| # taz.de -- EMtaz: Italien, der neue Fußballzwerg: Auf der Suche nach etwas Gr… | |
| > Nationaltrainer Antonio Conte hat Deutschlands Viertelfinalgegner Italien | |
| > ganz neu positioniert: als Fußballzwerg. | |
| Bild: So stand er da und Conte nicht anders | |
| Die Dealer des täglich wechselnden Zeitgeistes unterschlagen, dass wir uns | |
| weiterhin in einer goldenen Ära des spanischen Fußballs befinden. Der FC | |
| Barcelona und Real Madrid haben zuletzt dreimal die Champions League | |
| gewonnen, Atletico stand zweimal im Finale, und deren herausragende Spieler | |
| – von den Stürmern abgesehen – bilden die spanische Nationalmannschaft. | |
| Es handelt sich daher um ein ganz außergewöhnliches Ereignis, dass seine | |
| italienische Nationalmannschaft den Titelverteidiger eliminiert hat. Sagt | |
| ihr Trainer Antonio Conte. Aber nun kommt es noch krasser. Im | |
| EM-Viertelfinale von Bordeaux trifft man am Samstag auf die Deutschen. Und | |
| die sind laut Conte „eine Klasse über allen anderen“. Es brauche eine | |
| „titanische Anstrengung.“ | |
| Jede Kommunikation ist Strategie, und dennoch hat der Trainer einen | |
| radikalen Paradigmenwechsel vollzogen. Sie haben eine EM und vier WMs | |
| gewonnen (zwei davon gewann angeblich Mussolini), aber ihr Team kommt mit | |
| der Mentalität eines Fußballzwergs. | |
| Na ja, Zwerg ist übertrieben, aber es geht in die Richtung. | |
| Als Conte die Squadra übernahm, kam er von Juve und mit drei Titeln in | |
| Folge. Er sagte den Spielern und den Fans knallhart: „Das ist nicht die | |
| rosigste Zeit, in der wir überragende Fußballtalente haben.“ Ein hartes | |
| Urteil, das womöglich sogar das Selbstverständnis der Gesellschaft | |
| ankratzt. Italien hat keine großen Fußballer? | |
| ## Sie spielten wie ein Clubteam | |
| Conte brauchte das, um in der Realität anfangen zu können. Die war ein | |
| Vorrundenaus bei der WM 2014. „Wenn wir irgendeine Art von Erfolg haben | |
| wollen“, sagte Conte, „können wir nicht als Ansammlung von Spielern | |
| reüssieren. Wir müssen ein Club sein. Ein Team, das eine Ligasaison | |
| spielt.“ Faktisch richtig, nur die Juve-Spieler sind auf höchstem | |
| Champions-League-Niveau, andere Profis sind bisher nur bei Clubs von der | |
| Klasse Southamptons wie der Stürmer Pellè. | |
| Gegen Spanien spielten sie am Montag tatsächlich wie ein Clubteam. Also | |
| nicht nur defensiv automatisiert mit einer Fünferkette vor Buffon und der | |
| Turiner Mauer mit Bonucci, Barzagli und Chiellini, sondern in der ganzen | |
| Spielanlage durchstrukturiert und zudem extrem variabel. Laut Conte ist das | |
| die Folge eines arbeitsintensiven Monats. Es sah so aus, als wüssten die | |
| Italiener zu jeder Phase des Spiels genau, was sie (Unterschiedliches) zu | |
| tun hatten – und die Spanier zumindest in den ersten dreißig Minuten | |
| überhaupt nicht. | |
| Da hatte Italien gleiche Ballbesitzanteile und ständig bis zu fünf Mann in | |
| Angriff und Strafraumnähe. Joachim Löw und sein Taktikteam werden sich | |
| genau anschauen, wie Conte die Spanier entblößte mit einer Art Cross-Cross. | |
| Erst der Diagonalball auf die Flügel, der Schwächen in Spaniens Außenbahnen | |
| offenbarte, dann der Ball vors Tor. Nach einer halben Stunde fiel | |
| Chiellinis 1:0, Conte hatte, was er verteidigen wollte, und es wurde ein | |
| anderes Spiel. | |
| ## De Geas Torwartfehler war unkalkulierbar | |
| Die spanische Ballbesitzmaschine nahm Fahrt auf, aber sie kam nie ganz auf | |
