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# taz.de -- Friedensfahrplan in Kolumbien: Hoffnung auf den Umbruch
> Ein blutiger Konflikt prägte jahrzehntelang Kolumbien. Nun haben
> Regierung und Farc-Rebellen einen Waffenstillstand vereinbart.
Bild: Feiern in Medellín am Donnerstag
BERLIN/BUENOS AIRES taz | Uriel Benjumea schlägt einen Salto. Er springt
auf eine alte mechanische Schreibmaschine zu, die auf dem Boden steht,
versucht die Tasten zu ergreifen, wird aber von einem jungen Mann zur Seite
geschoben, der ebenfalls an die Tasten drängt. Benjumea ist Leiter einer
kleinen Theatergruppe. Unter einem Zirkuszelt hoch oben in den Bergen über
der Millionenstadt Medellín proben sie ihr neuestes Stück „Legal/Illegal“.
Sie wollen damit über die Dörfer ziehen, um den dort lebenden Menschen
spielerisch zu zeigen, dass sie Rechte haben. Und welche. Und wie sie die
gegenüber staatlichen Institutionen einfordern und durchsetzen können. Zum
Beispiel mit einer Schreibmaschine.
Das ist für viele Kolumbianer tatsächlich Neuland. Seit über 50 Jahren ist
der südamerikanische Staat vom Bürgerkrieg mit der Guerillabewegung Farc
geprägt. Nach Angaben des Historischen Zentrums der Erinnerung Kolumbiens
haben die militärischen Auseinandersetzungen, an denen auch andere
Guerilleros und Paramilitärs beteiligt waren, rund 6,5 Millionen Opfer
gefordert. 5,7 Millionen Menschen wurden vertrieben und 220.000 getötet.
Zudem sind 25.000 Personen verschwunden und 27.000 wurden entführt.
Und noch immer werden ländliche Regionen Kolumbiens von der Guerilla
beherrscht. Sie ersetzt dort sämtliche staatlichen Strukturen bis hin zur
Rechtsprechung. Es wird also höchste Zeit für Projekte wie die des teatro
inedito von Uriel Benjumea. Denn Kolumbien steht vor einem lang erwarteten
Umbruch.
## „Historischer Schritt“
„Die Delegationen von Regierung und Farc geben der Öffentlichkeit bekannt,
dass wir zu einer erfolgreichen Übereinkunft für einen Waffenstillstand und
der beidseitigen und endgültigen Einstellung der Feindschaften gekommen
sind.“ Mit diesen Worten gaben Kolumbiens Regierung und die Farc am
Mittwoch das Ende des Konflikts bekannt, der vier Generationen des Landes
geprägt hat.
Am Donnerstag wurde dann in der kubanischen Hauptstadt Havanna ein
endgültiger Waffenstillstand unterzeichnet. Dafür waren Kolumbiens
Präsident Juan Manuel Santos und der Kommandeur der Farc, Rodrigo Londono
alias „Timochenko“, eigens angereist. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon
sowie Venezuelas Präsident Nicolás Maduro, Chiles Staatschefin Michelle
Bachelet, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und der salvadorianische
Staatschef Salvador Sánchez Cerén waren für die Vertragsunterzeichnung auf
die Karibikinsel gereist. Der kubanische Präsident Raul Castro erklärte:
„Wir kommen dem Ende des bewaffneten Konflikts näher als je zuvor in mehr
als fünf Jahrzehnten.“
Die Einigung wurde international begrüßt. Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) nannte sie einen „entscheidenden Durchbruch auf dem Weg
zum Frieden“. Er bot Kolumbien Unterstützung bei der Aufarbeitung des
Konflikts und beim Umgang mit Vertriebenen an. Die USA beglückwünschten die
kolumbianische Regierung und die Farc zu dem „historischen Schritt“.
