# taz.de -- Kinofilm „Everybody Wants Some!!“: Im Reich der Tennissocken | |
> Der neue Film von US-Regisseur Richard Linklater haucht der | |
> College-Komödie der Achtziger Leben ein. Musik spielt eine tragende | |
> Rolle. | |
Bild: Jake (Blake Jenner) am Steuer eines Coupés | |
Wenige Tage trennen die neuen Studierenden vom Beginn der Vorlesungen im | |
Sommer 1980. Kaum hat Jake Bradford seine Plattenkiste vorbei am Nachbarn, | |
der gerade auf der Veranda posierend seine Handmuskulatur trainiert, ins | |
Haus getragen, als adoleszenter Testosteron-und Marihuana-Nebel ihn | |
verschluckt: Der Gang durch das Haus, in dem er mit den übrigen Mitgliedern | |
der Baseballmannschaft vom College wohnen wird, erweist sich als Rundgang | |
durch die Versponnenheiten der Teammitglieder. | |
McReynolds und Roper, zwei Schlagmänner aus seinem Team, lassen ihrem | |
Männlichkeitswahn und ihren Vorurteilen gegen Werfer wie Jake freien Lauf. | |
Eine Treppe höher findet sich Jake auf der In-Door-Golfbahn wieder, die | |
zwei seiner Werferkollegen im Flur eingerichtet haben. | |
Als die Plattenkiste ihren Weg in Jakes Zimmer gefunden hat, geht es schon | |
weiter. Fünf der Baseballer steigen ins Auto und fahren – „Rapper’s | |
Delight“ von der Sugarhill Gang singend – in Richtung der Unterkünfte der | |
übrigen Kommilitonen, um Studentinnen aufzureißen. | |
Überwältigt sieht Jake den Balzritualen seiner Teamkollegen zu. Als eine | |
der Angebaggerten die Großmäuler abblitzen lässt, aber hinzufügt, dass ihr | |
der Typ auf der Rückbank gefiele, ist Jake endgültig aus dem Konzept. | |
Richard Linklater inszeniert „Everybody Wants Some!!“ als quasihistorischen | |
Rückgriff auf eines der beliebtesten Subgenres des US-Kinos der achtziger | |
Jahre: die College-Komödie. | |
Jake bleibt inmitten der Collegewelt voller sexueller Möglichkeiten und den | |
neuen Eindrücken am normalsten in seinem Team. Weder trinkt und kifft er | |
sich vollkommen um den Verstand wie Teamkollege Coma, noch muss er jedem | |
weiblichen Wesen permanent von der Größe seines Gemächts vorschwärmen wie | |
der ansonsten durchaus charmante Teamkollege Finnegan. | |
## Wanderer zwischen den Welten | |
Jake ist in Linklaters Film so etwas wie ein Wanderer zwischen den Welten. | |
Bleiben die übrigen Mitglieder des Teams weitgehend unter ihren | |
tennisbesockten Bekannten und deren Begleiterinnen, so taucht Jake ebenso | |
bereitwillig in die Welt eines Punkkonzerts ein, auf das ihn sein | |
High-School-Freund Justin schleppt, wie auf die Theaterparty, zu der sein | |
Schwarm Beverly ihn nach einem ersten Treffen mit dem „ruhigen Typen von | |
der Rückbank“ einlädt. | |
Als Jake die Party seinen Teamkollegen in der Hoffnung auf etwas entspannte | |
Zeit zu zweit zunächst verschweigt, lässt es sich der Rest der Mannschaft | |
aber doch nicht nehmen mitzugehen. | |
„Everybody Wants Some!!“ katapultiert die Zuschauer mit in die sorglosesten | |
Jahre der Collegewelt nach Ende des Vietnamkriegs, bevor Ronald Reagan 1981 | |
US-Präsident wurde, und haucht den Genrekonventionen der College-Komödien | |
neues Leben ein. Dass Musik dabei eine tragende Rolle spielt, wundert kaum: | |
Songs als Einstieg in Bildwelten zu nutzen, ist eines von Linklaters | |
Markenzeichen. Das zeigt sich vor allen in seinem bekanntesten Komödien wie | |
„Dazed and Confused“, einem Coming-of-Age-Film, angesiedelt in einer | |
High-School Ende der Siebziger. Oder auch in der Band-Komödie „School of | |
Rock“ (2004). | |
## Post-Hippie-Alltag | |
Jake als Figur eröffnet Linklater die Möglichkeit, über die klassische | |
College-Komödie hinauszugehen und „Everybody Wants Some!!“ zu einem | |
Zeitporträt der Achtziger und des Post-Hippie-Campusalltags zu erweitern. | |
Neben Ausflügen in die Paralleluniversen von Baseball, Punk und Theater | |
ziehen Jake und seine Baseball-Freunde, nachdem sie hochkant aus der Disco | |
geflogen sind, aufs Land zu einer Party mit Squaredance und Countrymusik. | |
Ein Wermutstropfen: Wie in den Genre-Reanimationen von Quentin Tarantino | |
wird einem auch in „Everybody Wants Some!!“ schmerzhaft bewusst, wie | |
Jungs-geprägt diese Art Kino war und geblieben ist. Wo ist die queere | |
Stephanie Rothman des 21. Jahrhunderts, die die Genrekonventionen aufnimmt | |
und zugleich ordentlich durchschüttelt? | |
Für „Everybody Wants Some!!“ findet Linklater eine formvollendete | |
Achtziger-Jahre-Ästhetik, die Hauptdarsteller Blake Jenner wie einen | |
ungealterten Teeniestar von vor 30 Jahren erscheinen lässt. In diesem | |
Gesamtbild entwickelt sich selbst die bisweilen arg detailverliebte | |
Ausstattung nicht zum manieristischen Ballast. Vielmehr setzt all das den | |
Ton für einen schwelgerisch-verspielten Film wie ein Kinderzimmer voller | |
Betten, das zu einer Kissenschlacht einlädt. Diese Freiheit durchzieht den | |
Film bis in die Credits am Ende und strahlt von der Leinwand herab. | |
2 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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