# taz.de -- Zum Tod der Sängerin Milva: Ein Planet mit hymnischer Kraft | |
> Milva ist mit 81 Jahren gestorben. Die italienische Ikone sang mit | |
> Leidenschaft aber ohne Sentimentalität. Und war stabile Sozialistin. | |
Bild: Ohne auch nur eine Prise misslicher Sentimentalität: Milva | |
Kurz vor dem selbstgewählten Ende ihrer Karriere auf tausenden von Bühnen | |
der Welt trat sie in Dresden auf, bei ihrem Auftritt unter einem | |
„Diva“-Label von Beifall umprasselt: Milva lächelte, dankbar. Ein Name, ein | |
Frauenname als Markierung von Künstlerinnentum im singenden Gewerbe – das | |
reichte früher, Frauen hatten sehr oft nur einen Namen, als ob das | |
Familiäre, der Name, der jemanden in einen zunächst ja familiären Kontext | |
stellt, ganz überflüssig sei: Milva – das war immer ein eigener Planet, | |
eine Persönlichkeit, die zunächst in ihrer Heimat eine Berühmtheit wurde. | |
Geboren als Maria Ilva Biolcati im Jahre 1939 in Goro in der Provinz | |
Ferrara, gewann die kurzerhand eben Milva genannte Sängerin mit der schon | |
damals wallenden roten Haarmähne einen Talentwettbewerb des TV-Senders RAI. | |
Sie ist jene Sängerin mit den allermeisten Auftritten beim Schlager- und | |
Popfestival von San Remo – ohne je gewonnen zu haben: 15 Mal versuchte sie | |
es, einmal wurde sie Zweite, aber die Krone des in Italien extrem wichtigen | |
Wettbewerbs bekam sie nie aufgesetzt. Was an ihrer Karriere, vor allem an | |
der Internationalität ihrer Laufbahn aber auch so gar nichts änderte. | |
Immerhin hat sie in San Remo 2018 eine Ehrenauszeichnung für ihr Lebenswerk | |
erhalten. | |
In der Bundesrepublik wurde sie etwas bekannter mit einem Album „Tango | |
Milva“: Tango, argentinischer, nicht finnischer, war der Sound der Stunde, | |
und auf diesem Album sang sie einige Tangolieder hinreißend scharf, | |
entschieden, ohne auch nur eine Prise misslicher Sentimentalität. Ihre | |
Vokalisen waren von delikatester Kraft im eher dunklen Bereich. | |
Piepsigkeit, balladeske Übersanftmut war mit ihr offenbar nicht zu haben. | |
Milva war immer Sozialistin, eine beherzte, bis zur Wütigkeit entschiedene | |
Kämpferin für die antifaschistische Allianz, und dies weit über Benito | |
Mussolinis Tod hinaus. Sozialismus verstand sie als Volxerhebung, als | |
antibigotten Aufstand gegen Kirchen, vor allem die katholische, und gegen | |
gedungene Mächte, die gegen das standen, was ihr wichtig war als Linke: | |
Freiheit zu atmen, sich zu äußern, sich zu empören und der | |
Selbstermächtigung in – das war damals noch keine Vokabel, die sich so | |
dahinsagen ließ – Solidarität. | |
## Der nötige Kick Kälte | |
Milva verlegte sich in den frühen siebziger Jahren auf die Interpretation | |
der „[1][Dreigroschenoper]“ Bertolt Brechts und Kurt Weills, gab die | |
Seeräuberjennie, die sich rächt und Vergeltung übt, mit diesem gewissen | |
Kick Kälte, den dieses Lied braucht, um nicht als Kitsch durch den Rost des | |
anständigen Geschmacks zu flutschen. Giorgio Strehler, Theaterberühmtheit | |
aus Mailand, beschäftigte sie als Muse seiner dramaturgischen | |
Vorstellungen: Leidenschaft im Ausdruck, ohne sich der eigenen | |
Rührseligkeit auszuliefern. | |
Danach war sie, wieder über Nacht, [2][in Deutschland eine Berühmtheit], | |
Tangos sang sie auch noch, vor allem jedoch die von Thomas Woitkewitsch | |
prima eingedeutschten Stücke von Mikis Theodorakis, etwa das allerdings | |
leicht tranige „Zusammenleben“: Womöglich eine Arrangeursentscheidung in | |
deutschen Studios – weil man es nicht für wahrscheinlich hielt, dass eine | |
kraftvolle Frau wie Milva nicht Furcht verbreitet, sänge sie an aller | |
Süßlichkeit vorbei. Bertolt Brechts und Kurt Weills Couplets liebte sie | |
über alle Jahre ihrer Karriere. | |
Mit „Hurra, wir leben noch“, ein Soundtrack zur Verfilmung von Johannes | |
Mario Simmels Roman durch Peter Zadel war Milva Anfang der Achtziger auf | |
der Höhe ihrer hymnischen, in diesem Fall auch ironisch gebrochenen Kraft. | |
Die Frau, die die Faschisten hasste wie keine andere Sorte Mensch, zog sich | |
vor knapp zehn Jahren von der Bühne zurück – sie hat künstlerisch mehr | |
erreicht als die meisten, die beim Festival von San Remo obsiegten, sie | |
lebte ihre Passionen und am Ende ihrer Tage in der Mailänder Innenstadt, | |
behütet von ihrer Sekretärin und Assistentin Edith, im Leben gehalten von | |
ihrer Tochter Martina Corgnati. [3][Milva ist am Freitag mit 81 Jahren | |
gestorben]. Italien, ihre Heimat, trauert um eine politisch Kämpferische. | |
25 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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