# taz.de -- Die Kulturszene des Balkans: Im toten Winkel Europas | |
> Eine Begegnung mit dem kroatischen Rockmusiker Darko Rundek und dem | |
> Komponisten Boris Kovac in der nordserbischen Stadt Novi Sad. | |
Bild: Novi Sad | |
„Wir leiden nicht an mangelnder Bekanntheit“, bemerkt Darko Rundek | |
spöttisch, und auf seinem zerknitterten Gesicht zeichnet sich Genugtuung | |
ab. Auf einem ausgebauten Gehöft nahe der nordserbischen Stadt Novi Sad hat | |
sich der kroatische Rockstar mit seiner Band einquartiert, um sich auf sein | |
Konzert am Abend vorzubereiten. Zu dem halb öffentlichen Gig in einem zum | |
Club umgebauten Bootsschuppen am Ufer der Donau wird sich später die | |
In-Szene von Novi Sad einfinden. | |
Als Jugoslawien auseinander brach, flohen seine Künstler und Musiker wie | |
Darko Rundek ins Exil, verloren ihr Publikum und fielen der | |
Bedeutungslosigkeit anheim. Nur wenigen gelang es seitdem, über die neuen | |
Grenzen hinweg wieder an den alten Ruhm anzuknüpfen. Darko Rundek war aber | |
einer der Ersten, der als Kroate nach dem Krieg wieder in Belgrad auftrat. | |
Da wächst im Schatten der Weltöffentlichkeit auf dem Balkan zumindest auf | |
kulturellem Gebiet langsam wieder zusammen, was einst zusammengehörte. | |
Seit mehr als zehn Jahren lebt Darko Rundek in Paris, wo er seine aktuelle | |
Band, das Cargo Orkestar, gegründet hat. Auf ihrer kurzen Tournee, die sie | |
durch Sarajevo und Belgrad führte, wurden sie überall gleich lautstark | |
bejubelt. Für den 49-Jährigen nicht nur ein Zeichen dafür, dass ihn das | |
Publikum in der alten Heimat nicht vergessen hat, sondern auch, dass es | |
seine musikalische Neuorientierung honoriert. | |
In den Achtzigerjahren genoss Darko Rundek als Frontmann der Zagreber | |
New-Wave-Band Haustor Kultstatus, daneben hatte er sich als | |
Theaterregisseur, Hörspielproduzent und Radiojournalist einen Namen | |
gemacht. Als der Krieg ausbrach, heuerte er 1991 ein halbes Jahr lang auf | |
einem Schiff vor der Adriaküste an, das mit EU-Geldern ein Radioprogramm | |
für das auseinander fallende Land sendete. Von dieser Erfahrung rührt auch | |
der Name des Cargo Orkestars her, das Rundek später in Paris mit | |
emigrierten Musikern aus Exjugoslawien gründete. Zu der illustren Truppe | |
zählt auch die Schweizer Geigerin Isabel, die als Transvestit nicht nur mit | |
ihrer äußeren Erscheinung das Spektrum der Band, sondern auch durch ihre | |
Herkunft aus Klassik und Free Jazz erweitert. | |
Wie viele Künstler aus Exjugoslawien, selbst wenn sie im Land geblieben | |
sind, fühlt sich auch Darko Rundek durch den Krieg heimatlos geworden. „Ich | |
bin kein französischer Musiker geworden“, sagt er, „aber ich bin auch immer | |
weniger ein Kroate.“ Sein Album „Ruke“ ist auch in Deutschland erschienen, | |
doch die Karriere lässt sich nicht so einfach ins Ausland verlängern. In | |
Jugoslawien gilt Darko Rundek als großer Lyriker, manche seiner Songs | |
wurden zu Hymnen einer Generation. Doch wer die Sprache nicht versteht, dem | |
vermittelt sich die Bedeutung der Songtexte nicht. „Darum ist uns das | |
visuelle Element so wichtig“, sucht Darko Rundek nach einer Lösung für das | |
Übersetzungsproblem. So projiziert die Videokünstlerin Biljana Tutorov bei | |
