| # taz.de -- Die Wahrheit: Madeira, my love | |
| > Die Insel weit draußen im Atlantik wird meist in positives Licht | |
| > getaucht. Dabei hat sie außer Regenbögen nur noch Hundekot und Enge zu | |
| > bieten. | |
| Bild: Blick auf die Hauptstadt von Porto Santo, Cidade Vila Baleira | |
| Es gibt europaweit die Verschwörungstheorie, Madeira sei toll, besonders im | |
| März. Das ist Quatsch. Immerhin starb der letzte Kaiser von | |
| Österreich-Ungarn genau dort am 1. April 1922 an einer Lungenentzündung. | |
| Also unmittelbar, nachdem ein März vorüber war. Das wäre mir auch fast | |
| passiert. Karl I. wurde dann 2004 von Papst Johannes Paul II. | |
| seliggesprochen. Das würde mir selbstverständlich nicht passieren, schon | |
| allein weil ich protestantisch bin. | |
| Madeira wird meistens in bedenklich positives Licht getaucht. Gut, es gibt | |
| so viele Regenbögen wie nirgends sonst auf der Welt. Aber jeder Regenbogen | |
| braucht eben auch Regen, und damit hätten wir eine typisch madeirische | |
| Milchmädchenrechnung ausgemacht. Denn ohne Regen kein Bogen. | |
| Mit Schlechtwetterperioden muss man überall rechnen. Aber wer kalkuliert | |
| schon ein, dass auf 500 Metern Höhe in Arco de Calheta das Leben nachts | |
| eigentlich nur unter drei bis vier Decken stattfindet? An Sex ist nicht zu | |
| denken. Trotzdem leben hier erstaunlicherweise jede Menge Kinder. | |
| Die später in ihren Schulbussen auf Straßen herumgefahren werden, die so | |
| schmal und steil sind, dass eigentlich nur noch Bergziegen und Gemsen dort | |
| leben könnten. Wie ich als Ostwestfale diese Gefälle und Steigungen im | |
| Kleinwagen täglich bewältige, ist nur mit „Schiss inne Böcks“ zu | |
| beschreiben. Meine Freundin fühlt sich als Niedersächsin hingegen wohl wie | |
| diese Motorradfahrer in der Todeskugel. | |
| Die Insel ist regelrecht bevölkert – mit stolzen 311 Einwohnern auf einen | |
| Quadratkilometer. Zum Vergleich: Deutschland hat 228 Insassen, Finnland | |
| sogar nur 16,4! Neben den Menschen gibt es mehr Hunde als in Berlin, dafür | |
| erheblich weniger Kottüten, obwohl hier sonst jede Banane im Laden eine | |
| eigene Plastiktüte bekommt. Es gibt auf der Insel nicht einen einzigen | |
| Hundekottütenspender, und das spürt man auch auf den Straßen. | |
| Außerdem gibt es eine erhebliche Dichte an Kreuzfahrtpassagieren, die ganze | |
| Hafen- und Altstadtareale komplett besetzen. Die werden ruckzuck zu | |
| touristisch relevanten Orten gekarrt, wo sie die Aussicht versperren auf | |
| Meerengen, Kirchen oder Fischmärkte. Man selbst hat da keine Chance. | |
| Die residenten Urlauber, zumeist Wanderer, werden deshalb zu sogenannten | |
| Levadas hin gelockt, Wasserversorgungskanälen, an denen man entlangwandert. | |
| Sie sind eng und schmal, und wer wie ich mit einigermaßen lebensrettendem | |
| Schwindel ausgestattet ist, der kommt oft nicht weit. Meine schwindelfreie | |
| Freundin provoziert mich nur zu gern: „Mann oder Memme?“ Ich muss dann in | |
| die Levada steigen, die gerade, Gott sei dank, kein Wasser führt. | |
| Zu Hause hat mein Vermieter Jochen neues Wasser in die Heizung gefüllt. | |
| Jetzt ist die Butze warm und eine Lungenentzündung in weite Ferne gerückt. | |
| Ich habe deshalb schon eine Mail an Papst Franziskus geschrieben, um ein | |
| Seligsprechungsverfahren für den „heiligen Jochen“ auf den Weg zu bringen. | |
| Das Schönste aber an Dortmund ist: Die Straßen haben maximal Gefälle und | |
| keine Steigung! | |
| 16 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Gieseking | |
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