Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Putschversuch in der Türkei: Eine dramatische Nacht
> Der Umsturzversuch ist gescheitert, es gab über 200 Tote und knapp 3.000
> Festnahmen. Präsident Erdoğan kündigt ein hartes Vorgehen an.
Bild: Er hat gewonnen: Recep Tayyip Erdoğan, hier von Anhängern in Fotoform b…
Istanbul taz/afp | Die Türkei hat eine der dramatischsten Nächte ihrer
jüngeren Geschichte hinter sich. Putschisten aus dem Militär hatten
versucht, Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierung zu
stürzen. Nach stundenlangen Kämpfen war in den frühen Morgenstunden klar:
der Putsch ist gescheitert.
Die Behörden übernahmen wieder die Kontrolle über das Parlament, das am
Samstagmorgen zu einer Sondersitzung zusammenkam. Die Situation sei
„vollständig unter Kontrolle“, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim. Es
seien 2839 Armeeangehörige – mutmaßliche Putschisten – festgenommen worde…
Präsident Erdoğan kündigte bereits ein hartes Vorgehen gegen die
„landesverräterischen Putschisten“ an.
Nach Angaben der Armee wurden 104 Putschisten getötet. Laut Regierungschef
Yildirim wurden zudem 161 weitere Menschen getötet – neben
Sicherheitskräften auch dutzende Zivilisten. Mindestens 1440 Menschen
wurden verletzt.
An den Schauplätzen der Kämpfe wird bereits aufgeräumt. Das Parlament soll
am Samstagnachmittag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Noch in der
Nacht hatten alle Parteien, auch die kurdisch-linke HDP und die
sozialdemokratisch-kemalistische CHP den Putschversuch verurteilt.
Bei aller Kritik an Erdoğan, so die HDP, „sind wir prinzipiell gegen einen
Putsch. Ein Staatsstreich ist nie eine Lösung“. Wie es am Samstagmorgen
aussieht, geht Staatspräsident Tayyip Erdoğan noch einmal enorm gestärkt
aus dem misslungenen Umsturzversuch hervor. Neben seinen Erfolgen an der
Wahlurne hat er nun auch noch gegen die Putschisten gesiegt.
## Kampfjets über Ankara und Istanbul
Der Putschversuch begann am Freitagabend um 22 Uhr gegen den Willen der
militärischen Führung. Kampfjets dröhnten über Ankara und Istanbul,
Soldaten besetzten die Brücken über den Bosporus, sperrten den Flughafen
und postierten sich an zentralen Plätzen in Ankara und Istanbul, wie dem
Taksim-Platz und dem Zentrum der asiatischen Seite von Istanbul in Kadiköy.
In Ankara griffen Kampfflugzeuge das Parlament an und das Militär besetzte
das Staatsfernsehen TRT. Anschließend wurde ein Kommuniqué verlesen, in dem
die Regierung für abgesetzt und eine Ausgangssperre erklärt wurde. Eine
Gruppe namens „Freiheit für die Türkei“ übernahm die Verantwortung.
Begründet wurde der Putsch mit der Abschaffung der Demokratie und des
Laizismus durch die Erdoğan-Regierung. Von den Putschisten trat jedoch
niemand vor die Kameras. Die Erklärung wurde von einer
Nachrichtensprecherin verlesen.
Bis dahin erinnerte der Ablauf noch an die drei seit 1960 erfolgreichen
Putschversuche der Armee gegen gewählte Regierungen. Was dann folgte, war
jedoch völlig anders als in der Vergangenheit. Kurz nachdem die Erklärung
der Putschisten im Staatsfernsehen gesendet worden war, tauchte Präsident
Erdoğan im laufenden Nachrichtenprogramm des privaten Senders CNN-Türk auf,
das Video-Interview wurde am Smartphone geführt.
Erdoğan behauptete der Putsch werde keinen Erfolg haben und rief seine
Anhänger dazu auf, massenhaft auf die Straße zu gehen um gegen die
Putschisten zu protestieren. Zu diesem Zeitpunkt war unklar, wo Erdoğan
sich aufhielt. Deutlich wurde jedoch bereits, dass der Putsch schwerlich
Erfolg haben würde, solange Erdoğan in Freiheit war. Das galt während der
gesamten Nacht übrigens auch für Ministerpräsident Binali Yıldırım und al…
anderen Kabinettsmitglieder, die laufend bei unterschiedlichen TV-Sendern
auftauchten.
## Imame unterstützen Erdoğan
Der Aufruf Erdoğans an seine Anhänger wurde von vielen seiner Wähler
befolgt, doch die Masse der Bevölkerung blieb erst einmal skeptisch und
wartete ab. Um Mitternacht gab es lange Schlangen vor Bankautomaten und
noch geöffneten Lebensmittelläden wo Leute sich für kommende unsichere
Zeiten noch schnell eindeckten. Unterstützt wurde die Mobilisierung der
Erdoğan-Anhänger durch zahlreiche Moscheen im Land. Immer wieder riefen
Imame über die Lautsprecher der Minarette dazu auf, auf die Straße zu gehen
um gegen die Putschisten zu protestieren.
Unterdessen gab es die unterschiedlichsten Gerüchte über den Verbleib
Präsident Erdoğans. Er hätte Asyl in Deutschland oder einem anderen
europäischen Land gesucht hieß es, zwischenzeitlich wurde gemeldet er sei
bereits in Teheran gelandet, doch tatsächlich war er offenbar die ganze
Zeit in einem Ferienressort an der Mittelmeerküste unweit des Hotels in
Marmaris, wo er zwei Tage zuvor seinen Urlaub begonnen hatte. Plötzlich
hieß es, Erdoğan kommt nach Istanbul.
