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# taz.de -- Professorin über akademisches Prekariat: „Bestenfalls eine Kopie…
> Tausende HochschullehrerInnen unterrichten, ohne bezahlt zu werden. Ein
> Skandal, sagt die Philosophieprofessorin Theda Rehbock.
Bild: Wer die Lehrbefugnis einmal hat, muss jedes Semester unterrichten. Die Un…
taz: Frau Rehbock, Sie müssen wie Tausende andere
HochschullehrerInnen unterrichten, haben aber keinen Anspruch auf
Bezahlung. Wie ist das möglich?
Theda Rehbock: Ich war Privatdozentin und bin außerplanmäßige
Professorin. Ich habe also die Lehrbefugnis, aber keine
Professorenstelle. Um die Lehrbefugnis nicht zu verlieren, also
regelmäßig lehren zu können, muss ich auch lehren, und zwar
wöchentlich zwei Stunden im Semester. Diese Lehrverpflichtung
besteht ohne Anspruch auf Vergütung. Das ist die sogenannte
Titellehre. Einziger Lohn ist die Aufrechterhaltung des Status
und des Titels als Privatdozent.
Steht das so im Gesetz?
Das ist von Bundesland zu Bundesland und von Uni zu Uni
unterschiedlich. In Bayern etwa steht das so im Hochschulgesetz. In
Sachsen nicht. Seit Kurzem gibt es an der TU Dresden eine Ordnung zur
Verleihung des Titels „Privatdozent“, in der steht: Wer nicht zwei
Stunden in der Woche lehrt, verliert den Titel. Damit verliert er den
Status als Hochschullehrer und die Aussicht, je auf eine
hauptamtliche Professur berufen zu werden. Ich als
außerplanmäßige Professorin musste eine gleich lautende
Vereinbarung unterzeichnen: ohne Anspruch auf Vergütung – was
natürlich nicht heißt, dass eine Vergütung nicht möglich wäre.
Und warum zahlen die Unis nicht?
Die Uni gibt nicht mehr aus, als sie muss. Sie kann damit rechnen, dass
diese Lehre ohne Bezahlung stattfindet, und profitiert davon. Warum
sollte sie Geld verpulvern?
Wie viele Stunden haben Sie schon umsonst unterrichtet?
Ich habe die Titellehre glücklicherweise oft vermeiden können,
indem ich an einer anderen Uni Lehraufträge oder befristete
Stellen angenommen habe. In diesen Fällen kann man von der
Titellehre entbunden werden. Die Uni muss dem aber nicht zustimmen.
Ich bin auf die Gnade des Dekans angewiesen. Dennoch: Ich habe
bestimmt fünf Semester Kurse angeboten, ohne dafür Geld zu
bekommen. Wenn man das hochrechnet, sind das allein 150 Stunden, die
ich vor Studenten gestanden habe. Da sind ja Vorbereitung,
Sprechstunden oder das Korrigieren nicht mit gerechnet. Unter den
Bedingungen der neuen Studiengänge im Bachelor und Master sind
Prüfungsleistungen heute fester Bestandteil von
Lehrveranstaltungen, auch dafür gibt es keinerlei Vergütung.
Haben Sie nie mit Ihrer Uni verhandelt?
In einem Fall habe ich einen Kurs in Medizinethik gegeben, der stark
nachgefragt wurde. Dort konnte man ihn als bezahlten Lehrauftrag
abrechnen. So eine Finanzierung zu finden ist aber sehr mühsam. Das
Wohlwollen der Institute ist da begrenzt, genau wie der
finanzielle Spielraum. Manchmal bekommen Sie noch nicht mal ein
eigenes Büro. Ich habe schon im Seminarraum Sprechstunden
abgehalten. Und als Privatdozent muss man alles selbst machen. Ein
ordentlicher Professor hat eine Sekretärin, wissenschaftliche
Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte. Privatdozenten
bekommen bestenfalls eine Kopierkarte.
