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# taz.de -- CSU-Politiker Alois Glück: Stilles Gewissen einer lauten Partei
> Fast vier Jahrzehnte prägte Alois Glück die CSU entscheidend mit. Doch
> seine Kritik an Seehofers Flüchtlingspolitik will kaum jemand hören.
Bild: Als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken war Alois Gl�…
Irschenberg taz | In Tagen wie diesen vergisst man es leicht, aber die CSU
kann auch leise. Nach den Anschlägen von Würzburg, München und Ansbach
macht die CSU wieder lautstark Stimmung gegen die Merkel’sche
Willkommenskultur. Innenminister Joachim Herrmann bezeichnet den Zuzug der
Flüchtlinge als „relevantes Sicherheitsrisiko“ und fordert schnellere
Abschiebungen – auch in Kriegsgebiete. Ministerpräsident Horst Seehofer
poltert gegen die „Besserwisser“ und „Bedenkenträger“, die nicht
vorbehaltlos an den starken Staat glauben. Jetzt werde gehandelt und von
Berlin und Brüssel werde man sich da bestimmt nichts sagen lassen.
Lautstarke Kraftmeierei dieser Art dürfte ganz nach dem Geschmack vieler
Christsozialen sein. Aber es gibt auch andere in der Partei. CSUler wie
Alois Glück. Fast vier Jahrzehnte lang hat er die Partei entscheidend
mitgeprägt. Jetzt macht er sich Sorgen um sie.
Wir treffen Glück an dem Tag, an dem abends ein junger Mann in Ochsenfurt
in den Zug steigen und mit einer Axt auf mehrere Menschen einschlagen wird.
Davon ahnt freilich niemand etwas. Alois Glück sitzt auf der Terrasse der
Kaffeerösterei Dinzler, direkt neben der Autobahnraststätte Irschenberg,
bestellt einen Espresso und will nichts sagen. Eigentlich. Er hält nichts
von diesen grauen Eminenzen, die immer so schlau daherreden. Aber in
Wirklichkeit muss er natürlich etwas sagen. Er kann ja gar nicht anders.
Schließlich geht es um die CSU. Seine CSU.
Allzu viel Zeit hat Alois Glück nicht. Er ist auf der Durchreise. Das Café
hat er nicht wegen des schönen Bergpanoramas als Treffpunkt gewählt,
sondern weil es sich gleich neben der Autobahnausfahrt Irschenberg
befindet. Bei seinem Abschied aus der aktiven Politik hat Glück erklärt,
sich von nun an wieder mehr um seine Hobbys kümmern zu wollem, die
Fotografie und die Berge. Es blieb bei dem Vorsatz. Statt in die Berge zu
fahren, wird der 76-Jährige heute mal wieder einen Großteil des Tages auf
der Autobahn verbringen. 350 Kilometer. Erst weiter nach München,
Vorstandssitzung bei der Hanns-Seidel-Stiftung, abends eine
Diskussionsveranstaltung zum Thema Rechte Gewalt in Berchtesgaden.
## Glück steht für das C und das S im Parteinamen
Nur zögerlich hat sich Glück auf dieses Gespräch eingelassen. Ein paar Tage
danach bittet er darum, keine seiner Aussagen aus dem Gespräch im exakten
Wortlaut zu zitieren.
Seit seinem Abschied aus dem Landtag hält sich Glück mit parteipolitischen
Äußerungen zurück. Die Performance seiner Partei in der Flüchtlingskrise
hat ihm jedoch sichtlich missfallen. Zuwanderung, Demografischer Wandel und
Digitalisierung – die Politik steht nach seiner Auffassung vor den größten
Herausforderungen seit Jahrzehnten. Und was hat die CSU als Antwort zu
bieten? Nicht genug, findet Glück. Deshalb hat er nun sein Schweigen
gebrochen – wenn auch schweren Herzens.
Wenn einer das C und das S im Parteinamen verkörpert, dann er. Das Gewissen
der CSU haben sie ihn oft genannt. Über die Katholische Landjugendbewegung
fand er zur Politik, 1970 war er zum ersten Mal im Landtag. Er blieb 38
Jahre. Fraktionschef war er und Landtagspräsident. Und Chef der
CSU-Grundsatzkommission. Seine Schwerpunkte: Umwelt- und Sozialpolitik.
## „Die CSU ist keine Protestpartei“
Nach seinem Abschied aus der aktiven Politik ließ er sich noch für ein paar
Jahre zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken wählen.
Glück war stets erster Ansprechpartner, wenn es um Gott und die Welt ging.
Wer CSU-Parolen à la Markus Söder oder Andreas Scheuer hören will, ist bei
Alois Glück freilich am falschen Platz. Dass Deutschland „nicht das
Sozialamt der Welt“ sei – das ist nicht seine Sprache.
