# taz.de -- EMtaz: Einsatz für Can und Weigl?: Generationenwechsel vorgezogen | |
> Eigentlich mag Bundestrainer Joachim Löw keine Experimente. Die | |
> Verletzungen seiner Stammspieler zwingen ihn aber jetzt dazu. | |
Bild: On va voir wer spielt | |
PARIS taz | Vor einigen Tagen war es erneut so weit. Joachim Löw hob zu | |
seiner turnierüblichen Lobrede auf die Ersatzspieler an, die abermals eher | |
den Charakter einer Beileidsbekundung hatte. Mit fast gleichlautenden | |
Formulierungen, wie er sie bereits bei der WM 2014 in Brasilien oder der WM | |
2010 in Südafrika gefunden hatte. Er unterstrich vor dem Viertelfinale | |
gegen Italien die „wahnsinnige Charakterstärke“ seiner zur Passivität | |
gezwungenen Fußballer und versicherte: „Ich kenne die Sorgen und Nöte von | |
Spielern, wenn sie nur trainieren können und ihre Qualitäten nicht zeigen | |
dürfen.“ | |
Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht wissen, wie sehr er bald doch auf | |
die Qualitäten des ein oder anderen angewiesen sein wird. In Marseille im | |
Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich (Donnerstag, 21 Uhr, ZDF) muss er den | |
gesperrten Mats Hummels, die verletzten Mario Gomez und Sami Khedira | |
ersetzen. Möglicherweise fällt auch Bastian Schweinsteiger aus. Es kommt | |
also Bewegung in den Kader von Löw, der bei der Stellenbesetzung der | |
Anfangself ansonsten sehr konservativ vorgeht. Julian Weigl und Emre Can, | |
die sich bereits mit ihrer Zuschauerrolle abgefunden hatten, könnten zu | |
ihren ersten Einsätzen kommen. | |
Joachim Löw ist seit jeher personell und taktisch auf Sicherheit bedacht. | |
Seine Vorliebe für den Ballbesitz und das Offensivspiel steht nicht im | |
Widerspruch dazu. Der spanische Style folgt erfolgreich der Überzeugung, | |
dass Angriff die beste Verteidigung ist. Ein Dogma, das allerdings seit | |
geraumer Zeit eine gewisse Brüchigkeit aufweist. | |
Bei dieser EM hat Italien nicht nur Spanien, sondern auch Löw belehrt, dass | |
dies nicht immer zutrifft, weshalb dieser seine Strategie anpasste. Die | |
oberste Maßgabe blieb, möglichst große Kontrolle über das Spiel auszuüben. | |
Insofern baut die jüngste Debatte, ob das deutsche Team gegen Italien nicht | |
auf seine eigenen Stärken hätte vertrauen sollen, statt sich nach dem | |
Gegner auszurichten, falsche Gegensätze auf. Löw ist sich treu geblieben. | |
## Kimmich brachte viel Schwung ins Establishment | |
Seine Vorsicht lässt nur Experimente im begrenzten Rahmen zu. Nach dem | |
Gewinn des WM-Titels 2014 kann man dafür Verständnis aufbringen. Wer führt | |
im Ernstfall in seine Erfolgsformel schon gern unbekannte Variablen ein? | |
Und doch hat Löw bereits Mut zur Veränderung bewiesen. Sehr dezent zwar, | |
die Wirkung sollte man aber nicht unterschätzen. Mit der Hereinnahme von | |
Joshua Kimmich im Laufe des Turniers hatte keiner gerechnet. Ein Risiko, | |
das beim Gegner Nordirland sich noch im Rahmen hielt, an dem der Trainer | |
aber festhielt, nachdem Kimmich so viel Schwung ins DFB-Establishment | |
gebracht hatte. | |
Diese Erfahrung hat bei Löw offensichtlich Spuren hinterlassen. Seine Ruhe | |
trotz der vielen Ausfälle vor der so bedeutsamen Partie gegen Frankreich | |
wirkt nicht gespielt. Er traut Weigl oder Can zu, eine ähnliche Rolle wie | |
Kimmich zu spielen. Und für die Entwicklung der Nationalmannschaft haben | |
derlei bestandene Feuerproben eine viel größere Wirkkraft als jeder noch so | |
gelungene Freundschaftsspielauftritt. Insofern kann man die Personallage | |
auch als große Chance verstehen. | |
Hummels wird kaum gleichwertig zu ersetzen sein, Schweinsteiger und Khedira | |
dagegen haben mit ihren Auftritten verdeutlicht, dass ein | |
Generationenwechsel im defensiven Mittelfeld eher kurz- als mittelfristig | |
ansteht. Was ihre physische Dynamik angeht, scheinen sie mittlerweile | |
selbst an den Grenzen ihrer eigenen Möglichkeiten zu leiden. „Ein Spieler | |
wie Emre Can würde unserem Spiel sicherlich gut tun“, sagte Löw. Und | |
ergänzt: „Aber Julian Weigl ist auch ein sehr, sehr guter Spieler.“ | |
Auch wenn die Verletzungsnot ihn nun zum Experimentieren zwingt, bleibt | |
festzuhalten: Löws Kontrollzwang hat deutlich nachgelassen, auch im Umgang | |
mit der Öffentlichkeit. Nahm er bei der WM in Brasilien nur Pflichttermine | |
mit den Journalisten wahrnahm, ist er in Frankreich zu einer Plaudertasche | |
geworden. Er hat sich schon mehrmals freiwillig für die Pressekonferenzen | |
gemeldet. | |
7 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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