# taz.de -- Die Wahrheit: Biss vorm Abendbrot | |
> Im deutschen Wald ist die Hölle los. Überall lauern Gefahren – meinen | |
> seine Besucher, die aufrüsten und Strümpfe über die Hosen ziehen. | |
Es herrscht German Angst. Aber nicht etwa vor belgischen Atomkraftwerken | |
oder einem EU-Austritts Großbritanniens. Nichts ist so furchteinflößend wie | |
der deutsche Wald und die deutsche Wiese. Ich weiß das, ich war gerade | |
mehrere Tage dort. Neben Problembären lauern dort inzwischen Horden von | |
Wölfen. | |
Der Wolf jagt zumeist im Rudel, und wenn er kein wehrloses Zicklein findet | |
und keinen deutschen Schäferhund, dann – so glauben viele – ist es nur noch | |
eine Frage der Zeit, bis der erste Wanderer ihm nicht in Großmutters Bett, | |
sondern in den Wäldern zum ersten und gleich zum letzten Mal begegnet. | |
Der Bär gilt zwar als schreckhaft, aber wer sich ihm versehentlich in den | |
Weg stellt, dem hilft kein Pfeifen mehr im Walde. So ein Bär kann – wenn | |
man der Presse glauben darf, und das muss man – den Spaziergänger mit einem | |
Happs verspeisen. Das alles kann passieren. Ich wusste das. Trotzdem lief | |
ich pfeifend durch den Forst und freute mich auf Wolf, Bär, den brünstigen | |
Auerhahn und anderes Getier, das ich sonst nur im Tierfilm sehe. Und | |
staunte. | |
Längst haben die Wanderer aufgerüstet und tragen jetzt das Pfefferspray | |
griffbereit am Gürtel wie der Schiedsrichter das Freistoßspray. Die Welt | |
ist nämlich verrückt. Noch verrückter ist die Angst des Deutschen vor dem | |
Fuchsbandwurm. Zutiefst verängstigt lässt der Waldbesucher leckerste | |
Brombeeren am Wegesrand stehen, auch wenn sie in einer Höhe wachsen, in die | |
kein Fuchsstrahl reicht. | |
Das alles aber ist harmlos gegen die Furcht vor der Bestie des Waldes, vor | |
den Vampiren der Wildgräser: vor den Zecken. Mit der Zecke kommt kein noch | |
so reißerisches Säugetier mit. Sie ist hinterhältig, bös, fies und | |
niederträchtig, quasi die AfD unter den Tieren. Der treffend „gemein“ | |
genannte Holzbock will uns alle borrelieren! | |
Viel kann passieren: Kurzzeitige Lähmungen, Gehirnentzündungen, mit Glück | |
„nur“ Gelenkbeschwerden. Oder es passiert gar nichts. Wie fast immer, denn | |
nur wenige Zecken sind infiziert, der Rest saugt sich aus Jux voll. Wozu | |
also die Panik? | |
Aber im deutschen Haushalt finden sich mehr Zecken- als Grillzangen, denn | |
Zecken könnten arglose Wanderer mit ihren grausigen Zangen packen, wenn er | |
durch Gräser und Farne streift. Bei der Rast und im Wirtshaus gibt es | |
jedenfalls kein anderes Thema: Man soll Strümpfe über die Hosen ziehen und | |
damit aussehen wie die Sau. | |
Findet das Tier nicht schnell nackte Haut, lässt es sich frustriert fallen. | |
Sitzt es einmal, bemerkt man es nicht ohne weiteres, denn der Zeckenbiss | |
„sticht“ nicht. Früh genug gefunden, mit Freuden die Freundin abgesucht, | |
kann aber sowieso nix passieren. An Weiden mit Tierbestand gibt es kaum | |
infizierte Zecken, denn das Tier mit dem kleinen Kopf ist schlau. 50 | |
Millionen Jahre Evolution haben sich gelohnt. Es weiß: Seine Erreger | |
sterben, wenn sie in Ziege, Kuh und Schaf gelangen. | |
Ich bin vielen netten Wanderern begegnet, aber auch Ziegen, Schafen und | |
Ochsen. Die ließen ihren Abfall liegen und schissen hinter Ruhebänke. Und | |
haben jeden Zeckenbiss verdient. | |
14 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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