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# taz.de -- Israel-Reise der Linken-Spitze: Die Friedensfahrer
> Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht besuchen Israel. Der Zeitpunkt ist
> heikel. Denn das Land erlebt gerade einen Rechtsruck.
Bild: Sahra Wagenknecht reiste nicht mit Bodo Ramelow nach Griechenland
Jerusalem/Ramallah taz | „Do you have weapons?“, fragt der Mann am
Schlagbaum. „Dietmar, hast du ’ne Waffe“, gibt sein Büroleiter die Frage
weiter. Nein, Dietmar Bartsch hat keine Waffe. Waffen sind in der Knesset,
dem israelischen Parlamentsgebäude, generell verboten. Und überhaupt: Der
Linkenpolitiker ist auf Friedensmission in Israel, zusammen mit Sahra
Wagenknecht. Ein Kleinbus bringt die beiden an diesem Montagabend zu einem
Treffen mit Oppositionspolitikern in der Knesset. Wagenknecht sitzt vorn
links, Bartsch ganz hinten.
Es ist der erste Tag ihrer ersten gemeinsamen Auslandsreise als
Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Seit sieben Monaten sind die
Nachfolger Gregor Gysis im Amt.
Dass sie ausgerechnet Israel bereisen – und nicht etwa Griechenland, wo ja
immerhin ein linker Ministerpräsident regiert –, hat Gründe: Jahrelang
haben sich der linke und der rechte Flügel der Linkspartei regelrecht
bekriegt, auch in der Frage, wie sehr man Israel kritisieren darf. Als
einige Bundestagsabgeordnete, darunter auch Wagenknechts Stellvertreterin,
ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag eine israelkritische Veranstaltung im
Bundestag anberaumten, kam es im Jahr 2014 zum Toilettengate. Gysi hatte
die Veranstaltung abgesagt. Er wurde dafür beschimpft und auf die Toilette
verfolgt.
Mit der Wahl von Bartsch und Wagenknecht schlossen die Flügel auch eine Art
Waffenruhe. Die Israelreise der beiden Protagonisten des kommunistischen
und des Reformerlagers soll den Frieden in der Fraktion unterstreichen:
„Dass wir hier sind, ist ein nicht ganz unwichtiges Signal nach
Deutschland. Uns wird ja sonst immer unterstellt, dass wir uns nicht
einigen könnten“, meint Bartsch.
## Vorsichtig balancieren
Doch fällt die Friedensmission der beiden Fraktionshäuptlinge ausgerechnet
in eine Woche, in der die Ultrarechten Teil der israelischen Regierung
werden. Die Linksaußenpartei im deutschen Bundestag trifft also auf eine
Rechtsaußenkoalition in Israel. Der Versuch, Verbundenheit zu dem jüdischen
Staat zu demonstrieren und sich gleichzeitig mit den linken Kritikern vor
Ort zu zeigen, gerät zum Balanceakt. Das heilige Land ist ein
diplomatisches Minenfeld, durch welches Bartsch und Wagenknecht während
ihrer Zweitagestour etwas steif und übervorsichtig staksen.
Am Montagnachmittag beim Bummel durch die Jerusalemer Altstadt ist Bartsch
noch prächtig gelaunt. Er wird sogar auf der Straße erkannt. Fast. „Sie
sind doch Herr Ramelow“, fragt ein deutscher Tourist. „Nee, Herr Bartsch“,
sagt Bartsch. „Ach natürlich“, sagt der Mann strahlend. „Sie sind ja ein
Israelfreund.“
Zwei Stunden später ist die Stimmung gedrückter. Sahra Wagenknecht und ihr
Kollege treffen israelische Aktivisten und Besatzungsgegner in einem linken
Thinktank. „Zentrum für die Erneuerung der Demokratie“ steht auf dem
Türschild der Villa. Eine Karte im Innern zeigt Israel und die besetzten
Gebiete. Blaue Punkte darauf markieren die illegalen jüdischen Siedlungen
in den Palästinensergebieten.
Die vier Frauen und Männer, denen Bartsch und Wagenknecht gegenübersitzen,
sind zutiefst pessimistisch: Israel baut und baut, der Friedensprozess ist
praktisch tot, eine Zweistaatenlösung nicht in Sicht.
Details dieses Gesprächs sollen auf Wunsch der AktivistInnen nicht nach
außen dringen, denn die Regierung Netanjahu hat inzwischen ein Gesetz auf
den Weg gebracht, um kritische NGOs zu kontrollieren. „Allein der Satz:
,Deutschland sollte mehr Druck ausüben', könnte sie in Gefahr bringen“,
erläutert der Leiter der hiesigen Rosa-Luxemburg-Stiftung Tsafrir Cohen,
der das Treffen organisiert hat.