Irgendwann im Frühjahr war es dann zu viel. Er hat sich hingesetzt und
seine Sorgen zu Papier gebracht. Erste Fassung, zweite Fassung,
zwischendrin haben Freunde es gelesen, die Akzente verschoben sich, die
Essenz blieb. Anfang Juni stellte Glück das Papier ins Netz ([1][hier als
PDF]). Etwas versteckt zwar, auf der Website seines Kreisverbands, aber
immerhin. Er will ja eigentlich nichts sagen. 21 Seiten waren es dann:
„Diskussionsbeitrag zum weiteren Weg unserer CSU“. Noch ein Interview mit
der Passauer Neuen Presse, und das war’s.
„Die CSU ist keine Protestpartei“, heißt es gleich am Anfang seines
Papiers. Der Satz wird noch einige Male wiederholt. Momentan höre er aus
der Partei zu häufig nur, was man nicht wolle, sagt Glück heute dazu. Das
sei etwa bei Merkels Flüchtlingsabkommen mit der Türkei so gewesen. Wenn
dann nur rumgemosert werde, bringe einen das nicht weiter. Da müsse man
schon Alternativen aufzeigen. Wie die aussehen sollten, dafür hat auch
Glück keinen Masterplan. Ihm geht es um eine Wertedebatte, nicht um
konkrete Problemlösungen in der Tagespolitik.
## Die CSU müsse mehr „Obacht“ geben
Weil die Werte in der CSU-Politik fehlten, meint Glück bereits eine
Entfremdung zwischen der Partei und den Menschen zu beobachten. „In den
letzten Wochen“, schreibt er, „haben mir viele Menschen, die bislang CSU
gewählt haben, erklärt, dass sie und ihre Familie sich nicht mehr in der
Lage sehen, CSU zu wählen.“ Vor allem die, die sich sozial engagierten, und
die kirchlich orientierte Kernwählerschaft. Die CSU müsse Obacht geben,
dass sie nicht ihre besten Wähler vergraule. Immer wieder fällt in dem
Gespräch die Vokabel „Obacht“.
Glück registriert einen starken Wunsch der Menschen nach Orientierung – in
einem Maß, wie er es in 50 Jahren noch nicht erlebt hat. Leitkultur? Der
Begriff lasse sich schwer konkret fassen – vor allem wenn er im Gesetz
stehe. Gern zitiert Glück hierzu eine Studie aus Österreich: Dort forderten
80 Prozent, dass Österreich ein christliches Land bleiben müsse, aber nur
50 Prozent wüssten über den christlichen Hintergrund des Osterfestes
Bescheid.
Glück ist nicht der Einzige, den solche Gedanken umtreiben. Mehrere
Parteigranden haben sich in den vergangenen Wochen besorgt zu Wort
gemeldet. Ob der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel, der frühere
Kultusminister Hans Maier oder der ehemalige Landtagspräsident Johann Böhm
– sie alle äußerten sich kritisch über den gegenwärtigen Kurs ihrer Parte…
## Parteispitze will Warnungen nicht hören
Die Parteispitze reagiert jedoch oft herablassend auf die Warnungen ihrer
Veteranen. Parteichef Seehofer hat sich immerhin mal für anderthalb Stunden
mit Glück zusammengesetzt. Verkehrsminister Alexander Dobrindt soll laut
der Süddeutschen Zeitung gespottet haben: Die Beiträge seien so ernst zu
nehmen wie die von Heiner Geißler in der CDU.
Und Generalsekretär Andreas Scheuer knöpfte sich Glück direkt vor: „Bei
allen Verdiensten von Alois Glück in der Vergangenheit: seine einseitige
Sichtweise ist unzutreffend“, [2][ließ er im Bayernkurier verlauten]. „Es
gibt keine andere Partei, die gerade in der Flüchtlingskrise so nah an den
Sorgen und Bedürfnissen der ganzen Bevölkerung ist.“ Scheuer ist Jahrgang
1974. Als er auf die Welt kam, machte Glück gerade Wahlkampf – vier Wochen
vor seiner Wiederwahl als Landtagsabgeordneter.
Tut es weh, vom Nachwuchs der eigenen Partei als ein Mann der Vergangenheit
abgetan zu werden? Glück schüttelt den Kopf. Das nehme er nicht ernst. Mit
eigener Kritik an der Parteispitze oder in der Frage der Seehofer-Nachfolge
hält sich Glück aber bedeckt. Seine größte Sorge seien die Leute, die den
Menschen nur erzählten, was sie hören wollten, und nur über das redeten,
was Beifall bringe. Das sei keine Führungsleistung. Wer damit wohl gemeint
sein könnte? Manchmal braucht es gar nicht so viel Fantasie.
2 Aug 2016
## LINKS
[1] http://www.csu-traunstein.de/download/?file=csu__weiterer_weg_2._juni_2016.…
[2] https://www.bayernkurier.de/inland/14272-umfrage-als-meinungsmache
## AUTOREN
Dominik Baur
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CSU
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Horst Seehofer
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