# taz.de -- Die Wahrheit: Lob des Mineralwassers | |
> Der stille oder eben moussierende Alltagserfrischer muss endlich einmal | |
> bis ins letzte Bitzelbläschen gerühmt werden. | |
Bild: Erst bitter, dann leer. Und wer beansprucht diesen Missstand? | |
Es ist an der Zeit, ein Getränk zu feiern, das nicht nur in diesen | |
bierseligen Wochen ein wenig unter den Tisch zu tropfen droht. Ein Getränk, | |
das zwar getrunken wird, in seiner Unscheinbarkeit und Harmlosigkeit aber | |
nur selten Gegenstand wohlwollender Versenkung ist. Genossen sei es pur, | |
nicht als Grundlage für Fruchtsäfte oder Weißwein. Die Rede ist von | |
Mineralwasser. | |
Wer Fragen wie „Hey, das Spiel fängt gleich an! Was willst du trinken?“ mit | |
„Erst mal ein Mineralwasser, und dabei bleibe ich dann auch!“ beantwortet, | |
gilt als trockener Alkoholiker und wird ohnehin zu keinem Spiel eingeladen. | |
Böse Zungen unken sogar, Mineralwasser sei nach Kamillentee das | |
langweiligste Getränk der Welt. Böse Zungen können allerdings nie mit | |
Mineralwasser in Berührung gekommen sein, bringt doch ausgerechnet die | |
geschmackfreie Kohlensäure alle Geschmacksknospen explosionsartig zu voller | |
Blüte. | |
Bisweilen wird uns Leitungswasser als überteuertes Nichts mit Prunknamen | |
wie „Bonaqa“ untergejubelt, das wie nasser Hund schmeckt und nicht aus | |
vulkanischen Tiefen, sondern direkt von den örtlichen Stadtwerken kommt. Es | |
ist entsprechend chlorreich, dafür fehlen Sulfat, Magnesium, Kalzium, | |
Natrium und all das andere geile Zeug, dessen reine Erwähnung schon | |
Mineralwasserfreunde in ein erwartungsfrohes Entzücken versetzt wie Kiffer | |
das Wort „Tetrahydrocannabinol“. | |
Trotzdem wichtig, dass es sprudelt. „Medium“ verhält sich zu richtigem | |
Sprudel wie die SPD zum Kommunismus. Nichts Halbes, nichts Ganzes, eine | |
magenfreundliche und entsprechend unwirksame Variante auf das Original. | |
Wer’s „medium“ mag, der lasse sein Mineralwasser einfach lange genug offen | |
in der Sonne stehen. Auf diese Weise lässt sich auch, ein kleines Wunder | |
der Natur, das mikroskopische Tischfeuerwerk platzender Kohlensäureblasen | |
bestaunen. | |
Zwar sperrt sich das Mineralwasser gegen Innovation und Diversifizierung. | |
Es ist nicht zu verbessern und kommt in einer einzigen Geschmacksrichtung | |
(„Wasser“), andernfalls es seinen Charakter verliert und zur Plörre wird. | |
Und doch bietet der unermüdlich perlende Tanz der Blasen in seinem | |
Aufwärtsdrang – zäh an den Rändern, flott in der Mitte – und die | |
beharrliche Anverwandlung der meist lauwarmen Raumtemperatur ein treffendes | |
Abbild unserer Gesellschaft. Mineralwasser ist so transparent, wie wir uns | |
die Demokratie wünschen. | |
Es wird nicht gefrackt und ist nur selten radioaktiv verseucht. Es ist | |
nicht rot, grün, schwarz oder braun. Es beruhigt nicht, es enthemmt nicht. | |
Das Wasser bleibt, anders als „der“ Whisky oder „die“ Schorle, | |
geschlechtsneutral. Es kommt von ganz, ganz unten und ist entsprechend | |
sauer, ohne in existenzielle Trübnis zu verfallen. Es ist in jeder Talkshow | |
zu Gast, sagt aber nie ein Wort. Es hat keine Meinung über gar nichts, und | |
niemand hat eine Meinung über Mineralwasser, weshalb diese Zeilen hier zu | |
einem unbefriedigenden Ende kommen müssen. Bäuerchen! | |
24 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Wasser | |
Ernährung | |
Gesundheit | |
Kinder | |
Mücken | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Helden | |
Essen | |
Paris | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Die Reise nach Süden | |
Auf dem Weg Richtung Italien. Ein Dialog. Im Auto. Über Städte, Länder und | |
Namen. Und über einen Fleckenteppich namens Europa | |
Die Wahrheit: Mückenstichmusik | |
Im idyllischen Schlosspark wundervollen Klavierklängen lauschen – was gibt | |
es Schöneres? Gäbe es da nicht die Blutsauger und den Ohrenzucker. | |
Die Wahrheit: Bitterer Kaffee vom IS | |
Viele Gestörte treiben derzeit ihr gewalttätiges Unwesen. Und jedes Mal | |
erklärt der IS die Durchgeknallten zu „Brüdern“ und „Schwestern“. | |
Die Wahrheit: Drei Kreuze für drei Fragezeichen | |
Was stört einen bloß an diesen ach so pädagogischen Helden aus | |
Kinderbüchern? Es muss eine Allergie gegen solche Arten von Ideologie sein. | |
Die Wahrheit: Satt ohne Happahappa | |
Essen ist der große neue Scheiß. Was aber, wenn essen keinen Spaß macht und | |
nur lästige Pflicht ist? Irgendwas muss ja hinein in die Futterluke … | |
Die Wahrheit: Fahrtenbuch mit Proust | |
Am Ende erinnerte ich mich, dass ich auf dieser Fahrt eigentlich zu einem | |
Buch hatte greifen wollen, was war das doch gleich? |