# taz.de -- Politischer Regisseur-Nachwuchs: Klamauk wird Tragik | |
> Die Themen der zum Hamburger Theaterfestival „Körber Studio Junge Regie“ | |
> Geladenen reichten vom Rechtspopulismus bis zum Flüchtlingsschicksal. | |
Bild: Kassandra siegt: Die „Unerhörte“ von Anna-Elisabeth Frick | |
HAMBURG taz | Gut 30 Studenten und Studentinnen des Faches Theaterregie | |
absolvieren pro Jahr die entsprechenden zwölf Studiengänge zwischen Hamburg | |
und Wien, zwischen Frankfurt am Main und Zürich. Gut 30 junge Leute | |
präsentieren am Ende einer mal drei-, mal auch vierjährigen | |
Ausbildungsphase ihre Abschlussinszenierung vor meist universitärem | |
Publikum, vielleicht kommt noch die eine und andere öffentliche Vorführung | |
hinzu. | |
Doch wer von den Absolventen Glück hat, der wird von seiner Schule | |
ausgewählt und Anfang Juni mitsamt seinem Team und seinen Schauspielern | |
nach Hamburg geschickt: zum Festival „Körber Studio Junge Regie“ im Thalia | |
in der Gaußstraße; wo bald auch ein Lkw hält: Er transportiert das | |
Bühnenbild, ob nun eine komplette Unterwelt mit Auf- und Abstieg oder eine | |
karge Zimmerlandschaft aus drei, vier Topfpflanzen. | |
Macht zwölf Inszenierungen, was schon mehr als ein Drittel der jährlichen | |
Ausbeute, aber auch noch nicht die Hälfte ist. Entsprechende Vorsicht, | |
daraus wegweisende Trends abzuleiten, die womöglich das Theater in eine | |
neue Richtung lenken könnten, ist daher angebracht. | |
Und doch hat der aktuelle Jahrgang 2016 eines gezeigt, wie die | |
Theaterwissenschaftlerin Barbara Müller-Wesemann, eine der | |
Festivalleiterinnen und einst Mitbegründerin des Festivals so formuliert: | |
„Als wir 2003 mit dem Festival anfingen, kamen die ästhetischen Mittel aus | |
dem klassischen Bereich, wurde Schauspieler-Theater gezeigt. Performative | |
Ansätze dagegen stießen nicht auf Zustimmung. Das hat sich sehr gewandelt, | |
weil alles ausprobiert wird, und die heutigen Studenten sind vor allem viel | |
offener, als es damals die Dozenten waren.“ | |
Paradebeispiel: „Post hoc ergo propter hoc – was bisher geschah“ von Gesa | |
Bering und Stephan Dorn des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft | |
Gießen; eine Annäherung an den Geschichtsforscher Theodor Mommsen, eine | |
theatralische Installation für ein möbliertes Arbeitszimmer plus erzählende | |
Off-Stimme, dafür ohne jeden Schauspieler, so dass man auch gut hätte auf | |
die traditionellen Stuhlreihen verzichten können. | |
Auffällig neben der Formbreite vom klassischen Sprechstück über die medial | |
unterlegte Show zu wummernden Bässen und Strobo-Licht bis zur getanzten | |
Essay-Performance: Nahezu alle Produktionen versuchten dem Vormarsch der | |
rechtspopulistischen Ideenwelt von den so genannten Rändern der | |
Gesellschaft in die liberale Mitte nicht nur zu reflektieren, sondern ihm | |
auch eine theatralische Gestalt zu geben, um Gegenstrategien zu entwickeln. | |
Das galt gleich für das Eröffnungstück „Ein weiteres Beispiel für die | |
Durchlässigkeit gewisser Grenzen“ von Henri Hüster von der Hamburger | |
Theaterakademie, dessen Titel man am Anfang vielleicht nur für eine | |
sprachliche Spielerei hält. Doch Titel und noch mehr die dann folgende sehr | |
körperbetonte Montage von Erzählungen von David Foster Wallace sind bei | |
aller Spielfreude sehr ernst gemeint: „Als wir im letzten Jahr anfingen, | |
das Stück zu proben, mischten sich in die Forderungen nach Schließungen von | |
Ländergrenzen Behauptungen der bürgerlichen Intellektuellen, es gäbe in | |
unserer Gesellschaft ohnehin zu wenige Grenzen.“ | |
Rustikal grotesk „Grillparz“ in der Inszenierung von Kathrin Herm vom | |
Mozarteum in Salzburg: Eine Betriebsfeier vor den Toren Salzburgs gerät aus | |
den Fugen, samt zünftiger Blasmusikkapelle auf der Bühne. Interessant ein | |
Hinweis der Regisseurin: „Als wir das Stück vor der Wahl Hofer gegen Van | |
der Bellen aufführten, gab es bei den Stellen, wo wir mit einem möglichen | |
