# taz.de -- Fidel Castros 90. Geburtstag: Bald Held, bald Gott | |
> Wer ist der Revolutionsführer? Zu seinem 90. blickt eine kubanische | |
> Journalistin auf Fidel Castro. Sie beschreibt, wie sich sein Bild | |
> gewandelt hat. | |
Bild: Paradieren vor den Augen des Revolutionsführer | |
Für Kinder, die jünger als zehn Jahre sind, muss Kuba ein sehr verwirrender | |
Ort sein. Ein Land, umgeben von Salzwasser, wo die Erwachsenen Schlange | |
stehen, um dringend benötigte Produkte zu kaufen, wo die Erwachsenen auch | |
Schlange stehen, um nicht ganz so dringend benötigte Produkte zu kaufen, | |
und wo die Erwachsenen außerdem Gehälter verdienen, die weder für die eine | |
noch die andere Kategorie ausreichen. | |
Ein Land im permanenten Konflikt mit den Vereinigten Staaten. Ein Land, wo | |
dieser Konflikt plötzlich ganz subtil wird. Und zwischen Krieg und Frieden | |
18 Monate der Geheimgespräche, die sich Kinder unter zehn Jahren so | |
vorstellen wie Szenen aus dem „Grafen von Monte Christo“. In diesen Tagen | |
muss Kuba für Kinder unter zehn Jahren noch verwirrender sein. | |
Vor zehn Jahren hat Fidel Castro die Macht abgegeben. | |
Am 8. August steht in der Granma,der offiziellen Zeitung der | |
Kommunistischen Partei Kubas, dass auf dem größten Messegelände des Landes | |
Ausstellungen, Wettbewerbe und Sportfeste stattfinden werden, um den 90. | |
Geburtstag Fidel Castros zu feiern. Granma schreibt allerdings nicht „Fidel | |
Castro“. Sie lassen den Nachnamen weg. Sie schreiben „Fidel“, ganz trocke… | |
und damit ist Nähe ausgedrückt. Für Granma ist diese Nähe vollkommen | |
logisch. Für Kinder unter zehn Jahren überhaupt nicht. | |
## Ein Führer aus einer anderen Zeit | |
In den Wettbewerben werden Kinder Bilder von Fidel malen, in anderen werden | |
Fragen zu Leben und Werk Fidels beantwortet, was mehr oder weniger das | |
Gleiche ist, obwohl die Ausdrucksweise ein bisschen variiert. Es ist sehr | |
wahrscheinlich, dass die Bilder, die die Kinder unter zehn Jahren malen, | |
von anderen Bildern abgemalt sind, die ihrerseits von historischen Fotos | |
abgemalt sind und die sie entweder auf großen Reklametafeln oder im | |
Fernsehen gesehen haben. | |
Für die Kindern unter zehn Jahren, die sich vermutlich nicht an die wenigen | |
öffentlichen Auftritte Fidel Castros seit 2006 erinnern können, ist der | |
historische Anführer der kubanischen Revolution genau das: ein Führer aus | |
einer Zeit, die nicht mehr die Gegenwart ist. Geschichte. | |
Die Zehnjährige, die ich 1996 in jenem Kuba war, das eine Massenflucht in | |
Richtung USA hinter sich hatte und sich mitten in der „Sonderperiode“ | |
befand (eine Art, die tiefe Wirtschaftskrise zu bezeichnen, die in eine | |
soziale Krise überging und fast auch zu einer politischen Krise geführt | |
hätte), hat auch an Geschichtswettbewerben teilgenommen. | |
Ich erzählte auswendig den Überfall auf die Moncada-Kaserne nach, eine der | |
kühnsten militärischen Aktionen der Guerilla, um die Batista-Diktatur zu | |
Fall zu bringen. Ich erzählte von der Ankunft politischer Gefangener auf | |
der Isla de Pinos nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne. Einer dieser | |
politischen Gefangenen, der später eine Amnestie erhielt, war Fidel Castro. | |
Ich berichtete vom Einzug der Bärtigen in Havanna am 8. Januar 1959. Ich | |
malte die Falten und den langen Bart des Mannes nicht nach alten Fotos von | |
vor Jahrzehnten, sondern nach bewegten Bildern seiner stundenlangen Reden | |
vor den Vereinten Nationen oder auf der Plaza de la Revolución, wohin mich | |
