelschnur überall durchzuschneiden, das wird den | |
Menschen in der Türkei nicht helfen“, sagte der Diplomat im | |
ZDF-Morgenmagazin am Montag. Sollte die Türkei die Todesstrafe | |
wiedereinführen, dann würde sie die Beitrittsverhandlungen mit der EU | |
selbst abwürgen. Asselborn forderte das Land und Präsident Erdoğan auf, mit | |
rechtsstaatlichen Mitteln auf den Putsch-Versuch zu reagieren. „Dieser | |
Putsch-Versuch ist keine Kleinigkeit.“ | |
## Asselborn fordert Rechtsstaatlichkeit ein | |
Die Mitgliedschaft der Türkei sowohl in der Nato, wie auch ihr | |
Beitrittkandidaten-Status in der EU habe etwas zu tun mit | |
Rechtstaatlichkeit, unterstrich Asselborn. Von einem Rechtsstaat könne man | |
zum Beispiel erwarten, dass dort die Gewaltenteilung gelte. Da sei es | |
befremdend, wenn nur wenige Stunden nach dem Putsch-Versuch fast 3.000 | |
Richter abgelöst werden sollten. „Die Türkei wird nicht zur Ruhe kommen“, | |
warnte der Politiker. Emotionen und starke Worte seien der falsche Weg. Die | |
Türkei sollte selbstkritisch in sich gehen und sich fragen, wie es möglich | |
sei, dass es überhaupt zu einem solchen Putsch-Versuch gekommen sei. | |
Richtig sei aber auch, dass die Türkei für Europa bei der Lösung der | |
Flüchtlingsfrage und im Kampf gegen die IS-Miliz ein wichtiger Partner sei. | |
Auch eine Reihe von Europapolitikern der Union äußerte sich mit Blick auf | |
die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei skeptisch. Wenn Präsident | |
Erdoğan die Situation ausnutze, „um weitere Verfassungsrechte | |
einzuschränken, dann werden die Beitrittsverhandlungen schwierig bis | |
unmöglich“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im | |
Europaparlament, Elmar Brok (CDU), dem in Düsseldorf erscheinenden | |
Handelsblatt. | |
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum | |
(CDU), forderte die türkische Regierung auf, die demokratischen Prinzipien | |
einzuhalten. Unrecht dürfe nicht mit Unrecht bekämpft werden, sagte er dem | |
Blatt. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein | |
undemokratischer Staat Mitglied der EU wird.“ | |
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte, nun die | |
Beitrittsverhandlungen ernsthaft zu überdenken. „Wer es spätestens bis | |
jetzt nicht gemerkt hat: Die EU-Türkei-Politik muss vollständig auf den | |
Prüfstand.“ | |
Die EU hatte ihre Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt im | |
Juni ausgeweitet. Beide Seiten vereinbarten damals den Beginn von | |
Gesprächen über Verhandlungskapitel 33 zu Haushaltsfragen. Die Eröffnung | |
hatten die EU-Staats- und Regierungschefs Ankara im März im Gegenzug für | |
die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland versprochen. | |
Die Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt laufen seit Oktober | |
2005. Nun sind 16 von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln eröffnet, in denen | |
die EU-Standards für eine Mitgliedschaft festgelegt sind. | |
18 Jul 2016 | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Putschversuch | |
Militärputsch | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
EU | |
Militärputsch | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
EU-Türkei-Deal | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit unter Türken in Deutschland: Als Gülen-Anhänger angefeindet | |
Nach dem Putschversuch in der Türkei steigen auch in Deutschland die | |
Spannungen zwischen Erdoğan-Anhängern und -Gegnern. | |
Der Putschversuch hat das Land verändert: Ich habe Angst | |
Der Gegenschlag trifft nicht nur Putschisten. Es kursieren schon Listen mit | |
den festzunehmenden linken Journalisten. Die Gefühlslage eines Kollegen vor | |
Ort. | |
Journalisten und der Militärputsch: Für die Türkei schreiben und streiten | |
Die Putschisten hatten sich breitere Unterstützung erhofft. Doch selbst | |
kritische Journalisten und Oppositionelle stellten sich dagegen. | |
Reaktionen auf Erdoğan-Politik: Kein EU-Beitritt bei Todesstrafe | |
Europas Politiker reagieren empört auf eine mögliche Wiedereinführung der | |
Todesstrafe in der Türkei. Präsident Erdoğan entlässt indes knapp 9.000 | |
Staatsbedienstete. | |
Kommentar Zukunft der Türkei: Der Putsch nach dem Putsch | |
Die säkulare türkische Republik ist Geschichte. Was kommt jetzt? Eine neue | |
Verfassung mit einem allmächtigen Präsidenten. | |
Türkei-Experte Günter Seufert: „Die Zeit der Putsche ist vorbei“ | |
Die Putschisten wollten wohl einer Säuberungsaktion zuvorkommen. Militär | |
und Regierung müssen sich neu arrangieren. | |
Debatte Chaos und schlechte Nachrichten: Die Ruhe ist vorbei | |
Wie konnte die Welt nur so in Unordnung geraten? Und kann es sein, dass in | |
der momentanen Verstörung auch eine Chance liegt? | |
Opposition im Bundestag zu Erdoğan: „Zusammenarbeit auf Eis legen“ | |
Nach den Reaktionen Erdoğans auf den Putschversuch fordern Linke und Grüne | |
eine harte Haltung der Bundesregierung. | |
Nach dem Putschversuch in der Türkei: Säuberungsaktion geht weiter | |
In der Nacht strömten Tausende auf die Straßen, um Erdogan ihre | |
Unterstützung zuzusagen. Der denkt indes über die Einführung der | |
Todesstrafe nach. |