## Angriff auf Bauern
In Havanna hatten die kolumbianische Regierung und die Farc unter der
Vermittlung von Kuba und Norwegen bereits seit 2012 Friedensgespräche mit
dem Ziel geführt, den Bürgerkrieg zu beenden. Der 22. Juni ist „der letzte
Tag dieses Krieges“, twitterte Carlos Antonio Lozada von der Delegation
der Farc. Der [1][Hashtag #ElUltimoDiaDeLaGuerra] verbreitete sich schnell
in den sozialen Medien.
Der Konflikt zwischen dem Staat und der sich selbst als marxistisch
bezeichnenden Farc, der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas
Armadas Revolucionarias de Colombia), begann 1964, als die staatliche Armee
aufständische Bauern in den Anden angriff, nur 38 von ihnen überlebten.
Fast genauso lang ist auch die Geschichte der Friedensbemühungen. Mit der
Farc etwa hatte die Regierung im Jahr 1984 schon einmal Frieden
geschlossen. Er scheiterte, nachdem Anhänger einer der Guerilla
nahestehenden Partei zu Tausenden von rechtsgerichteten Paramilitärs
getötet wurden.
## Eskalation im neuen Jahrtausend
Nach der Jahrtausendwende eskalierte der Konflikt vollends. Die Farc
finanzierte sich über Drogengeschäfte und Entführungen. Unter Präsident
Álvaro Uribe wurde die Guerilla militärisch in die Dschungelgebiete des
Landes zurückgedrängt, dabei gab es Tausende Tote.
Ausgerechnet der damalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos ließ
sich – nachdem er Präsident geworden war – 2012 auf Friedensgespräche ein.
Von seinem politischen Ziehvater Uribe, der Verhandlungen vehement ablehnt,
hat sich Santos emanzipiert. Anders als seine Vorgänger will er im Jahr
2018 dem nächsten Präsidenten „ein Land in Frieden übergeben“.
Dafür nimmt er sich alle nötige Zeit. Der bereits für den 23. März
angekündigte Friedensschluss wurde verschoben, da keine Einigung über einen
Waffenstillstand gefunden wurde. Diese Hürde wurde jetzt genommen. Beide
Seiten beschlossen einen Zeitplan für die Abgabe der Waffen, bestimmte
Zonen, in denen sich die Guerilla aufhalten kann, sowie eine
Sicherheitsgarantie für die Rebellen.
## Das Volk soll abstimmen
Bis das endgültige Friedensabkommen unterzeichnet ist, wird es noch dauern.
Präsident Santos hat als mögliches Datum Kolumbiens Nationalfeiertag, den
20. Juli, angekündigt. Und dann steht noch das Referendum aus, das Santos
versprochen hat. Dabei sollen alle KolumbianerInnen über das
Friedensabkommen abstimmen und es somit legitimieren.
Wie der posconflicto, die Zeit nach dem Konflikt, aussehen wird, ist seit
Monaten das große Thema in Kolumbiens Medien. „Es kann nicht um Bestrafung
gehen“, sagt Theaterdirektor Benjumea. Wichtiger seien Wahrheit und
Versöhnung.
Benjumea erzählt die Geschichte einer Frau, die er bei einem seiner
Projekte kennengelernt hatte. Ihr Mann und ihr Sohn waren von einem
Guerillero getötet worden. Der Mörder, das hätten alle gewusst, lebte in
derselben Straße. Irgendwann habe der Täter an die Tür der Witwe geklopft
und gesagt, ja, ich habe deinen Mann und deinen Sohn getötet, aber es war
nichts Persönliches, es war die Politik. Er fragte, ob sie ihm verzeihen
könne. Sie habe schließlich die Entschuldigung angenommen, erzählt
Benjumea, und sich dann so leicht, so befreit gefühlt wie lange nicht.
24 Jun 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23ElUltimoDiaDeLaGuerra&src=tyah
## AUTOREN
Jürgen Vogt
Gereon Asmuth
## TAGS
Kolumbien
Farc
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