Was sagen denn hauptamtliche Kollegen oder die Vertreter der
Universität, wenn Sie sie auf diese Ungerechtigkeit ansprechen?
Das wird oft nicht als ungerecht gesehen, das ist immer so gewesen.
Das heißt: immer so seit 1970. Davor gab es das Hörergeld, das
Privatdozenten seit dem 19. Jahrhundert erhalten haben. Das System
wurde aber abgeschafft. Der immer schon als arm und mittellos
bekannte Privatdozent ist seitdem noch ärmer und mittelloser. Man
geht einfach davon aus, dass er Interesse daran hat, regelmäßig
lehren zu können, um seine Karrierechancen zu erhalten.
In Regensburg wurde ein Privatdozent als „Trinkgeldprofessor“
bekannt, weil er in einem Café arbeiten muss. Können Sie von Ihrer
Lehre leben?
Gott sei Dank ja, zwar nicht immer, aber weitgehend. Ich habe
regelmäßig an anderen Orten befristete Professurvertretungen,
Gastprofessuren oder bezahlte Lehraufträge erhalten. Daraus
entsteht aber ein anderes Dilemma. Bewirbt man sich um solche
Stellen und ist mehr an anderen Unis tätig, hat man Schwierigkeiten,
an seiner eigenen zum außerplanmäßigen Professor ernannt zu
werden. Man ist ja nie da, das wird nicht gern gesehen, obwohl man sich
auf diesen bezahlten Stellen in höherem Maße für die
außerplanmäßige Professur qualifiziert. Ich möchte mich aber
nicht zum Nulltarif ausbeuten lassen, sondern qualifizierte Lehre
mit hohem Einsatz anbieten können.
Ihr Regensburger Kollege hat bei der Titellehre von staatlicher
Erpressung gesprochen. Schließen Sie sich dem Urteil an?
Auf jeden Fall. Wer nicht lehrt, verliert die Möglichkeit, sich auf
Stellen zu bewerben. Das ist eine Nötigung zur unentgeltlichen
Berufsausübung.
Vermissen Sie die Solidarität der KollegInnen, die das schon
hinter sich haben?
Das eine ist die rhetorisch bekundete Solidarität. Da gibt es
viele, die die aktuelle Situation wortreich als skandalös
beschreiben. Das andere ist dann der Umgang miteinander in den
Instituten. Manche Professoren begegnen einem auf Augenhöhe.
Andere lassen einen schon spüren, dass sie höher stehen. Noch was
anderes ist, ob sich jemand dann noch für dieses Anliegen aktiv
engagiert. Da wird der Personenkreis immer kleiner. Vielfach hört
man: Man muss sich halt anstrengen, dann kriegt man eine Professur.
Es gibt doch Tausende Privatdozenten und außerplanmäßige
ProfessorInnen. Warum organisieren sie sich nicht?
Es gibt bisher nur die seit Jahrzehnten aktive Initiative
Berliner Privatdozenten. Die Deutsche Gesellschaft für
Philosophie hat aber jetzt eine wichtige Initiative ergriffen und
ein Vernetzungstreffen organisiert, an dem ich teilgenommen habe.
Da waren auch Vertreter vom Deutschen Hochschulverband und von der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die uns in rechtlichen und
anderen Fragen beraten und ebenfalls beginnen, aktiv zu werden.
Derzeit arbeiten wir eine Reihe von Forderungen aus.
Lassen Sie mich raten: Abschaffung der Titellehre …
Nein, nicht unbedingt. Aber in der jetzigen Form ohne Vergütung und
fast ohne Rechte: ja! Solange es die Habilitation gibt, gibt es
auch Privatdozenten und außerplanmäßige Professoren, deren
Situation man nicht ignorieren kann. Andere Konzepte wie die
Juniorprofessur haben sich in Deutschland bisher nicht
durchgesetzt.
NaN NaN
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
Prekariat
Hochschule
Lesestück Recherche und Reportage
Johanna Wanka
Gewerkschaft
Humboldt-Universität
Bildung
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