## Showdown am Flughafen
Das Geschehen konzentrierte sich dann auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen.
Die AKP-Anhänger hatten sich soweit organisiert, dass sie nun massenhaft
zum Flughafen strömten. Im TV tauchten Bilder auf wie Demonstranten auf
Panzer kletterten und andere Panzer sich zurückzogen. Gegen drei Uhr
morgens landete Erdoğan schließlich in Istanbul wo ihn tausende Anhänger
auf dem Flughafen erwarteten.
Ministerpräsident Yıldırım berichtete, regierungstreue Truppen hätten die
Kontrolle am Flughafen übernommen, weshalb Erdoğan dann auch dort eine
große Pressekonferenz abhalten konnte. Erdoğan und Yıldırım sprachen zu
diesem Zeitpunkt schon nicht mehr von einem Putschversuch, sondern von
einem großangelegten Terrorangriff, der angeblich von dem in Amerika
lebenden Islamisten Fetullah Gülen angeordnete worden sei.
Die Gülen-Bewegung zählt seit 2013 zu den schärfsten Gegnern Erdoğans und
wird von diesem bis aufs Messer bekämpft. Bislang hatte man allerdings noch
nichts davon gehört, dass die säkulare Armee von der Gülen-Bewegung
unterwandert sei.
Mit dem Auftritt Erdoğans auf dem Flughafen in Istanbul war der Putsch
praktisch gescheitert. Ganz offensichtlich gingen jetzt die Teile der
Armee, die sich bis dahin abwartend verhalten hatten, aktiv zur Regierung
über. Wenig später verkündete Binali Yıldırım, Kampfflugzeuge der
regierungstreuen Truppen hätte Helikopter von Putschisten abgeschossen.
Auch an anderen Orten gingen jetzt Polizei, Gendarmerie und regierungstreue
Truppen gegen die Putschisten vor. Am Istanbuler Taksim-Platz kam es zu
Kämpfen, auf den Bosporus-Brücken ergaben sich die ersten Putschisten. Das
Parlament wurde noch einmal bombardiert, blieb aber in der Hand von Polizei
und Gendarmerie.
16 Jul 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Recep Tayyip Erdoğan
Binali Yıldırım
Schwerpunkt Türkei
Putschversuch
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess nach Putschversuch in der Türkei: Lebenslange Haft für Militärs
Vor drei Jahren versuchten sie zu putschen, das misslang. Nun sind 16
Ex-Generäle zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.
Ausnahmezustand in der Türkei: Grundrechte eingeschränkt
Der Ausnahmezustand gibt Erdoğan in etwa die Befugnisse, die er mit dem
angestrebten Präsidialsystem auf Dauer hätte.
Nach dem Putschversuch in der Türkei: Säuberungsaktion geht weiter
In der Nacht strömten Tausende auf die Straßen, um Erdogan ihre
Unterstützung zuzusagen. Der denkt indes über die Einführung der
Todesstrafe nach.
Kommentar Putschversuch in der Türkei: Phoenix aus der Asche
Die Möchtegern-Putschisten haben Erdoğan einen nachhaltigen Erfolg
beschert. So kann er seinen Mythos des unbesiegbaren Osmanen nähren.
Die Türkei am Tag danach: Ein Putschversuch, viele Fragen
So desorientiert sich die Putschisten verhielten, so genau weiß die
Regierung, was zu tun ist. Nur gegen die Gerüchte über das Geschehen kann
sie nichts tun.
Putsch-Historie der Türkei: Wenn die Panzer rollen
1960, 1971, 1980: Politische Umstürze durch das Militär haben in der Türkei
eine gewisse Tradition. Die Streitkräfte verstehen sich als Hüter des
Kemalismus.
Reaktion der Erdoğan-Regierung: Über 2.500 türkische Richter entlassen
Nach dem Putsch beginnt das Aufräumen. Laut Berichten wurden zehn
Mitglieder des türkischen Staatsrats festgenommen. 2.745 Richter wurden
entlassen.
Putschversuch in der Türkei: Totenstille und Kriegslärm
Als der Putsch droht, sind sich alle politischen Lager plötzlich einig.
Protokoll einer Nacht, in der alles möglich schien.
Onlinemedien beim Putschversuch: Erdoğan mag Twitter doch
Akteure und Beobachter waren in der Nacht auf Online-Kanäle wie Twitter und
Facetime angewiesen – ironischerweise auch Präsident Erdoğan.
Internationale Reaktionen: Schulterschluss mit Leerstelle
Politiker aus aller Welt stellen sich an die Seite der Demokratie in der
Türkei. Der Name Erdoğan fällt in den Solidaritätsadressen allerdings
nicht.
Putschversuch des türkischen Militärs: Mindestens 60 Tote
Die türkische Regierung erklärt, die Lage unter Kontrolle zu haben.
Hunderte Militärs werden verhaftet. Bei Zusammenstößen sterben viele
Menschen.
Putschversuch in der Türkei: Ringen um die Macht über die Armee
Teile des Militärs erklären, die Kontrolle über das Land zu haben. Die
Regierung widerspricht. Bei Kämpfen zwischen den Lagern sterben mehrere
Menschen.
Folgen der türkisch-kurdischen Kämpfe: Diyarbakır, eine Stadt ohne Zukunft
Bei kurdisch-türkischen Kämpfen wurde die Altstadt von Diyarbakır
weitgehend zerstört. Jetzt wendet sich die Kulturstadträtin an die Unesco –
erfolglos.
Kolumne Gott und die Welt: Erdoğans Verschwörung
Wesentliche Persönlichkeiten der späteren türkischen Republik sollen
Freimaurer gewesen sein. Kein Grund, gleich Verschwörungstheorien zu
verfallen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.