# taz.de -- Die Wahrheit: Ostwestfälische Gardinenpredigt | |
> Der Besuch bei den eigenen Eltern ist immer eine Herausforderung. Wenn | |
> dann auch noch Rollos ins Spiel kommen, wird es richtig anstrengend. | |
Bild: Alles, was man haben will: ein Plätzchen am Strand | |
Ich bin für ein paar Wochen „auf Urlaub“ bei meinen Eltern. Ich wollte mich | |
nützlich machen. Die beiden sind nicht mehr ganz so schnell auf den Beinen | |
wie früher. Im Haus und im Garten ist aber alles tipptopp. Ich dachte, eine | |
helfende Hand wäre trotzdem angeraten. Aber es ist wie früher, ich mache | |
nichts richtig: „Du hässt nix doar taue lernt!“ Und: „Loat datt getz! Wi | |
mürt hier ok kloar kurmen, wenn du wier wech bist!“ Touché! | |
Will ich Plattdeutsch antworten, verheddere ich mich schnell in | |
Satzkonstruktionen, in der Grammatik und in Anglizismen, die fürs | |
Plattdeutsche einfach nicht vorgesehen sind. Sofort kommt der tadelnde Ruf: | |
„Kerl, sprich Hochdeutsch!“ Meine verzweifelte Replik lautet dann: „Ick | |
mött datt getz aower oak maol wier kürn, süss kann ick ett goar nicht | |
mehr!“ Ergeben zucken sie mit den Achseln. | |
Das Schlimmste an diesen Wochen ist die Übernachtung. Wo soll ich schlafen? | |
Meine Eltern haben nämlich „Rollos“, also Rollläden, und Gardinen. Ich | |
hasse Gardinen. Und Rollos. Das Rollo ist mir so was von überflüssig, dass | |
ich das Gefühl habe, man müsse es Französisch schreiben: Rouleau! Es gibt | |
das Wort tatsächlich auf Französisch, es heißt übersetzt wenig überraschend | |
„Rolle“. | |
Ich kann es nicht ausstehen, hinter Rollos zu schlafen. Ich fühle mich dann | |
wie in einem Grab. Sonst komme ich sogar in balinesischen Sammeltaxis klar, | |
hier in Ostwestfalen werde ich zum Klaustrophobiker. Außerdem wird man | |
hinter geschlossenen Rollos nicht mehr wach. Man schläft wie mit fünfzehn. | |
Man verschläft sogar das Mittagessen. Das kann man nicht wollen, wenn man | |
erstens den Eltern helfen und zweitens Mutterns grandioses Mittagessen | |
genießen will. | |
Bei meinen Eltern ist es besonders heikel mit den Rollos, denn die gehen | |
allabendlich um Punkt 21.15 Uhr automatisch herunter. Auch an der Außentür. | |
Als mein Vater das einmal vergaß und beide ihren Hausschlüssel nicht dabei | |
hatten, sah man ihn in letzter Sekunde wie einen jugendlichen Hochspringer | |
im Straddle („Tauchwälzer“) unter den herabsausenden Jalousien | |
hindurchtauchen. James Bond und Indiana Jones wären neidisch gewesen! | |
Noch wichtiger als die Rollos sind die Gardinen. Besonders die Gardinen im | |
Nachbarhaus links im ersten Stock. Auch die haben diesen | |
Rollladen-Automatismus. Aber sie haben ihn ausgeschaltet, seit ich unten im | |
Garten campe, weil ich es ja hinter den Rollos nicht aushalte! | |
Nun ist dort oben stete Bewegung. Die Gardinen scheinen zu leben. Die | |
Nachbarn stehen zu nah dran, als dass sie unbeobachtet bleiben könnten, und | |
abends lassen sie hinter sich auch noch das Licht brennen. Sie können mir | |
und den gelegentlichen Damenbesuchen kaum folgen, bemühen sich aber! | |
Durch die Rollladenritzen schaffen die Nachbarn solche Durchblicke sonst | |
nur horizontal und auch nur aus dem Erdgeschoss. Dort steht zu ihrem | |
Unglück aber eine Hecke. Die schneide ich morgen für sie auf Sichthöhe | |
runter. Ich habe Angst um ihre Gardinen. | |
8 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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