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# taz.de -- Papst besucht Auschwitz: Keine Stille, aber Schweigen
> Der Auschwitz-Besuch von Papst Franziskus beeindruckt. Trotz des
> Medienrummels verzichtet das Kirchenoberhaupt auf Worte.
Bild: Gemessenen Schrittes durchschreitet Franziskus das Tor zum Stammlager
Warschau taz | In Schweigen, stillem Gebet und – so Gott mir die Gnade der
Tränen gibt – weinend“, so wollte Papst Franziskus die Nazi-Konzentrations-
und -Vernichtungslager Auschwitz und Auschwitz-Birkenau besuchen. Damit hat
er sich am Freitag klar von seinen Vorgängern abgesetzt.
Der aus Polen stammende Johannes Paul II. hatte noch 1979 in
Auschwitz-Birkenau, dem größten jüdischen Friedhof weltweit, eine heilige
Messe mit Zehntausenden Katholiken gefeiert. Benedikt XVI. aus Deutschland
stellte in seiner Gedenkrede 2006 die Deutschen als „von den
Nationalsozialisten Verführte“ dar und klagte Gott an, „geschwiegen“ zu
habe. Beide Auftritte waren gut gemeint, aber unangemessen.
Auch Papst Franziskus wird sich überlegt haben, was er angesichts von über
einer Million in Auschwitz-Birkenau ermordeter europäischer Juden sagen
sollte, neben den Holzbaracken hinter dem so friedlich wirkenden
Birkenwäldchen. Wie er der insgesamt sechs Millionen Schoah-Opfer gedenken
sollte, ohne die rund 70.000 polnisch-christlichen Auschwitz-Opfer oder die
Millionen Kriegsopfer zu übergehen. Doch am Ende bekannte er, dass er nicht
in der Lage sei, das in Worte zu fassen, was er angesichts des unfassbaren
Massenmords in Auschwitz-Birkenau empfinde. So wurde die im Programm
zunächst vorgesehene Ansprache von Papst Franziskus gestrichen.
Doch in Stille oder gar allein mit sich selbst durch das Tor mit der
Aufschrift „Arbeit macht frei“ zu gehen oder durch das Tor zum
Vernichtungslager Birkenau entlang der Schienen und der berüchtigten Rampe
hin bis zu den Gaskammer-Ruinen – das war unmöglich. Überall tummelten
sich Sicherheitskräfte, Bodyguards, Polizisten und Fotografen, die mit
störend lauten „Schnellschüssen“ den Papst in jeder Pose festzuhalten
versuchten.
## Langsam, still
Dennoch gelang es dem Oberhaupt der katholischen Kirche mit seinem stummen
Gesten, den langsamen Schritten und den stillen Gebeten die Pilger vor Ort
und die Zuschauer vor den Fernsehern am „Schweigen angesichts des Grauens
in Birkenau“ teilhaben zu lassen. Dazu gehörte auch, dass die vielen jungen
Leute – nach offiziellen Angaben rund 300.000 –, die gemeinsam mit dem
Pontifex nach Auschwitz und Auschwitz-Birkenau wollten, hinter Absperrungen
warten mussten.
Erst nachdem der Papst mit Auschwitz-Überlebenden ein paar persönliche
Worte gewechselt und den „Gerechten unter den Völkern“ dafür gedankt hatt…
dass sie im Zweiten Weltkrieg jüdische Nachbarn und Freunde gerettet
hatten, durften sie die Gedenkstätte besuchen. Da war der Papst schon auf
dem Rückweg nach Krakau.
Nur in der Todeszelle des Franziskanermönchs Maximilian Kolbe im Stammlager
Auschwitz war es für einen Moment tatsächlich still. Zwei fest montierte
Kameras zeichneten auf, wie der Papst in der allein von Kerzen erleuchteten
Zelle still betete. Zwanzig lange Minuten saß er da auf einem niedrigen
Hocker. Vom Lärm draußen war in der Todeszelle des später
heiliggesprochenen Märtyrers nichts zu hören. Vor Papst Franziskus beteten
dort auch schon seine Vorgänger, doch – wie es schien – sehr viel kürzer.
Für Juden war dieser Teil des Papst-Programms nur schwer zu ertragen. Denn
Kolbe ging zwar freiwillig für einen katholischen Familienvater in den
Hungerkarzer, ließ aber vor dem Zweiten Weltkrieg in zwei katholischen
Massenblättern gegen Juden hetzen. Da Polen das „biologische Hauptreservoir
des Weltjudentums“ sei, das „sich wie ein Krebsgeschwür in den Volkskörper
frißt“, hieß es beispielsweise im Mały Dziennik, gebe es nur eine Lösung:
„Die Juden müssen emigrieren.“
Polens orthodoxer Oberrabbiner Michael Schudrich, der am großen Mahnmal für
die ermordeten Juden Europas das Totengebet Kaddisch spricht, hält das
Schweigen in Auschwitz-Birkenau dennoch für richtig. Doch an einem anderen
Ort solle man unbedingt über die Schoah reden. Auch Papst Franziskus.
29 Jul 2016
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Auschwitz
Papst Franziskus
Holocaust
Flüchtlinge
Lesestück Meinung und Analyse
Elie Wiesel
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Reinhold Hanning
Imre Kertész
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