| # taz.de -- EMtaz: Deutschland vor der Reifeprüfung: Actio und Reactio | |
| > Wenn die DFB-Elf am Samstagabend auf Italien trifft, steht für Joachim | |
| > Löw viel auf dem Spiel. Es geht um die Aufarbeitung eines Traumas. | |
| Bild: Löw und Co-Trainer Schneider auf der Suche nach Lösungen: Vielleicht st… | |
| Paris taz | Manchmal ist es verdammt schwierig, die Realität in ihrer | |
| Originalität zu übertreffen. Wer hätte sich in seiner Fantasie ausmalen | |
| können, dass nach vier gespielten Begegnungen die deutschen Gewinner dieser | |
| EM Julian Draxler, Joshua Kimmich und Mario Gómez heißen? | |
| Beim WM-Titelgewinn 2014 durfte Draxler nur einmal eine Viertelstunde | |
| mitwirken, als er beim Stande von 6:0 gegen Brasilien keinen Schaden mehr | |
| anrichten konnte. Kimmich hatte damals gerade seine erste Drittligasaison | |
| mit RB Leipzig hinter sich gebracht. Und Gómez galt als Relikt deutscher | |
| Rumpelfußballerzeiten. | |
| Natürlich hatte Bundestrainer Joachim Löw diesen eindimensionalen Blick auf | |
| Gómez nie geteilt. Draxler und vor allem Kimmich haben sich in den | |
| vergangenen beiden Jahren mehr und mehr in den Vordergrund spielen können. | |
| Größere Rollen in der Weltmeisterelf traute diesem Trio jedoch keiner zu. | |
| Das Besondere besteht aber darin, dass keiner der drei sich wirklich sicher | |
| sein kann, ob er tatsächlich auch in der Anfangself gegen Italien am | |
| Samstag in Bordeaux (ARD/ZDF, 21 Uhr) stehen wird. | |
| Am ehesten hat sich noch Draxler mit seinem Mut zum Dribbling unverzichtbar | |
| gemacht. Bei Gómez wird Löw vielleicht schon zu denken geben, wie leicht es | |
| den Italienern bislang gefallen ist, Stoßstürmer wie den Spanier Álvaro | |
| Morata oder den Belgier Romelu Lukaku wie Zuschauer erscheinen zu lassen. | |
| Und die Zweifel, ob Kimmich die rechte Abwehrseite bei erhöhtem Betrieb | |
| wirklich dicht halten kann, werden sich angesichts der italienischen | |
| Vorliebe, die Angriffe über die Außenseiten zu initiieren, möglicherweise | |
| verstärken. | |
| Duell der Trainer | |
| Kurzum: Auch die zuletzt Auffälligen sind austauschbar. „Wir müssen es | |
| schaffen, dass wir variabel sind, taktisch und personell“, so lautet die | |
| Devise von Joachim Löw vorm Viertelfinale. Seine Entscheidungen bekommen im | |
| Laufe des Turniers immer mehr Gewicht. Auf den ersten Blick ist die Lage | |
| mit der seines italienischen Kollegen Antonio Conte vergleichbar. Bei | |
| Mannschaften, die nicht von den Geniestreichen ihrer Ausnahmekönner leben, | |
| werden die Regiepläne mit viel größerer Aufmerksamkeit studiert, die | |
| Anweisungen, nach denen das jeweilige Kollektiv sich über den Platz bewegt. | |
| Die Arbeit der Trainer rückt in den Vordergrund. Deshalb wird die Partie | |
| zwischen Italien und Deutschland vor allem als Duell zwischen Löw und | |
| Conte, weniger als eines zwischen Gómez und Graziano Pelle oder zwischen | |
| Jérôme Boateng und Giorgio Chiellini wahrgenommen. | |
| Im Unterschied zu Conte kann Löw dabei weniger gewinnen. Sein Kader ist mit | |
| überdurchschnittlich guten Spielern gesegnet, die größtenteils bei | |
| europäischen Spitzenklubs unter Vertrag stehen. Beim italienischen Team | |
| dagegen fällt eher die exzellente Durchschnittlichkeit der Spieler auf. Die | |
| Juventus-Fraktion in der Defensive stellt das Besondere dar. Conte ist | |
| zurzeit derjenige, der aus Stroh Gold spinnt, Löw indes soll das Team | |
| wieder einmal seiner Bestimmung zuführen: Europameister zu werden. | |
| Ein Anspruch, an dem Joachim Löw bei der EM 2012 grandios gescheitert ist. | |
| Daran wird er in diesen Tagen allein deshalb permanent erinnert, weil der | |
| Gegner damals im Halbfinale auch Italien hieß. In der ersten Erregung | |
| glaubten damals einige, die DFB-Elf habe verloren, weil sie die | |
| Nationalhymne nicht so enthusiastisch gesungen habe wie die italienischen | |
| Kollegen. Doch dann konzentrierte sich die Kritik auf Löw und seine | |
| taktische Aufstellung, die zu sehr auf den Gegner und deren Ausnahmespieler | |
| Andrea Pirlo ausgerichtet gewesen sei, statt sich auf die eigenen Stärken | |
| zu besinnen. | |
| Löws Fallhöhe ist extrem hoch | |
| Recht lässig hat Löw in dieser Woche auf diese ollen Kamellen reagiert: | |
| „Man kann sich auch mal verzocken. Es war eine gute Lehre.“ Löws Erfolge | |
| verdanken sich gewiss auch seinem Pragmatismus. Er arbeitet ganz offen nach | |
| der Trial-and-Error-Methode. Nationalmannschaften eignen sich sowieso nicht | |
| als Projektionsfläche für detailversessene Konzepttrainer mit | |
| Perfektionsanspruch. Man muss sich wie Löw auf etwas gröberes Schnitzwerk | |
| verstehen. | |
| Zu populistisch wirkt dagegen die nun vielfach verbreitete Lehre aus dem | |
| verpatzten EM-Finaleinzug 2012, man müsse sich nur auf die eigenen Stärken | |
| besinnen, dann funktioniere das Ganze schon. Die These hat ihren Reiz, | |
| zumal für ein Team, das gerade zwei überzeugende Auftritte gegen Nordirland | |
| und die Slowakei zeigte. Mario Gómez etwa empfahl, man müsse einfach mit | |
| der gleichen Begeisterung weiterspielen, um ins Halbfinale zu gelangen. | |
| Aber Löw ist sich bewusst, dass die Angelegenheit deutlich komplizierter | |
| ist. „Wir machen uns Gedanken, wie die Italiener gegen uns spielen werden, | |
| wie sie uns schlagen wollen“, sagt er. Es geht bei diesem Spiel um Actio | |
| und Reactio, um das Wechselwirkungsprinzip. Italien ist mit seinen | |
| schlagkräftigen Ideen zu einer Herausforderung herangewachsen, auf die erst | |
| einmal Antworten gefunden werden müssen. Keine Mannschaft kann es sich | |
| leisten, weder nach links noch nach rechts zu schauen. | |
| Es wird also äußerst spannend, wie und mit wem Löw spielen lässt. Die | |
| Fallhöhe ist bei allem Respekt vor den Italienern für den Bundestrainer | |
| hoch. Sollte er Veränderungen vornehmen, die sich negativ auswirken, wird | |
| er vielleicht sein Déjà-vu-Erlebnis haben. Möglich ist auch, dass Mario | |
| Götze am Ende als der strahlende Sieger im Mittelpunkt steht. Wie eingangs | |
| erwähnt, die Realität kann sehr originell sein. | |
| 2 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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