Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Fahrtenbuch mit Proust
> Am Ende erinnerte ich mich, dass ich auf dieser Fahrt eigentlich zu einem
> Buch hatte greifen wollen, was war das doch gleich?
Schon frühmorgens, den Kopf noch der Wand zugekehrt und ohne auch nur die
Tönung des Lichtstreifens über den großen Vorhängen am Fenster wahrgenommen
zu haben, wusste ich, wie das Wetter war, die ersten Straßengeräusche
hatten es mir mitgeteilt, je nachdem, ob sie von Feuchtigkeit gedämpft und
gebrochen zu mir drangen oder wie schwirrende Pfeile im hallenden, leeren
Raum eines weiten, eisigen und klaren Morgens, schon beim Abrollen der
Reifen der Automobile hatte ich gehört, ob ihre Fahrer im Nieselregen
dahinglitten oder aufbrachen in azurne Bläue, gerade so, wie ich selbst
mich nun auf den Weg zum Bahnhof machte, um mir im Schnellzug zum Garede
l´Est einen Platz am Fenster zu sichern, wo ich während der Fahrt mit
leicht splitterndem Bleistift auf der zart zitternden, aber ebenen Fläche
des Tisches in mein ledergebundenes Notizbuch gewissenhaft einzutragen
gedachte, wie die gleitende Landschaft wohl beschriftet sein möge, in
chronologischer und topografischer Reihenfolge, um auf diese Weise ein sich
gewissermaßen selbst schreibendes Fahrtenbuch dieser Reise entstehen zu
lassen, was, wenigstens zu Beginn der Reise, meine volle Aufmerksamkeit in
Anspruch nahm, damit mir folgende Worte in ihrer strengen Reihenfolge und
berückender Exotik nicht entgingen, also Frankfurt Hbf, Merkur Spielothek,
Lampertheim, P+R, Netto, KiK, Toom, Im Bahnbereich besteht
Warnwestenpflicht, Mehr Fitness für Mannheim, Südsalz, Mannheim Hbf,
Transportwagen II, InterCity Hotel, These Walls Are Street Galleries,
Warenannahme, Realschule Plus Neustadt Nord, Ich liebe dich!, Aral,
Prüfstützpunkt, ACAB, Kaiserslautern Hbf, Dino- und Gartenschau, Karlsberg
Bier, Saarbrücken Hbf, Cargo, Raillion, SNCF, um endlich in den von
frischem Schnee überzuckerten Hügeln hinter Forbach, wie zum Hohn ein
letztes deutsches Wort noch jenseits der Staatsgrenze, erkennen zu müssen,
dass der von mir so sehnlich erwartete Umschlag ins Französische offenbar
ausbleiben würde, so angestrengt ich auch mit noch gezücktem Stift
hinausspähte auf die sanften und baumlosen Wogen von Lothringen, hier die
Spitze eines Kirchturms nur in der Ferne gewahrend, dort die trockene
Tangente einer Autobahn, Metz 30, Paris 370, aber keine weiteren Schilder
mehr, keine Städte, keine bemalten Mauern, die mir etwas über das Land, das
ich mit 320 Stundenkilometern durcheilte, hätten erzählen können, nur weiße
Felder wie weiche Wolkenbänke, bevölkert als einzigem Lebewesen von einem
einsamen Fuchs und einer Wolke seines eigenen Atems erstarrt, bis der Zug
vorübergerauscht sein würde, umkreist von alarmierten Krähen, ansonsten gar
nichts, bis auf den unendlich zarten Schleier morgendlichen Dunstes vor dem
klaren Blau dahinter, ein Blau, welches mich in Paris erwarten würde, das
sich jetzt mit den gelben Klippen erster Hochhäuser ankündigte und mich
daran erinnerte, dass ich auf dieser Fahrt eigentlich zu einem Buch hatte
greifen wollen, was war das doch gleich? Ach egal, eh viel zu anstrengend.
18 Mar 2016
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Paris
Frankfurt am Main
Wasser
Helden
Essen
Wiesbaden
Empörung
Weihnachten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Lob des Mineralwassers
Der stille oder eben moussierende Alltagserfrischer muss endlich einmal bis
ins letzte Bitzelbläschen gerühmt werden.
Die Wahrheit: Drei Kreuze für drei Fragezeichen
Was stört einen bloß an diesen ach so pädagogischen Helden aus
Kinderbüchern? Es muss eine Allergie gegen solche Arten von Ideologie sein.
Die Wahrheit: Satt ohne Happahappa
Essen ist der große neue Scheiß. Was aber, wenn essen keinen Spaß macht und
nur lästige Pflicht ist? Irgendwas muss ja hinein in die Futterluke …
Die Wahrheit: Ein bunter Wald an Wahlplakaten
In einer satten und stolzen Stadt tief im Westen finden demnächst Wahlen
statt. Putzig und rührend unbeholfen werben die Parteien für sich.
Die Wahrheit: Der heißeste deutsche Januar
Derzeit im Sonderangebot: Empörung, Empörung, Empörung. Und Wutanfälle,
Wutanfälle, Wutanfälle. Affektkontrolle sieht anders aus.​
Die Wahrheit: Weihnachtsschorf am Arsch
Kurz vor den Festtagen stellt sich stets dieses erstaunliche Gefühl der
Gelassenheit ein. Rein gar nichts kann einen aus der Ruhe bringen …
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.