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# taz.de -- Ausstellung zu Jugo-Sängerinnen: Sirenen des Sozialismus
> Die großen Auftritte der jugoslawischen Pop-Divas gibt es nur noch auf
> Video. Boris Kralj widmet ihnen eine Ausstellung. Eine
> Geisterbeschwörung.
Bild: Lepa Brena, bosnisch-serbischer Superstar des sozialistischen Jugoslawiens
Sie tragen ihr langes Haar in Wellen oder toupiert, über ihre großen Augen
färben sie die Lider grellblau oder grün, ihre großen Lippen tauchen sie in
Blutrot und sie tragen Schulterpolster, enge Lederanzüge, Glitzer- und
Federkleider, dazu auffälligen Gold- und Silberschmuck. Sie sehen aus wie
Milva, Madonna, Kate Bush, Sandra oder Blondie. Aber sie heißen Lepa Brena,
Neda Ukraden, Josipa Lisac, Doris Dragović oder Vesna Zmijanac.
Sie sind die großen Diven des jugoslawischen Schlagers aus den achtziger
Jahren. Jeder Jugoslawe kannte und liebte sie. Und jedes Gastarbeiterkind
in Deutschland auch. Noch heute sind ihre Lieder Kult und sie werden von
Punks und Akademikern gesungen, jedenfalls dann, wenn vorher genug
getrunken wurde.
Die Frauen hatten ein Millionenpublikum, repräsentierten diese ganz eigene
Jugo-Mischung aus Poprhythmen, operettenhaften Melodien und Volksmusik, die
Texte voller Melancholie, Liebesleid und Weltumarmung. Sie traten auf den
größten Musikfestivals des Landes auf, nahmen am Grand Prix Eurovision de
la Chanson teil, sie waren Stilikone und Exportschlager in den Ländern des
stalinistischen Sozialismus wie Rumänien und Bulgarien. Aber auch in
Deutschland, in jugoslawischen Gastarbeiterclubs.
## Singende Vampire
Noch heute singen diese Frauen, die einen mehr, die anderen weniger. Für
die meisten Schlagzeilen sorgt immer noch die bosnische Belgraderin Lepa
Brena (Schöne Brena). Weil sie auf einem Foto in den Neunzigern im
Tarnanzug auftauchte und zweideutige Texte über die Heimat sang, galt sie
in den Ländern Postjugoslawiens als serbische Nationalistin. Bis heute gibt
es Proteste gegen ihre Konzerte in Kroatien, Bosnien und Slowenien.
Der Modefotograf Boris Kralj, 1976 in Göppingen geboren, erinnert sich an
diese Frauen mit großer Ambivalenz. Seine jugoslawischen Eltern waren Fans
dieser singenden Vamps. Gemeinsam mit ihren jugoslawischen Freunden in
Deutschland schauten sie sich abends Videos von den Auftritten der Popstars
an, sangen mit, tranken und weinten.
Kralj, der mit seinem Fotoband „My Belgrade“ international bekannt wurde,
hat die Videokassetten auf dem Dachboden seiner Eltern in Göppingen
wiedergefunden, sie digitalisiert und Fotos von diesen Aufnahmen gemacht.
Herausgekommen sind dabei Porträts, die den schönen Frauen etwas
Medusenhaftes verleihen. Aufgerissene Augen, die durch den nach hinten
geworfenen Kopf hinter das Lid verschwinden, aufgerissene Münder und
riesige Fingernägel, die an Vampire und Zombies erinnern.
In seiner Ausstellung „Miss Yuniverse“, die bis zum 10. Juli in der Galerie
Fata Morgana in Mitte zu sehen ist, sind diese Fotos hinter Glas. Dadurch
verstärkt sich noch mal der schillernde Effekt der Fotos, der dadurch
zustande kommt, dass die Videoaufnahmen oft sehr körnig waren und im
Hintergrund sogar noch verschwommen die Bilder von überspielten anderen
Videos zu sehen sind.
Wenn man nicht wüsste, dass es sich um jugoslawische Sängerinnen handelt,
könnte man auch vermuten, dass es sich um die spiritistischen
Geisterfotografien eines William Hope oder William Mumler aus der Mitte des
19. Jahrhunderts handelt.
Für Boris Kralj sind diese Diven in gewissem Sinne auch böse Geister. „Sie
haben mit dem Leid der Gastarbeiter gespielt“, erzählt Kralj. Extra für
dieses Publikum hatten sie Songs aufgenommen, die von Leid, Gewalt und
Schmerz als Erfahrung des Lebens fern von der Heimat handeln: „Das fremde
Land hat meine Seele krank gemacht/ Das fremde Land hat mein Leben
zerstört“ lautet zum Beispiel eine Zeile.
Seine Mutter sang diese Lieder, übernahm deren Zeilen in ihre alltäglichen
Redewendungen und weinte, wenn sie diese Lieder hörte. Für den kleinen
Boris waren diese Texte verstörend. Er konnte nicht verstehen, warum seine
Mutter so litt. Für ihren Schmerz machte er die singenden Frauen auf den
Videokassetten verantwortlich. Deshalb nennt er sie heute „Sirenen.“
Wie Geister aus einer fernen Zeit wirken diese Frauen heute auf Kraljs
Fotos. Und trotzdem: Man möchte sie alle gern als Plattencover haben.
6 Jul 2016
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
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