seinen Konzerten neben assoziativen Bildern stets ein, zwei Zitate an die | |
Wand, um Stimmungen zu erzeugen und die Inhalte der Songs erahnen zu | |
lassen. | |
„Darko ist ein anderer Fall als ich. Er war hierzulande ein großer Star. | |
Ich dagegen habe von Anfang an eine Karriere im Ausland gehabt“, erklärt | |
Boris Kovac. „Unsere Wege waren geradezu entgegengesetzt. Doch jetzt | |
befinden wir uns in einer ähnlichen Situation.“ Der Komponist und | |
Multimediakünstler wohnt unweit von Novi Sad in dem kleinen Dorf Bukovac | |
auf einem traditionellen Weingut, das er von seiner Großmutter übernommen | |
hat. Den ehemaligen Weinkeller des Hauses hat der 50-Jährige zu einem | |
Studio umgebaut, aus dem getragene Fado-Musik in den Garten tönt. Als | |
musikalischer Außenseiter bewegte sich Boris Kovac in den Achtzigerjahren | |
mit seinem „Ritual Nova“-Ensemble zwischen Konzeptkunst, Jazz und Neuer | |
Musik; seine Platten erschienen beim britischen Indie-Label Recommended | |
Records. „Ich habe mich immer als Weltbürger gefühlt, nie als lokaler | |
Künstler“, so Kovac. | |
Mit Ausbruch des Krieges floh Boris Kovac zunächst nach Rom und später nach | |
Slowenien, um dem Wehrdienst zu entgehen, und fand Arbeit bei diversen | |
Theaterensembles. Fünf Jahre verbrachte er in der Emigration, bis er 1996 | |
nach Novi Sad in die Vojvodina zurückkehrte. Doch die Stadt hatte sich | |
stark verändert. „Dies war einmal Europa im Kleinformat. Doch das | |
multikulturelle Gewebe ist jetzt zerrissen“, sagt Boris Kovac und deutet | |
auf die neuen Häuser auf den umliegenden Hängen. „Hier leben jetzt | |
überwiegend bosnische Serben“, kommentiert er den wilden Wohnungsbau. „Sie | |
wollen, dass hier Serbien ist und nicht ein autonomer und multiethnischer | |
Ort.“ Durch die Neuankömmlinge hat sich die politische Atmosphäre in der | |
Region geändert, bei den letzten Wahlen triumphierten die rechten Parteien | |
- für liberale Intellektuelle wie Kovac ein absoluter Schock. „Novi Sad war | |
schließlich die erste Stadt, die von der Opposition erobert wurde, die | |
Mehrheit hier war immer gegen Milosevic“, sagt Boris Kovac. „Trotzdem hat | |
die Nato bei ihren Angriffen auf Serbien hier alle drei Brücken zerstört | |
und keine einzige in Belgrad.“ | |
Aus der Opposition gegen Milosevic wurde in Novi Sad vor fünf Jahren auch | |
das „Exit“-Festival geboren. Es ist inzwischen zum größten Rockfestival d… | |
Region angewachsen und zieht mit Headlinern wie Iggy Pop oder den White | |
Stripes auch viele Besucher aus den Nachbarländern an - ein Zeichen dafür, | |
dass man sich in Novi Sad der westlichen Popwelt zugehörig fühlt. | |
Dennoch wirkt es, als liege die Stadt nach den düsteren Jahren nun im toten | |
Winkel Europas. Die drei Brücken, die das Stadtzentrum mit dem anderen Ufer | |
der Donau verbinden, sind inzwischen notdürftig repariert worden, doch die | |
als traumatisch erlebten Bombardierungen wirken nach. „200 Meter von meinem | |
Haus entfernt sind Bomben eingeschlagen“, erinnert sich Kovac. „Für Leute | |
wie mich war das damals eine gefährliche Zeit“, ein Tanz auf dem schmalen | |
Grat zwischen den Nato-Bomben auf der einen und dem Milosevic-Regime auf | |
der anderen Seite. | |
