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# taz.de -- Die Wahrheit: Satt ohne Happahappa
> Essen ist der große neue Scheiß. Was aber, wenn essen keinen Spaß macht
> und nur lästige Pflicht ist? Irgendwas muss ja hinein in die Futterluke …
Ich esse nicht gern. Das klingt vielleicht blöde, so wie: „Ich atme nur
widerwillig“, oder: „Spaß macht mir keine Freude“, aber es ist so. Erst
neulich ist es mir wieder klar geworden, beim Essen. Ich hockte da und
kaute und schaute umher und sah mich in der spiegelnden Fensterscheibe –
und mochte nicht, was ich da sah. Träge mahlende Kiefer und ein leerer
Blick, in dem fett und faul eine fast viehische Zufriedenheit lag. Das
kann’s nicht sein. Essen macht dick und ekelhafte Geräusche.
Das gilt auch fürs Kochen. Magazine wie Beef, Essen & Trinken, Der
Feinschmecker oder was sonst noch im Bahnhofskiosk um meine geneigte
Aufmerksamkeit buhlt – „I don’t give a flying fuck“, wie der Angelsachse
sagt. Geblubber und Gebrutzel sind mir zuwider, und ich halte „Alan’s
Psychedelic Breakfast“ für den schlimmsten Song, den Pink Floyd jemals
aufgenommen haben. Lieber lausche ich dem Geräusch auf Schiefer
kreischender Kreide als dem gaumigen Gluckern, mit dem Bier eingeschenkt
wird.
Gewiss ist, was oben so reinkommt und wie es zuvor zurechtgemacht wird,
inzwischen Merkmal sozialer Stratifikation. Heißer Scheiß im
Bekanntenkreis. Allein das emsige Tatütata, mit dem „nur für gute Freunde“
angeblich „ganz entspannt“ stundenlang gebraten und gedünstet wird, wobei
man sich den Köchen interessiert über die Schulter beugen und Sachen wie
„Ach sooo, du gibst das Zitronengras vorher dazu!“ sagen muss! Wo selbst
die Kinder danach speicheln, ihr Toast möge diagonal geschnitten und damit
in ein „Tramezzino“ verwandelt werden! Wo sogar schnöde Nudeln, scusi,
„Cappellini“ selbstverständlich, nach einem 1.000 Jahre alten
piemontesischen Rezept „ganz schnell“ in Trüffeln geschwenkt werden! Als
Distinktion ist mir das zu aufwändig, als Surrogat für Kultur zu
anstrengend.
So ungern ich esse, so gern bin ich allerdings satt. Ein altes Dilemma, das
ich erst kürzlich durch die Anschaffung einer Küchenmaschine auflösen
konnte. Nun ist ein Mixer zur Zubereitung von Smoothies fraglos ein
Werkzeug der Barbarei. Aber wenn schon, denn schon.
Früher waren mir Spinat, Avocados, Rote Bete, Karotten oder Ingwer einerlei
bis verhasst. Heute werfe ich das Gemüse einfach bunt in den Mixer, gebe
ein wenig Leitungswasser hinzu – und schaue eine Minute acht- und
aufmerksam dabei zu, wie unter höllisch industriellem Geheul die ganzen
Vitamine zerhäckselt und in einen Brei von babystuhlhafter Konsistenz und
Farbe verwandelt werden. Strohhalm rein, fertig. Ich muss nicht einmal
kauen. Nur saugen. Das Ergebnis schmeckt nicht gut, nicht schlecht. Na ja,
im Abgang erinnert es manchmal an einen morastigen Waldweiher. Oder an das
feuchte Stroh in einem Ziegenstall, also interessant und irgendwie
ökologisch.
Auf diese Weise bleibe ich satt, ohne kochen oder ernsthaft essen zu
müssen. Und gesund ist es auch. Mit jedem Schluck pürierter Pampe lebe ich
nachweislich drei Sekunden länger. Okay, der Nachweis ist noch nicht
wirklich geführt. Aber der Gedanke treibt’s rein.
29 Apr 2016
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Essen
Wasser
Helden
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Wiesbaden
Empörung
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