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# taz.de -- Folgen der türkisch-kurdischen Kämpfe: Diyarbakır, eine Stadt oh…
> Bei kurdisch-türkischen Kämpfen wurde die Altstadt von Diyarbakır
> weitgehend zerstört. Jetzt wendet sich die Kulturstadträtin an die Unesco
> – erfolglos.
Bild: Juli 2014: Sûr, die Altstadt von Diyarbakır, in besseren Zeiten
ISTANBUL taz | Nevin Soyukaya hat lange auf diese Gelegenheit gewartet. Die
Kulturstadträtin von Diyarbakır ist mit einer kleinen Delegation nach
Istanbul gekommen, um bei der Unesco, jener UN-Organisation, die das
Weltkulturerbe der Menschheit erhalten soll, um Unterstützung zu bitten.
Jetzt sitzt Mechthild Rössler, die Chefin des Unesco-Sekretariats in Paris,
vor ihr.
„Wir wollen wissen, was die Unesco dazu sagt, dass das Weltkulturerbe Sûr,
die Altstadt von Diyarbakır, in weiten Teilen zerstört wurde und wir als
Betroffene bis heute daran gehindert werden, diesen von der Armee
abgeriegelten Teil Diyarbakırs zu betreten“, sagt Soyukaya. Die vor allem
kurdischen Bewohner seien vertrieben und viele Kulturdenkmäler zerstört
worden, aber bis jetzt könnten sie noch nicht einmal eine genaue
Bestandsaufnahme der Schäden machen. „Doch von der Unesco, die Sûr und die
antiken Stadtmauern 2012 zum Weltkulturerbe erklärt hat, hören wir nichts.“
Auch deswegen hat World Heritage Watch, ein Dachverband verschiedener
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zu diesem Treffen im Vorfeld der
offiziellen Unesco-Tagung in Istanbul eingeladen.
Die Altstadt von Diyarbakır war eines der Zentren des Aufstands, den
kurdische Jugendliche mit Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) im Herbst letzten Jahres begonnen hatten und der ab
Dezember mit massivem Einsatz der Armee und Sondereinheiten der Gendarmerie
niedergeschlagen wurde. In Diyarbakır dauerten die Kämpfe bis Ende April
an.
Die Altstadt Sûr bestand aus engen Gassen, die teilweise aus römische
Zeiten stammten. Östlich der von Norden nach Süden verlaufenden Hauptstraße
war Kriegszone, im Westen sind die meisten Häuser nach wie vor bewohnt. Um
die von den Aufständischen errichteten Gräben und Barrikaden zu beseitigen,
hat die Armee sich mit Panzern und schwerer Artillerie den Weg
freigeschossen.
## Syrien und Irak geht es schlechter
Mechthild Rössler hört ungerührt zu. Als Chefin der Unesco-Behörde ist sie
häufig mit Erwartungen konfrontiert, die sie nicht erfüllen kann. Sie hat
wenig Mittel, wenig Leute und sie muss auf die politischen Befindlichkeiten
der Mitgliedsländer Rücksicht nehmen. Deshalb kommt von ihr nicht mehr als
eine routinierte Abwehr der Vorwürfe.
„Wir haben die Entwicklungen in Diyarbakır im Blick“, sagt sie. „Es wird
auf der laufenden Unesco-Jahrestagung einen Report dazu geben.“ Viel
Hoffnung macht sie den Betroffenen nicht. Was sind schon die Schäden in
ihrer Stadt im Vergleich zur Vernichtung des Kulturerbes in den
Nachbarländern Syrien und Irak. Außerdem ist die Türkei Gastgeber der seit
Sonntag in Istanbul tagenden Unesco-Jahresversammlung, und dem Gastgeber
tritt man ungern auf die Füße.
Für den türkischen Unesco Botschafter Hüseyin Avni Botsalı sind die
Beschwerden aus Diyarbakır denn auch nichts anderes als Propaganda. Es gebe
gute NGOs, mit denen er gerne zusammenarbeite, erklärt er. Aber es gebe
auch solche, denen es nicht ums kulturelle Erbe der Menschheit gehe,
sondern „um Propaganda für ganz andere Zwecke zu machen“. Botsalı nennt
keine Namen, aber jeder weiß, was gemeint ist: die PKK.
Ganz anders sieht es Koçero Topdemir. Der 50-jährige Handwerker ist
Gemeindevorsteher eines Unterbezirks in Sûr. „Ich musste Sûr im März
verlassen, als mein Haus beschossen wurde“, berichtet er. „Doch auch
nachdem Sûr Ende April von der Armee komplett eingenommen worden war,
durfte ich nicht zurück.“ Einmal habe er sich in der Nacht an den
Polizeiposten vorbei in sein Haus geschlichen. „Eine Außenwand ist zerstört
und mein kompletter Haushalt ist weg. Kühlschrank, Fernseher, Sofa, alles
verschwunden.“
## Teile der Altstadt enteignen
Topdemir lebt nun zusammen mit seiner Familie und anderen Familien aus Sûr
zusammengepfercht in einer Wohnung in der Neustadt von Diyarbakır, die sie
gemeinsam gemietet haben. In ihr altes Haus werden sie wohl nie mehr
zurückkehren können.
„Wie es in dem ehemaligen Kampfgebiet genau aussieht, wissen wir nicht“,
sagte Ercan Ayboga, einer der Koordinatoren des Unesco-Projekts in
Diyarbakır. „Aber Luftaufnahmen zeigen fußballfeldgroße Freiflächen in
einem Gebiet, dass zuvor so eng bebaut war, dass man die Gassen mit einem
Auto nicht passieren konnte.“ In diesem Teil der Altstadt liegen auch
historische Moscheen und armenische und aramäische Kirchen. Die erst vor
vier Jahren nach jahrelanger Restauration wiedereröffnete armenische
Grigorius-Kirche soll ebenfalls beschädigt sein.
Die Regierung hat nun angekündigt, dass große Teile der Altstadt, auch
solche, die bislang nicht zerstört sind, enteignet werden sollen. Die
Gebäude sollen abgerissen und das Gebiet geschlossen neu bebaut werden.
Während die Bewohner ihre Häuser nicht mehr betreten dürfen und auch die
Stadtverwaltung von Diyarbakır keine Informationen bekommt, besuchte der
zuständige Umwelt- und Städtebauminister Mehmet Özhaseki kürzlich mit
ausgesuchten Journalisten das Schlachtfeld.
Für die bisherigen Bewohner von Sûr werde es drei Möglichkeiten geben,
erklärte er anschließend: Diejenigen, die nachweisen können, dass ihnen ein
Haus in Sûr gehört, sollen anderswo in Diyarbakır oder einer anderen Stadt
ein Haus zugewiesen bekommen oder aber eine Entschädigung erhalten. Sie
könnten auch eines der neu gebauten Häuser erwerben. Da aber die Bewohner
von Sûr in der Regel arm sind, würde es darauf hinauslaufen, dass sie aus
ihrer bisherigen Heimat vertrieben werden.
Das ist wohl kein Zufall, sondern eher ein gezielter Bevölkerungsaustausch,
durch den zukünftige Aufstände verhindert werden sollen. Neue Bewohner
stehen vielleicht auch schon bereit. Präsident Erdoğan hat angekündigt,
dass er syrischen Flüchtlingen die türkische Staatsbürgerschaft anbieten
und sie in neuen Siedlungen unterzubringen will – zum Beispiel in
Diyarbakır, fürchten Anwohner. Ganz egal, was die Unesco dazu sagt.
11 Jul 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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