Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf Wolfgang Welt: Hier schrieb der Prolet noch selbst
> Er musste schreiben und wenn er es tat, nannte er sich WoW. Der
> Musikjournalist und Autor Wolfgang Welt ist mit 63 Jahren gestorben.
Bild: Im Grunde auch nur eine hochoktanige, großmäulige, grandiose Rockreport…
Wolfgang Welt schnorrte sich eine ruinöse Woche bei Motörhead durch und
haute sie anschließend in die Pfanne. Er verpasste ein Interview mit Lou
Reed in Amsterdam und berichtete ausführlich davon, was er stattdessen
gemacht hatte. Er warf Helen Schneider an den Kopf, sie habe eben gerade
auf der Bühne sechs seiner Lieblingssongs gekillt. Und er schrieb schon
Mitte der achtziger Jahre einen Abgesang auf HipHop, einfach weil er es
gern so gehabt hätte.
In kürzester Zeit wurde Welt vom Stadtmagazin-Zeilenschmierer zum
Gonzo-Rockkritiker, dessen grob gedrechselte Hasslatten gegen die NdW im
Allgemeinen und die Deutschrockstars Herbert Grönemeyer, Marius
Müller-Westernhagen und Heinz Rudolf Kunze im Besonderen enorme
Anziehungskraft besaßen. „Das hättest du auch schreiben können, wenn du
schreiben könntest“, bemerkt er in einer ausnahmsweise lobenden Kritik über
den Ruhrpott-Lyriker Werner Streletz. Ähnlich ging es uns damals bei seinen
Texten. „WoW“, Wolfgang Welts Kürzel, sagte eigentlich alles.
Seine labile Psyche hielt diese hohe Umdrehungszahl allerdings nicht lange
aus. Derangiert von Alk, Lexotanil, drei Schachteln Benson & Hedges pro Tag
und ständigem Drüsenüberdruck landete Welt in der Psychiatrie. Hier begann
er endlich seinen Roman, „Peggy Sue“. Im Grunde auch nur eine hochoktanige,
großmäulige, grandiose Rockreportage in Buchlänge, nur musste er sich jetzt
nicht mehr die Aufmerksamkeit mit einem anderen Star teilen. „Peggy Sue“
hatte Fans, aber nur wenige Leser.
Welt verdingte sich in der Folge als Nachtwächter und schrieb jahrelang
kaum etwas, zwei, drei Storys und Artikel für die alten Bekannten. „Ich
muss nicht schreiben“, sagte er mir mal spöttisch. Aber das war gelogen.
Eigentlich hatte er stets den nächsten Roman in Planung, wusste auch schon
den Titel, er brauchte immer nur drei, vier freie Wochen und einen
Vorschuss, um noch ein paar Kapitel aufs Blatt zu delirieren. Dass man ihn
im Zuge der Popliteratur-Hausse Ende der Neunziger als eine Art Wegbereiter
wieder entdeckte, war ein glückliches Missverständnis, das ihn über Umwege
doch noch beim Suhrkamp Verlag landen ließ.
Aber mit dem Fin-de-Siècle-Ennui der Kinder aus gutem Hause hatte er rein
gar nichts zu tun. Hier schrieb ein Prolet, der den Leser zu sich
hinunterzog in die Tristesse seiner Vita, in der gelegentliche Suffexzesse,
ein noch gelegentlicherer Fick oder der alljährliche Buchmessenausflug nach
Frankfurt schon zu den Erlebnishöhepunkten zählten. Und zwischen den Zeilen
spürte man eine Sehnsucht, die einem die Brust eng werden ließ. Trotzdem,
auch das las man in jedem seiner Bücher, und das merkte man, wenn man mit
ihm durchs „Bermuda Dreieck“ defilierte und er seine Buddys begrüßte,
schien er sich in seinem Bochumer Kiez zu Hause zu fühlen.
Wer ihm begegnete, sah sofort, was die Psychopharmaka, die er brauchte, um
nicht wieder seinen „Rappel“ zu bekommen, angerichtet hatten. Dass er
diesem somnambulen Zustand dennoch immer wieder einen neuen Roman
abtrotzte, zuletzt „Fischsuppe“ (2014) und „Doris hilft“ (2009) ist eine
Energie- und Willensleistung, die gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Er musste eben doch schreiben. Am Montag ist Wolfgang Welt im Alter von 63
Jahren an den Folgen seiner jahrzehntelangen Medikation gestorben.
21 Jun 2016
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Nachruf
Autor
Bochum
Pop-Literatur
Pop-Literatur
Buch
Heinz Strunk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Eine Geschichte von Wolfgang Welt: Die Eine
Am 31. Dezember wäre der Schriftsteller Wolfgang Welt 70 geworden. Aus
seinem Nachlass drucken wir diese bisher unveröffentlichte Geschichte ab.
Pionier der Popliteratur: „Sprachen, die es nicht gibt“
Eine Ausstellung in Düsseldorf schöpft aus dem Nachlass des Popautors
Wolfgang Welt. Wir haben mit ihrem Kurator Martin Willems gesprochen.
Autobiografie von Stuckrad-Barre: Rausch als Haltung
Es geht um Lindenberg und Angst. Stuckrad-Barre, der in einem Drogenloch
verschwundene Popstar der Literatur, ist mit einer Autobiografie zurück.
Neuer Roman von Heinz Strunk: Was wir gerade noch ertragen
„Der goldene Handschuh“ beschreibt das nötige Gegenprogramm zu allen
Identifikationsangeboten: Schnaps, Gestank, Dreck.
Kolumne Die Charts: "S. machte mir Aussicht auf einen Fick, aber nicht mit ihr"
Die Charts heute mit Wolfgang Welt, Jakob Ajouni, Grizzly Bear, The Knack,
Tarzan, Cohn-Bendit, Amendt, Iniesta und der SPD.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.