Die Absurdität jener Zeit hat Boris Kovac auf seinen beiden Alben „The Last | |
Balkan Tango“ (2001) und „Ballads at the End of Time“ (2003) verarbeitet. | |
Deren düster-elegische Endzeitstimmung und grelle Cabaret-Dramatik, sein | |
Kommentar auf die Kriegsjahre, klangen wie die Musik zu einem | |
Otto-Dix-Gemälde. „Ich habe mit meinen Balkan-Jahren abgeschlossen“, | |
behauptet Kovac jedoch nun. Auf seinem neuen, wie immer bedeutungsschwer | |
betitelten Album „World after History“ ist die balkanische Schwermut einer | |
mediterranen Leichtigkeit gewichen. Die Stimmung ist immer noch | |
melancholisch, aber verhalten optimistisch. Nach dem Krieg ist vor dem | |
Krieg. | |
„Ich habe in den letzten Jahren viel Weltmusik gehört“, gesteht Boris | |
Kovac. „Aber ich mache persönliche Musik, keine regionale Musik.“ Bezüge | |
zur Balkan-Folklore sind bei ihm denn auch kaum herauszuhören. „Ich habe | |
natürlich auch einen Bezug zur hiesigen Tradition“, sagt Boris Kovac. „Aber | |
ich höre heute mehr Musik von den Kapverden als Musik aus Guca“, sagt er | |
und meint damit jenen Ort, an dem alljährlich das Gipfeltreffen der besten | |
Gipsy-Blaskapellen des Balkans stattfindet. | |
Deren Sound erfreut sich, nicht zuletzt dank der Filme von Emir Kusturica | |
und der Musik von Goran Bregovic, in Europa großer Beliebtheit und prägt | |
derzeit das Bild der Region. „Es ist natürlich gut, der Zigeunerkultur zu | |
ihrem Recht zu verhelfen“, kommentiert Kovac. „Aber es ist etwas anderes, | |
auf diesem Klischee vom wilden Balkan herumzureiten. Mir gefällt dieses | |
simplifizierende Bild nicht, das Kusturica und Bregovic für das westliche | |
Publikum vom ehemaligen Jugoslawien zeichnen.“ | |
Vor mittlerweile sieben Jahren hat Boris Kovac in Novi Sad das kleine | |
„Interzone“-Festival gegründet, das einst als Treffpunkt der Opposition in | |
einem alternativ geprägten Stadttheater begann und bis heute die | |
Schnittmenge von Jazz, Weltmusik und Neuer Musik auslotet. Als | |
künstlerischer Berater des Festivals sorgt er dafür, dass musikalisch | |
interessante Grenzgänger aus Schweden, Mazedonien oder Ungarn den Weg nach | |
Novi Sad finden. Diese Nebenstrecke ist auch der russische Songwriter und | |
Noise-Gitarrist Leonid Soybelman schon gefahren, ein zorniger junger Mann, | |
der vor ein paar Jahren in Berlin gestrandet ist, hierzulande allenfalls | |
durch seine Songs auf den „Russendisko“-Compilations bekannt ist. | |
Nach seinem genialischen, umjubelten Auftritt im Stadttheater von Novi Sad, | |
wo er, allein an der Gitarre, neben ein paar akustischen Balladen auch jede | |
Menge saitenknirschenden Krach produzierte, landete Soybelman am Abend in | |
einer Bar, wo er die anwesenden Zecher mit ein paar spontanen Eingebungen | |
unterhielt. Als Darko Rundek mit seiner Gefolgschaft zufällig dieselbe | |
Kneipe aufsuchte, dauerte es nicht lange, bis sich die beiden gegenseitig | |
die Gitarre in die Hand gaben und zu immer neuen Einlagen aufforderten und | |
damit gegenseitig anstachelten. So wurde es ein denkwürdiger Abend, an dem | |
Novi Sad für einen Moment die Mitte der Welt zu sein schien. | |
27 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Daniel Bax | |
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