mein Opa mitnahm. | |
## Mein Großvater verließ als Erstklässler die Schule | |
Für das zehnjährige Mädchen, das ich war, war Kuba ein verwirrender Ort, | |
der von einem Mann regiert wurde, der immer Grün trug. Einem Mann, den | |
einige Erwachsene mit gesenkter Stimme und sehr geheimniskrämerisch | |
kritisierten, während andere Erwachsene ihn lautstark hochleben ließen. | |
Der Junge von zehn Jahren, der mein Großvater war, musste keinen Fidel | |
Castro malen, denn es existierte kein Fidel Castro. Und wenn er Fragen zur | |
Geschichte hätte beantworten müssen, wäre er vermutlich durchgefallen, denn | |
er konnte nicht lesen und schreiben. Als Erstklässler ließ er die Schule | |
Taguasco, Zentralkuba, hinter sich, um auf der Finca zu arbeiten, die | |
seinem Vater nie gehörte. Später sammelte er die Leiche seines Bruders ein, | |
den ein Hauptmann der Regierungsarmee erschossen hatte wegen seiner | |
Verbindungen zur Guerilla. Und dann kehrte er nach Havanna zurück, zur | |
alten Finca, seiner eigenen, denn sie war ihm durch das erste Gesetz zur | |
Landreform übertragen worden. | |
Vor kaum einer Woche rief eine dieser Zehnjährigen, für die Kuba ein ganz | |
besonders verwirrender Ort sein muss, aus Ecuador bei ihrer Oma in Havanna | |
an. Kurz bevor Ecuador die Visumspflicht für Kubaner eingeführt hatte, | |
hatten das Mädchen und seine Mutter die Insel verlassen. Heute sind sie | |
zwei der mehr als 15.000 Kubaner, die „illegal“ in Ecuador sind. Die | |
Hoffnung der Mutter, wie die so vieler kubanischer Emigranten in jenem | |
südamerikanischen Land, ist es, in die Vereinigten Staaten zu kommen. | |
Für die Zehnjährige müssen die USA genauso verwirrend sein wie Fidel | |
Castro. Sie versteht nicht, was die kürzliche Weigerung Mexikos bedeutet, | |
erneut eine Luftbrücke für die kubanischen Flüchtlinge einzurichten wie | |
zuvor für jene, die in Costa Rica und Panama festgesessen hatten. | |
Sie hält ein Schild hoch, mit dem sie auf einem Foto ist, das morgen in den | |
Zeitungen veröffentlicht wird: „Papst Franziskus, lass nicht zu, dass die | |
Kinder in den Dschungel gehen!“ Die Route durch den Dschungel, die Route | |
der Verzweifelten, ist der schnellste Weg, wenn die Abkommen zwischen den | |
Regierungen versagen. Das Mädchen weiß nicht, dass sie vielleicht nie in | |
den USA ankommen wird, trotz der Bemühungen ihrer Mutter, trotz des | |
Schildes mit der Botschaft an den Papst, das sie in der Hand hält. | |
Aus Havanna fragt ihre Oma jede Woche in den wenigen Minuten, die sie | |
telefonieren können, ob das Kind nicht nach Kuba zurückwill. Auf der | |
anderen Seite der Leitung antwortet das Mädchen in einem fürchterlich | |
ruhigen Ton: „Ja, Oma. Aber erst, wenn Fidel tot ist.“ | |
## Sie plappert Worte nach | |
Die Zehnjährige weiß nicht, was Fidel ist. Sie plappert, so gut es geht, | |
die Worte nach, die aus dem Mund ihrer Mutter kommen. Die Zehnjährigen, die | |
an diesem 13. August seine Gesichtszüge malen, verstehen ebenfalls nichts | |
von dem Mann und seiner Präsenz, an die mein Opa und ich uns erinnern. Sie | |
plappern, so gut es geht, die Ideologie nach, die sie in ihren Familien und | |
in den Geschichtsbüchern in der Schule gelernt haben, ohne jede | |
Möglichkeit, den Mann infrage zu stellen, der bald zum Helden, bald zum | |
Gott geworden ist. | |
Aus dem Spanischen von Bernd Pickert | |
13 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Elaine Díaz Rodriguez | |
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