# taz.de -- Integrationsdebatte in den Niederlanden: Partei für Ali und Jan | |
> Denk – so heißt eine neue Partei in den Niederlanden. In ihr sammeln sich | |
> viele Migranten, die Rechtspopulisten entgegenwirken wollen. | |
Bild: Die Moderatorin Sylvana Simons, aus Surinam stammend, ist das derzeit pro… | |
BREDA taz | Kaffee, Kuchen und zusehen, wie Geschichte geschrieben wird: So | |
lautet das Rezept für einen gelungenen Sonntagnachmittag im | |
Seniorenwohnheim am Brabantpark in Breda. Je häufiger die Polizei in | |
Streifenwagen vor dem Nachbarschaftszentrum gegenüber patrouilliert, desto | |
mehr füllen sich die Balkone mit Rentnern. | |
Es ist kurz nach 16 Uhr, alle Besucher sind jetzt hineingegangen in den | |
niedrigen Bau, wo am Wochenende die erste Abteilung einer neuen Partei | |
gegründet wurde. Einer, die zurzeit in aller Munde ist in den Niederlanden | |
– und dann ausgerechnet hier, in einem etwas konturlosen Viertel von Breda, | |
einer Stadt in der niederländischen Provinz Brabant mit knapp 200.000 | |
Einwohnern. | |
„BewegingDENK“ ist der offizielle Name der Partei, die angetreten ist mit | |
keinem geringeren Ziel, als die Gräben in den Niederlanden zu überwinden. | |
Die „Wir-gegen-die-Stimmung“, die Kluft zwischen Bürgern und Politik und | |
die zwischen Alteingesessenen und Immigranten. Natürlich löst das | |
Diskussionen aus in diesem Land, in dem Integration seit 15 Jahren ein | |
kritischer Punkt ist, an dem man sich leicht die Finger verbrennt. So wie | |
Sylvana Simons. | |
Die TV-Moderatorin, aus Surinam stammend, gab im Mai bekannt, für Denk zu | |
kandidieren. Shitstorm ist gar kein Ausdruck für die Menge von | |
rassistischen Kommentaren in sozialen Medien, die darauf folgte. | |
## Selbstgefälliges Auftreten kennt man von Geert Wilders | |
„Ist Sylvana schon drin?“, fragt eine Frau um die 40. Sie und ihr Mann, im | |
verwaschenen T-Shirt mit dem Logo einer Heavy-Metal-Band, sind nur für ein | |
Foto mit dem prominentesten Denk-Mitglied gekommen. Natürlich liegt es an | |
der Moderatorin, dass um dieses Gründungstreffen so ein Aufsehen gemacht | |
wird. Erst sollte es allen zugänglich sein, dann entschied man spontan, nur | |
angemeldete Gäste einzulassen. | |
Auch die meisten Journalisten müssen sich mit einem Platz vor der Tür | |
begnügen. Das selbstgefällige Auftreten gegenüber der Presse erinnert an | |
die Partei, von der man sich eigentlich absetzen will: die | |
rechtspopulistische PVV von Geert Wilders. | |
Doch es ist auch Besorgnis, die hier für ernste Mienen sorgt. Stand zuerst | |
eine einzelne Streife auf dem fast leeren Parkplatz vor dem Zentrum, fahren | |
jetzt mehrere im Minutentakt durch die Gegend. Polizisten stehen an der | |
Ecke, und ein Denk-Mitglied raunt, es habe Hinweise in Social-Media-Foren | |
gegeben, irgendwer führe irgendwas im Schilde. Was genau? Er zuckt die | |
Schultern. | |
„Alle Niederländer“ will Denk ansprechen, und tatsächlich kommen helle und | |
dunkle, alte, junge, Frauen und Männer. Ein Consultant Ende 50, der sich | |
als „Hans“ vorstellt, lacht und sagt, er sei ein „Brabanter Bauer“, wei… | |
so verwurzelt ist in dieser ländlichen Gegend. Doch Hans hat eine Frau „aus | |
dem karibischen Gebiet“ und Kinder, „die auch farbig sind“. | |
## „Ich will mitbauen an den neuen Niederlanden“ | |
Er hat darum aus nächster Nähe mitbekommen, wie Menschen mit dunklerer | |
Hautfarbe in den Niederlanden durchaus anders behandelt werden. Seine | |
Konsequenz: „Ich will mitbauen an den neuen Niederlanden, mit verschiedenen | |
Kulturen, die gleichwertig miteinander umgehen.“ | |
Solange er denken kann, geht seine Stimme an die Sozialdemokraten, aus | |
deren Fraktion die beiden Denk-Gründer im Streit über die | |
Integrationspolitik der Partei ausgeschlossen wurden. „Etwas anderes zu | |
wählen, wäre ein großer Schritt für mich“, sagt er – und ist doch kurz | |
davor. Der Umgang mit Diversität ist es, der ihn bei seiner Stammpartei | |
stört. „Sie sind zu weit mitgelaufen beim Dämonisieren von Ausländern.“ | |
Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Sozialdemokraten der | |
populistischen Versuchung nicht immer widerstehen konnten. Zu viele Wähler | |
haben ihnen die Parteien von Pim Fortuyn und Geert Wilders abspenstig | |
gemacht. Umfragen sehen Letztere bei 37 der 150 Parlamentssitze, die | |
Sozialdemokraten bekämen aktuell keine zehn mehr. | |