| Touren. „Wir hatten in der ersten Halbzeit Schwierigkeiten, in der | |
| Defensive dicht zu agieren“, sagte Spaniens Trainer Vicente del Bosque. Man | |
| darf nicht vergessen, dass Spaniens Titel alle auf überragender Defensive | |
| beruhen. Sie kriegten bis zu diesem Abend im Stade de France in Playoffs | |
| einfach keine Gegentore. | |
| Das ist vielleicht ungerecht gegenüber dem warmherzigen Brummbären del | |
| Bosque, aber es sah so aus, als ob Conte ihn mit seiner Attacke überrascht | |
| hätte. Aber dann ist es im Fußball halt auch so, dass Dinge nicht | |
| kalkulierbar sind, etwa de Geas Torwartfehler beim 0:1. | |
| Sagen wir so: Es war ein Spiel auf höherem Niveau als fast alle bisherigen | |
| EM-Spiele, Italien war alles in allem besser. Aber Spanien war auch gut und | |
| bleibt gut, selbst wenn sich in der Verdichtung eines solchen Turniers nun | |
| alles nach Zäsur anfühlt. „Man kann unsere guten Absichten nicht in Frage | |
| stellen“, sagte del Bosque. Was für ein wunderbarer und zutreffender Satz. | |
| ## Nur gegen Italien vercoachte sich Löw | |
| Jedenfalls ist das Spannende an den Italienern nicht der Abgleich mit dem | |
| 0:4 im EM-Finale 2012, das sich nun als Höhepunkt der bisher besten Zeit | |
| des spanischen Verbandsfußballs herausgestellt hat. Das Spannende ist ihre | |
| Verortung in der Gegenwart. Ist Italien noch Italien? Da sollte man sich | |
| mal keine Sorgen machen. Oder Hoffnung, je nach dem. Bisher hat man nur ein | |
| Gegentor bekommen und das im bedeutungslosen letzten Gruppenspiel. | |
| Das DFB-Team hat allerdings noch gar keines kassiert. | |
| Dieses Viertelfinale wird also ein ganz, ganz interessantes Fußballspiel, | |
| „ein Spiel ohne morgen“, wie Conte zu sagen pflegt. Die bessere Defensive | |
| wird entscheiden. Bisher sind die Deutschen bei Turnieren verlässlich an | |
| den Italienern gescheitert, zweimal auch in Löws ansonsten makelloser Zeit | |
| (2006, 2012). Das letzte EM-Halbfinale gilt als einziges Spiel, in dem sich | |
| der erfolgreichste Bundestrainer ever tatsächlich auch mal vercoachte. | |
| Zuletzt allerdings unterlagen die Italiener in einem Testspiel 1:4. Ein | |
| Spiel, das Conte jetzt ständig erwähnt, um die Tiefe der Grube | |
| klarzumachen, aus der die armen Italiener gerade emporsteigen. | |
| ## Conte sucht etwas „Größeres“ in sich selbst | |
| Dann ist auch noch Thiago Motta gesperrt und De Rossi angeschlagen, und man | |
| hat einen Tag weniger Regeneration. In der Tat hatte Conte sein A-Team im | |
| letzten Vorrundenspiel ja geschont. Das mag eine Ursache gewesen sein, | |
| warum man gegen die Spanier mit maximaler Energie agieren konnte. | |
| Antonio Conte selbst will diese Energie und auch den absoluten Willen am | |
| Spielfeldrand ausstrahlen. | |
| Nach Pellès 2:0 in der Nachspielzeit hüpfte er auf das Dach seiner | |
| Trainerbank und trommelte seine Ekstase in den Pariser Abendhimmel. Nach so | |
| einem Spiel sieht er deutlich älter als 45 aus. | |
| „Es braucht Blut, Schweiß und Tränen“, sagt er. | |
| „Das Wort, das dich niemals betrügt, ist harte Arbeit“, sagt er. | |
| Und dass man etwas „Größeres“ in sich selbst finden müsse. | |
| Einmal haute er tatsächlich in seiner Coaching Zone den Ball weg, damit | |
| Spanien nicht einwerfen konnte. Er ist offenbar noch beim Suchen. | |
| 28 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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