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# taz.de -- EMtaz: Pöbelnde Schland-Fans: „Nie wieder Public Viewing“
> M. guckt in einer deutschen Kneipe ein EM-Spiel – und wird beleidigt und
> bedroht. Der Deutsch-Italiener über Nationalismus, Aggressionen und
> Fansein.
Bild: Italians not welcome?
Herr M., wie ist es als Italiener, ein wichtiges Spiel gegen Deutschland
beim Public Viewing zu sehen?
Es ist beleidigend und verletzend. Ich mache respektloses Verhalten vieler
Deutscher bereits seit 2006 mit.
Was ist denn passiert?
Ich war mit drei Freunden in einer Kneipe in Lübeck. Wir haben das Spiel
geguckt, eigentlich herrschte eine gute Stimmung. Natürlich war die Lage
angespannt, je länger das Spiel dauerte. In der zweiten Halbzeit fiel das
Özil-Tor für Deutschland – alle haben sich gefreut. Als Italien jedoch den
Elfmeter nach Boatengs Handspiel bekommen hat, ging es los: Ich hab
gejubelt, als der Schiedsrichter auf Elfmeter entschieden hat. Ich war der
einzige Italiener im ganzen Laden.
Wie reagierte das Publikum darauf?
Erst haben sich einige umgedreht. Dann gepöbelt. Mich stellten sofort drei,
vier Typen zur Rede und fragten: „Wieso freust du dich?“ Ich sagte: „Weil
ich für Italien bin. Vielleicht bin ich Italiener.“ Dann fiel das Tor.
Wie ging es weiter?
Ein Typ neben mir fing an, mich bei jeder Aktion anzupöbeln, die irgendwie
gegen Deutschland lief. „Der Scheiß-Itaker soll seine Fresse halten“, war
noch eine der netteren Sachen. Er hörte gar nicht mehr auf und wollte, dass
ich auf seine Provokationen eingehe.
Haben Sie reagiert?
Ich wollte gar nicht reagieren. Ich wollte einfach nur das Spiel gucken –
es war ja auch total spannend. Aus demselben Grund hatte ich auch kein
Italien-Trikot angezogen. Das mache ich schon länger nicht mehr: Ich habe
einfach keinen Bock mehr auf die dummen Sprüche. Die kommen automatisch,
wenn man ein Italien-Trikot trägt. Der Hinweg zur Kneipe wäre scheiße
gewesen. Und der Rückweg sowieso. Egal, wie es ausgegangen wäre.
Haben Sie durchgehalten, nicht zu reagieren?
Zunächst habe ich überhaupt nichts gesagt, vielleicht mal blöd
rübergelächelt. Aber irgendwann nach etwa zehn bis 15 Minuten hatte ich
genug, und hab dem Typen gesagt, dass er seine „Fresse halten und mich in
Ruhe Fußball gucken lassen“ soll. Sofort stand jemand hinter mir,
vermutlich ein Freund von dem Typen, und sagte: „Wir können das hier auch
anders regeln.“ Mein Freunde, die übrigens auch für Deutschland waren,
beschwichtigten in dieser Situation erstmal.
Aber das hielt nicht lange an?
Bei der nächsten guten Situation für Italien freute ich mich wieder. Sofort
hörte ich von hinten: „Dem Scheiß-Itaker ziehe ich gleich meinen Bierkrug
über den Kopf!“ Die Leute hatten mehr Spaß daran, sich mit mir zu
beschäftigen und mich zu beleidigen, als das Spiel zu gucken.
Wie viele Leute waren insgesamt in der Kneipe?
Circa 80 bis 100 Personen. Beschimpft haben mich vielleicht acht oder zehn
Leute. Einer entschuldigte sich später sogar noch bei mir. Nach den
rassistischen und sexistischen Sachen, die der mir an den Kopf geworfen
hatte, hatte ich daran allerdings wenig Interesse. Keine Ahnung, wozu er
sich überhaupt entschuldigt, wenn er mich fünf Minuten vorher noch
„italienische Schwuchtel“ genannt hat.
Wie ging der Abend zu Ende?
Ich habe meine Rechnung bereits in der 117. Minute bezahlt. Das
Elfmeterschießen habe ich mir in der Tür angeschaut, um nach dem Ende, egal
wie es ausginge, sofort den Laden verlassen zu können. Ich hatte keine Lust
auf eine Kneipenschlägerei.
Wie war es nach dem letzten Elfmeter?
Ich bin sofort abgehauen. Auf dem Heimweg traf ich noch eine Gruppe von
etwa 20 Jugendlichen, die „Scheiß-Italiener“ skandierten. Ähnlich wie die
deutschen Fans im Stadion. Ich frage mich, warum einige Deutsche ihre
Freude immer als Überlegenheit interpretieren und Hass auf den Gegner
projizieren? Warum feiern die nicht etwa Jonas Hector, der den
entscheidenen Elfmeter gemacht hat?
Die Gruppe Jugendlicher wusste allerdings nicht, dass Sie Italiener sind,
oder?
Nein, aber ich war so angefressen, dass ich denen meine Meinung sagte: „Was
labert ihr denn hier? Freut euch doch lieber, dass Deutschland gewonnen
hat.“ Die Situation drohte sofort zu eskalieren: Drei Typen kamen auf mich
zu, wollten sich offenbar prügeln. Ich ging zügig weiter. Anschließend
warfen mir die Jugendlichen Bierdosen hinterher.
Wo ist für Sie die Grenze zwischen harmlosem Anfeuern und Nationalismus?
Wenn man sich mehr über die Niederlage des Gegners freut, als dass man den
eigenen Triumph feiert. Von mir aus kann auch jeder Deutschland-Fan nach
einem Foul sagen, dass Chiellini ein Arschloch ist. Aber sobald das auf
Italiener verallgemeinert wird, ist es problematisch. Und natürlich, wenn
man Personen außerhalb des Spiels persönlich oder rassistisch beleidigt.
Ein „Wichser“ oder „Arschloch“ halte ich vielleicht noch aus, aber
rassistische und sexistische Beleidigungen wie „italienische Schwuchtel“
gehen gar nicht.
2014 haben die deutschen Spieler nach dem Titel auch die argentinische
Nationalmannschaft mit dem Gaucho-Dance verhöhnt.
Das war respektlos. Man macht sich in diesem Moment über seinen Gegner
lustig, statt die eigene Leistung zu feiern.
Ist das ein deutsches Problem?
Schwer zu sagen. Ein deutscher Freund von mir hat das Viertelfinale
witzigerweise in Italien gesehen. Der hat gesagt, dass selbst nach der
italienischen Niederlage die Stimmung harmonisch war. Ich habe schon viele
Spiele bei und mit Italienern, Türken, Kroaten oder auch Spaniern geguckt,
bei denen es gegen Deutschland oder deutsche Teams ging. Da wurde immer
respektvoll miteinander umgegangen und niemals die Mannschaft aufgrund
ihres Deutschseins etwa als „Kartoffeln“ beschimpft.
Welche Folgen hat der jüngste Vorfall für dich?
Ich werde in Zukunft auf keinen Fall ein Spiel zwischen Deutschland und
Italien in der Öffentlichkeit gucken. Ich schaue mir die Spiele dann mit
der Familie oder Freunden an. Ich habe keine Lust mehr, mir einen schönen
Fußballabend durch rassistisches Gepöbel oder noch Schlimmeres versauen zu
lassen: In der Kneipe hatte ich jeden Moment das Gefühl, dass die Lage
eskaliert und es gleich eine Schlägerei gibt.
6 Jul 2016
## AUTOREN
Gareth Joswig
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Public Viewing
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