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# taz.de -- EMtaz: Flüchtlinge und die EM: Hoffen auf Deutschland
> Die Bewohner einer Berliner Unterkunft unterstützen die Elf von Joachim
> Löw. An ihre Zeit in Italien haben viele sehr schlechte Erinnerungen.
Bild: Der junge Somali Seleban will am Samstag die deutsche Elf anfeuern
Berlin taz | Auch heute Abend wird Seleban in seinem Berliner
Flüchtlingswohnheim vor dem Fernseher sitzen. Der 21-jährige Somali ist ein
begeisterter Fußballfan. Und er wird die deutsche Mannschaft kräftig
anfeuern. Doch das heutige Spiel ist ein besonderes: Deutschland spielt
nicht gegen irgendjemanden, sondern gegen Italien, gegen jenes europäische
Land, das er auf seiner Flucht aus Afrika als erstes betreten hat.
Das war im November 2014. Es war kalt. „Wir mussten auf der Straße
schlafen, durften nicht arbeiten und hatten nichts zu essen“, erinnert sich
Seleban an die widrigen Umstände. Wie viele Flüchtlinge wollte er nur eins:
raus aus Italien. Weiter. Nach Deutschland.
Hier musste er fast ein Jahr lang eine Dublin-Rückführung nach Italien
fürchten. Mit viel Geschick hat seine Anwältin das für den behinderten
Somali abgewendet. Als sie ihm die freudige Nachricht übermittelt hatte,
legte er ein italienisches Fußballtrikot vor seine Zimmertür.
Das hatte er in Italien in einer Kleiderkammer abgestaubt und getragen, als
er in Deutschland ankam. Nun diente es als Fußabtreter. Mit seiner ganzen
Leidenschaft trat der junge Somali immer wieder darauf herum. Über Wochen.
Bis es verschlissen war.
## Fußball verbindet
Seleban wohnt in einem AWO-Wohnheim in Berlin-Treptow. Hier sind
ausschließlich Männer untergebracht, und Fußball ist für die Flüchtlinge
aus verschiedenen Staaten ein wichtiges und verbindendes Thema.
Das Heim hat ein eigenes Fußballteam, das am offiziellen Liga-Geschehen
teilnimmt. Die Männer aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan und
Eritrea kicken als dritte Männermannschaft des FC Treptow in der Kreisliga
C.
Während der Fußball-EM geht es an den Abenden heiß her. „Natürlich sind w…
für Deutschland“, sagt Mobarak, ein junger Afghane, der im Heimteam
mitspielt. „Wir wohnen doch hier.“
Reza, ein anderer Afghane, hat bisher als einziger Heimbewohner die
spanische Mannschaft angefeuert, „weil die den besten Fußball spielen“.
Dass ausgerechnet Italien, das auch er mit Hunger und Obdachlosigkeit in
Verbindung bringt, sein Lieblingsteam rausgeworfen hat, ärgert ihn. Und
somit wird auch er heute das deutsche Team anfeuern.
## Fastenbrechen in der ersten Halbzeit
Spiele, die um 21 Uhr angesetzt sind, bergen im Flüchtlingsheim eine Tücke.
Mitten in die erste Halbzeit fällt für gläubige Muslime das Fastenbrechen.
Da darf man das erste Mal seit der vergangenen Nacht essen und trinken.
Vor dem Beginn des Spiels muss man eine Kochplatte in der
Gemeinschaftsküche ergattern und kochen. Nicht alle, aber viele nehmen das
mit dem Fasten genau. Da werden die pakistanischen Mehlspeisen und
irakischen Reisgerichte dann vor dem Fernseher verzehrt. Schließlich will
doch niemand verpassen, wie es die deutsche Mannschaft den Italienern
zeigt. Wie man Fußball spielt, aber auch, wie man Flüchtlingen eine Chance
gibt.
Die Autorin hat von Juni 2014 bis Juni 2016 in einem AWO-Flüchtlingsheim
gearbeitet.
2 Jul 2016
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
EMtaz Bericht/Analyse
Flüchtlinge
Berlin
Fußball
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