Zugleich aber sind sie, wie in Deutschland, traditionell die Partei der | |
Migranten. Aber in den türkischen Gemeinschaften scheint sich das mit Denk | |
zu ändern. Und auch der Brabanter Bauer Hans will nun Mitglied der Bewegung | |
werden. | |
## „Wenn dir die Türkei nicht gefällt, fahr halt nicht hin“ | |
Ob man nun Befürworter oder Gegner ist: Mit ihrer Agenda hat Denk einen | |
Nerv getroffen. Vor kurzem fragte Mitbegründer Tunahan Kuzu im Parlament | |
eine Rassismus-Diskussion an. Was niemanden kalt lässt in diesem Land, in | |
dem man sich seit Jahren verbissen um den rassistischen Gehalt der | |
traditionellen Figur Zwarte Piet streitet, des Helfers des Nikolaus. | |
Und weil es für die Niederlande, wie sie finden, noch viel zu tun gibt bei | |
der Gleichbehandlung ihrer Bürger, laufen auch drei Mädchen auf das | |
Nachbarschaftszentrum zu. „Kein Unterschied zwischen Ali und Jan!“, so | |
sollte es sein. „Aber wenn es um Bewerbungen geht, hat Jan doch bessere | |
Chancen.“ | |
Tuba Buyukcelik ist 17, und ihr Vater, der aus der Türkei stammt, ist | |
Mitglied von Denk. „Es ist die einzige Partei, die ich wählen würde“, | |
versichert sie. „Sie setzt sich für Minderheiten ein, die sich sonst nicht | |
vertreten fühlen.“ Ihre Freundin Alana de Munnik, 18 und Halbrussin, nickt. | |
Was aber halten sie davon, dass die Partei die Verhaftung von Ebru Umar in | |
der Türkei verteidigte, eine niederländische Kolumnistin, die Erdoğan auf | |
Twitter den „megalomansten Diktator seit Gründung der Republik 1923“ nannte | |
und auch aus türkisch-niederländischen Kreisen hasserfüllte Reaktionen | |
erntete? | |
„Wenn dir die Türkei nicht gefällt, fahr halt nicht hin“, antwortet Tuba | |
Buyukcelik beiläufig. „Ebru Umar hat es provoziert.“ Loubna Chettou, | |
Marokkanerin und Dritte im Bunde, findet, man solle sich zuerst mit | |
niederländischen Themen auseinandersetzen. Und überhaupt: „Es wird mit | |
zweierlei Maß gemessen. Hier darf man doch auch nicht den König beleidigen? | |
Deswegen wurde doch neulich erst jemand verhaftet.“ | |
## Fußballfans, die zum Protestieren kommen | |
Kurz bevor die Veranstaltung beginnt, fährt ein dunkler Mercedes vor, der | |
sogleich die Aufmerksamkeit des Sicherheitspersonals bekommt. Im | |
Rückfenster hängen zwei Miniatur-Trikots von Feyenoord Rotterdam. | |
Spätestens seit den Protesten gegen die Flüchtlingsheime im vergangenen | |
Herbst weiß man: Wenn Feyenoordfans zu politischen Veranstaltungen kommen, | |
wird es laut. | |
Der Nederlands Verbond, eine Gruppe, die aus den Antiflüchtlingsprotesten | |
entstanden ist und Schnittmengen mit dem Fußball-Fanclub hat, ist an diesem | |
Tag zum Diskutieren gekommen. 14 Mitglieder, meist männlich und kräftig, | |
steigen aus weiteren Autos. Sie tragen Poloshirts mit dem Schriftzug der | |
Gruppe. | |
Was sie nach Breda führt? „Die Islamisierung, die immer schneller verläuft | |
– und unsere Werte, die unter Beschuss liegen“, erklärt Adé Jansen, | |
früherer Mitarbeiter der Partei Pim Fortuyns, der betont, selbst aus einer | |
indonesischen Familie zu stammen. „Wir haben uns angepasst und sind stolz | |
darauf, Teil der niederländischen Kultur zu sein.“ | |
Die ersten Wortgefechte entstehen, als der Nederlands Verbond sich nahe dem | |
Eingang aufbaut und drei Fahnen präsentiert. Die erste zeigt den eigenen | |
Schriftzug, auf der zweiten steht „Ich schäme mich nicht für Zwarte Piet“, | |
die dritte gehört zur European Syriac Union, ein Zusammenschluss | |
assyrischer Organisationen. | |
## Frauenrechte, Homorechte, Zwarte Piet | |
Die Assyrer, eine christliche Volksgruppe, wird in Ländern wie Syrien und | |
dem Irak von Islamisten verfolgt. Wie, Meneer Jansen, geht das alles | |
zusammen? Nun, sagt er, das habe mit den bedrohten Werten zu tun, als da | |
wären: „Frauenrechte, Homorechte, Zwarte Piet. Und die Lage der Assyrer | |
spielt auch eine Rolle.“ | |
Längst sind die Türen ins Schloss gefallen, als die Polizei die | |
Protestierenden wegschickt. Einer läuft noch zum Seniorenwohnheim und | |
verteilt Flugblätter an ebenerdigen Balkonen, dann fahren sie wütend davon. | |
Drinnen geht es ums Brückenbauen – allerdings ohne den Star des Tages: | |
Sylvana Simons ist krank geworden und hat ihren Besuch abgesagt. | |
10 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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