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# taz.de -- Jamala gewinnt den ESC in Stockholm: Die ukrainische Eurovisionshel…
> Mit „1944“, einer tragödischen Ballade, gewinnt die Sängerin Jamala den
> 61. Eurovision Song Contest. Die deutsche Jamie-Lee wurde Letzte.
Bild: Finstere Wolken nach dem Gewinn
Ihr ästhetisches Angebot war anders als alle anderen 25 Acts im Finale des
61. Eurovision Song Contest. Das Lied „1944“, das noch im März knapp vor
der Disqualifikation durch die ESC-Leitung stand, weil es offenkundig ein
politisches Lied war, das die Ukraine zum Contest schicken wollte,
thematisiert in elektropopgestützten Beats in drei Minuten die Geschichte
der Vertreibung und Deportation der Krim-Tataren durch das stalinistische
Regime der Sowjetunion im Jahre 1944.
Sängerin Jamala konnte und wollte diese tragödische Ballade singen – und
sie setzte sich schon in der ukrainischen Vorentscheidung durch, mit Hilfe
der Publikumswertung, gegen das Votum der Juroren in ihrem Land. Das
russische Fernsehen protestierte damals gegen dieses Lied des
geographischen Nachbarn, aber Jamala beteuerte, es handele lediglich von
ihrer krimtatarischen Familie der vierziger Jahre, nicht von der
Krim-Okkupation durch Russland vor gut zwei Jahren.
Jamala profitierte in gewisser Weise davon, dass der haushohe Favorit,
Sergej Lazarev aus Russland, von den Juries – die ihre Punkte in einer vom
Televoting getrennten Wertung abgaben – in sehr vielen Ländern missachtet
und mit null Punkten übersehen worden war. Am Ende der Jurywertung lag die
Australierin Dami Im heftig in Führung: Sie war mit ihrem Lied „Sound of
Silence“ mit 320 Punkten deutlich in Führung vor der Ukraine, Frankreich
und Malta – am Ende, durch das Televoting wurde die Australierin doch noch
auf den zweiten Platz verwiesen, von eben Jamala durch das viel bessere
Ergebnis beim Televoting. Russlands Sänger siegte bei den
Publikumsabstimmungen vor der Ukrainerin, aber er schaffte es nur noch auf
den dritten Platz der kombinierten Wertung.
Jamala sagte später, sie habe für ihr Land gesungen, für die Geschichten,
die nicht so oft in Europa erzählt werden, Geschichten von Vertreibung, von
Hungertoden, von Deportationen – die es ja auch noch während des Holocaust
in der Ukraine gab. Sie sprach, als hätte ihr der US-Historiker Timothy
Snyder („Bloodlands“) das wissenschaftliche Skript geschrieben – eine
ästhetische Zuspitzung in der Sprache des Pop über die blutigen
Landschaften der Ukraine in den vierziger Jahren und wie sehr die dortigen
Überlieferungen von den Taten bis in die Jetztzeit nachwirken.
## 11 Punkte für Jamie-Lee
Russische Medienkolleg*innen beschwerten sich hernach, die Stimmung gegen
Russland sei zum Greifen gewesen – aber sie übersahen, dass auch aus
Russland bei den Jurywertungen kein Punkt an die Ukraine erging, wobei auch
aus Kiew kein Zähler an Sergej Lazarev vergeben wurde.
Auffällig war – kurz nach dem Siegesvortrag Jamalas in Stockholm [1][auch
via Internet ersichtlich], weil dort die detaillierten Televotingresultate
Land für Land überprüfbar sind –, dass das Siegerlied des gewöhnlichen
Radio- und Internetmusikhörers das russische war, gefolgt vom ukrainischen
Beitrag. Sergej Lazarev, was für eine politische Nebenpointe, erhielt von
den Televotern der Ukraine die volle Punktzahl, zwölf, während Jamala aus
der Ukraine vom russischen Publikum immerhin noch zehn Zähler aufs
Gesamtkonto bekam. Das heißt: Die Jurys, allesamt Angehörige des
musik-industriellen Komplexes, werteten mit starker politischer Note, die
Televoter in den 42 Ländern ließen sich von politschen Aversionen nicht
gleich stark beeindrucken.
Sergej Lazarev erhielt für seinen kostspieligen, technisch höchst
anspruchsvollen Act 361 Punkte von den 41 Ländern (vom eigenen Land kann er
ja keine Punkte erhalten), also 8,8 Zählern pro Land, die Ukrainerin Jamala
323 (7,87). Das heißt: Das Lied „You're The Only One“ räumte in jedem der
41 mit dem Russen konkurrierenden ESC-Teilnehmerländer Höchstwertungen ab.
Mithin: ein potentieller Radio-Pop-Wellen-Erfolg.
Signifikant waren die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Jury- und
Zuschauerwertungen besonders für drei Länder: Der Pole Michal Szpak war bei
den Profiwertungsgerichten auf dem vorletzten Platz, bei den Laien, den
Zuschauern, wurde er Dritter – noch vor der Australierin -, insgesamt
schaffte er den achten Rang. Italiens Francesca Michielin erntete bei den
Juroren – die um den Stellenwert italienischer Popmusik in Europa wissen –
viel mehr Zustimmung als beim Laienpublikum. Und der Israeli Hovi Star, der
aus Deutschland seitens der Jury den größten Zuspruch erntete, war durch
die Profieinschätzungen sehr weit vorne, sammelte jedoch beim Publikum so
gut wie nichts ein.
Die Deutsche Jamie-Lee belegte den letzten Platz (hier die Gesamtübersicht:
[2][https://de.wikipedia.org/wiki/Eurovision_Song_Contest_2016]), aber sie
erhielt, anders als Ann Sophie im Vorjahr Punkte. Elf Punkte – einen
Jurypunkt aus Georgien, zwei Publikumspunkte aus Österreich und acht Zähler
durch das Publikum der Schweiz.
Thomas Schreiber, TV-Unterhaltungskoordinator und deutscher ESC-Chef, sagte
zum neuerlichen letzten Rang für Deutschland beim ESC: „Jamie Lee ist eine
besondere, liebenswerte junge Frau und eine wunderbare Sängerin. Ihr
Auftritt war Eins A. Nach unserem Eindruck hat Jamie Lee vor allem das
junge Publikum angesprochen. International und beim Publikum in allen
Altersschichten ist es offenbar eher auf Unverständnis gestoßen, dass ein
Manga-Mädchen aus Deutschland antritt.“
Und Jamie-Lee teilte mit: „Ich persönlich bin sehr zufrieden mit meiner
Leistung und ich weiß, dass alle meine Fans hinter mir stehen werden. Ich
werde jetzt erstmal feiern“
Es war ein grandioser, fast vierstündiger Abend – eine queere Familienshow
sondergleichen. Ob sie in Kiew (oder Odessa) im kommenden Jahr mit
ähnlichem Aufwand (finanziellem vor allem) inszeniert werden kann, ist bis
zum September offen.
15 May 2016
## LINKS
[1] http://www.eurovision.tv/page/results
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Eurovision_Song_Contest_2016
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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