Das gleiche Spiel am Abend, als die beiden Politiker in der Knesset
aufschlagen und sich mit Abgeordneten der Gemeinsamen Liste, der stärksten
Oppositionsfraktion, treffen: Auch sie wollen nicht zitiert werden. Denn
ein weiteres Gesetz soll es möglich machen, dass Knesset-Abgeordnete wegen
ungebührlichen Verhaltens aus dem Parlament ausgeschlossen werden können.
## Einigkeit zeigen
„Wenn es so etwas bei uns gäbe, wären wir schon raus“, frotzelt Bartsch.
Wäre er im umgekehrten Fall genauso beschwingt, wenn seine Fraktion die
Israelis aus Angst vor der Merkel-Regierung nur unter Ausschluss der
Öffentlichkeit empfangen würde?
Im Besprechungsraum in der Knesset ist es kühl, Wagenknecht bittet um etwas
Heißes zu trinken. Nachdenklich löffelt sie den Schaum ihres Schokocino:
„Als Linke sehen wir die israelische Politik sehr kritisch und werden das
morgen beim Präsidenten auch so ansprechen“, sagt sie. Aber genauso werde
man Israel nicht das Existenzrecht absprechen, setzt sie nach. Wagenknecht
hält sich exakt an die vereinbarte Sprachregelung: Kritik äußern, aber im
selben Atemzug betonen, dass man zu Israel halte. Bartsch ergänzt: „Fakt
ist: Israel ist eine Demokratie. Dass es hin und wieder mal“, ein rascher
Seitenblick zu Wagenknecht, „eine schiefe Äußerung gibt, gehört dazu.“
Die beiden wirken wie eine gut eingespielte Zweckgemeinschaft, die vor
allem einem Ziel dient: Einigkeit zeigen. Zwischen beiden herrscht keine
allzu große Nähe, aber sie ersparen sich auch Seitenhiebe.
Beim Besuch der Gedenkstätte Jad Vaschem am nächsten Tag legen Bartsch und
Wagenknecht einen Kranz nieder und tragen sich anschließend ins Buch ein,
streng auf Gleichberechtigung bedacht. Wagenknecht schreibt: „In Gedenken“,
und dann setzt Bartsch hinzu: „und Verantwortung“. Sehr schlicht, sehr
staatstragend.
In Rivlins Residenz dürfen sie anschließend eine halbe Stunde mit dem
Präsidenten plaudern, der zwar ein Likud-Politiker ist, sich aber immerhin
traut Netanjahu ständig zu kritisieren. Bartsch ist weniger mutig. „Wir
sind in einer ausgesprochen interessanten Situation hier in Griechenland,
äh Israel“, sagt er auf Deutsch. Von Besatzung spricht er nicht.
## Etwas Druck, aber kein Boykott
Nach der mit den Israelis vereinbarten Tagesordnung wagen beide noch einen
Trip nach Ramallah, inklusive Mauertour. Für Wagenknecht, die Israel zum
ersten Mal besucht, ist der Ausflug in die besetzten Gebiete der
beeindruckendste Teil der Reise: „Die Mauer, die mitten durch die
palästinensischen Gebiete geht, wirkt bedrohlich und schockierend.“ Als
ihnen später in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung palästinensische
Linke bei Tabuleh und Teigtaschen ihre Sicht der Dinge schildern und einen
Boykott von Waren aus den illegalen Siedlungsgebieten fordern, äußert die
Fraktionsvorsitzende zumindest Verständnis: „Ich denke auch, dass es mehr
Druck von außen auf Israel braucht, damit die aggressive Siedlungspolitik
gestoppt wird, und wir als Linke müssen dazu beitragen“, sagt sie später.
Aber ein Warenboykott kommt nicht infrage, da sind sich beide wieder einig.
„Das fordern lediglich Parteien, die im Bereich von Sekten sind“, meint
Bartsch. Die Palästinenser bedanken sich höflich, aber sichtlich enttäuscht
bei den Genossen, die sich ihrer Meinung nach zu sehr mit Positionen
„vergnügen“, die auch die Regierung vertreten könnte.
Doch da unterschätzen sie die Linke. Als der Kleinbus am Montag die Knesset
verlässt, sammelt ein Uniformierter alle Besucherausweise am Schlagbaum
ein. „Alle abgegeben“, ruft Bartsch und stopft seinen in die Tasche. Als
Andenken. So viel Subversion leistet sich die Linke beim Israelbesuch dann
doch.
26 May 2016
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Sahra Wagenknecht
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Israel
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