„ach-lass-uns-doch-auch-mal-rechts-sein“-Gefühl kokettieren, immer viele | |
Lacher. Nach der Wahl gibt es die nicht mehr.“ | |
„Grauland“ von der Laura N. Junghanns der Folkwang Universität Essen | |
wiederum verwandelte ein märchenhaftes „Goldland“ in eine grau-vernebelte | |
Diktatur des Gleichseins, während „Der 10. Juni“ von Jan Philipp Stange von | |
der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main mit | |
deutlich zu viel Getöse sich des Phänomens der „Tagesschau“ als | |
neutralisierende Nachrichtenmaschienerie in Gestalt einer Techno-Oper | |
annahm. | |
Wurden diese Produktionen allgemein kritisch-milde betrachtet, führte die | |
Produktion „Die Heirat“ von Evgeny Titov vom Max Reinhardt Seminar in Wien | |
zu einer grundlegenden, politisch-ästhetischen Kontroverse. Denn Titov | |
hatte sich den gleichnamigen Klassiker von Nikolai Gogol vorgenommen, in | |
dem vier unverheiratete Männer um eine Frau werben. Doch in seiner Version | |
steht eine schwarze Flüchtlingsfrau vor vier Männern, muss sich allerlei | |
auch sexuelle Demütigungen gefallen lassen, um mit einem von ihnen einen | |
deutschen Pass zu erhalten. | |
Während die eine Hälfte des Publikums es dem Regisseur hoch anrechnete, | |
dass er unverblümt Abhängigkeit und Machtmissbrauch spiegelte, lief die | |
andere Hälfte regelrecht Sturm und warf dem Regisseur vor, rassistische und | |
sexistisches Stereotypen abzubilden, statt sie theatralisch zu brechen. Und | |
es fiel ein Satz, den man auf dem Festival normalerweise nicht hört: „So | |
darf man das nicht machen!“ | |
Ob man es nun darf oder nicht, inklusive der Frage, wer das dann | |
gebenenfalls zu entscheiden hätte: Titov zeigte weniger ein Stück über | |
Brutalität, sondern zunächst ein brutales Stück. Und das ist ein | |
erheblicher Unterschied. | |
Und Stücke mit Flüchtlingen? Also so richtig auf der Bühne? Gab es auch: | |
nämlich mit „Refugee Homecare: Flüchtige Heimatpflege“ vom Kollektiv | |
VOLL:MILCH der Universität Hildesheim plus dem dort angesiedelten | |
performance-orientierten Institut für Medien & Theater. Drei aus dem Sudan | |
geflüchtete Männer erzählen auf offener Bühne von ihrer Situation, was mal | |
übersetzt wurde, mal auch wieder nicht, während im Hintergrund auf einer | |
Videoinstallation eine Gesellschaft aus jungen und weißen Mitteleuropäern | |
in einem Freibad irgendwie das Flüchtlingsdasein nachspielt: Man springt | |
plötzlich in voller Kleidung ins Schwimmbecken, man rudert in einem | |
Gummiboot hektisch herum. | |
Irgendwann trieb noch eine riesige Plastikananas auf dem Wasser, eine | |
Angela-Merkel-Darstellerin verteilte Handtücher und unablässig wurden | |
bengalische Feuer entzündet, die alles in theaterdramatischen Rauch hüllte, | |
bis eine Art Manifest gesprochen wurde, dass unser Engagement für | |
Flüchtlinge forderte wie kritisierte. Das Stück hinterließ große | |
Ratlosigkeit, Juror und Theaterregisseur Robert Borgmann aus Berlin fand | |
gar harte Worte: „Für mich war das eine Art Post-Linke-Selbsttherapie, nur | |
diesmal mit Flüchtlingen.“ | |
Apropos Jury: Zum Gewinnerstück – samt 10.000 Euro für eine nächste | |
Inszenierung – wurde völlig zu recht die Inszenierung „Die Unerhörte“ v… | |
Anna-Elisabeth Frick der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg | |
erkoren. Denn Frick schaffte mit ihrer Adaption des klassischen | |
Kassandra-Stoffes, also der Warnerin, die ungehört bleibt, etwas Wichtiges: | |
der Selbstbefragung des Theaters nach seinen aktuellen Möglichkeiten mit | |
der Demonstration seines Potentials zu begegnen. Wie das umgesetzt wurde, | |
wie Fricks Schauspieltruppe ihren eben noch grandiosen Klamauk in tiefe | |
Tragik überführte, das war große Kunst. | |
14 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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Milo Rau | |
Thalia-Theater | |
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