# taz.de -- LGBT-Rechte in den USA: Bibeln, Klotüren und alte Seilschaften | |
> In North Carolina dürfen Transmenschen nicht das Klo ihrer Wahl benutzen. | |
> Hinter dem umstrittenen „HB2“-Gesetz steckt ein Kulturkampf. | |
Bild: Freie Wahl beim Toilettengang gibt es in North Carolina nicht mehr | |
Raleigh taz | Es ist morgens, halb zehn, als Alexis Dinyovszky zum ersten | |
Mal mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Sie muss aufs Klo, und da sie sich | |
als Frau fühlt, geht sie auf die Damentoilette – in der Höhle des Löwen, | |
wenn man so will: im Parlament North Carolinas, das per Gesetz verfügte, | |
dass es Ausnahmen nicht geben darf, dass eine Transgender-Frau wie Alexis | |
Dinyovszky aufs Männerklo muss, weil sie als Mann geboren wurde. | |
Der Testfall auf den Fluren der General Assembly endet völlig | |
unspektakulär. „Niemand hat sich darum geschert“, sagt Alexis Dinyovszky. | |
„Es war, wie es immer war.“ Nie habe sie Ärger bekommen in den fünfzehn | |
Jahren, in denen sie nun schon aufs Frauen-WC geht, in Restaurants, in | |
Museen, auf Flughäfen. Schon deshalb versteht Alexis Dinyovszky nicht, | |
welchen Sinn HB2 haben soll. | |
Die House Bill Nr. 2, eine Novelle des Repräsentantenhauses North | |
Carolinas, wurde Ende März im Eilverfahren durchgesetzt. Seitdem | |
beschäftigt sich das ganze Land so intensiv mit Toiletten, wie es nicht | |
mehr der Fall gewesen ist, seit Elvis Presley auf einer starb. Große | |
Unternehmen distanzieren sich von North Carolina, der | |
Online-Zahlungsdienstleister PayPal hat auf den Bau einer neuen | |
Operationszentrale in dem Bundesstaat verzichtet, während die Handelskette | |
Target wissen ließ, dass HB2 in ihren Kaufhäusern nicht gelte. Worauf eine | |
Initiative evangelikaler Christen eine Petition in Umlauf brachte, die dazu | |
aufrief, Target zu boykottieren. Szenen eines Kulturkriegs. | |
Vorm Geschichtsmuseum in Raleigh, der Hauptstadt des südlichen | |
Bundesstaats, haben sich an einem Montag im Mai Gegner der Novelle zum | |
Protest versammelt, angeführt von William Barber, einem schwarzen | |
Geistlichen, dessen kräftige Baritonstimme eigentlich kein Mikrofon | |
bräuchte. „Hate Bill 2“ steht auf Postern: Statt Toleranz zu fördern, wer… | |
Hass gesät. | |
Im Interview spricht Barber von der alten Südstaaten-Strategie der | |
Konservativen, vom Versuch, mit emotional aufgeladenen Themen einen Keil | |
zwischen die Menschen zu treiben. „In Zeiten der Rassentrennung haben sie | |
gesagt, du kannst schwarze Männer nicht in die Büros lassen, in denen | |
unsere weißen Frauen sitzen, unsere Frauen schweben sonst in Gefahr. Heute | |
sind es die Transgender-Leute, die sie ins Visier nehmen, um Hysterie zu | |
schüren. Hauptsache, man mobilisiert seine Anhänger.“ | |
November-Politik nennt Barber das, mit Blick auf das Präsidentschaftsvotum | |
am 8. November. Das lange Zeit stramm republikanische North Carolina ist | |
inzwischen liberaler geworden und zählt nun wohl zu den Staaten, die bei | |
der Wahl auf der Kippe stehen. „Der Süden ist nicht mehr der Süden“, brin… | |
es der Reverend auf eine prägnante Zeile. Und so stehe HB2 für ein | |
verzweifeltes Aufbäumen der GoodOl’ Boys, der alten Seilschaften. | |
## Gerade beim Lunch | |
Tags darauf ziehen die Engagiertesten unter den Verfechtern der Toleranz in | |
Fünfergruppen zur Volksversammlung, um Abgeordneten ins Gewissen zu reden – | |
von Angesicht zu Angesicht. Nur ahnt Ted Frazer, einer der Organisatoren, | |
schon vorher, dass die Abgeordneten keine Zeit haben werden. Erster | |
Versuch, Zimmer 1307, Howard Hunter III: leider in einer ganz wichtigen | |
Besprechung. Zweiter Versuch, Zimmer 510, Larry Bell: leider gerade beim | |
Lunch. „Immer das Gleiche, überall verschlossene Türen“, klagt Sue Ellen | |
Horwitz, bevor sie anstelle Larry Bells dessen Sekretärin erzählt, welche | |
Seelenqualen ihre Enkeltochter gerade durchleidet. Geboren im Körper eines | |
Jungen, wechselt sie im September von der Grund- auf die Mittelschule. In | |
der alten Klasse war sie von allen als Mädchen akzeptiert, die Sache mit | |
der Toilette kein Thema mehr. | |
Wie es in der neuen sein wird, lässt Sue Ellen Horwitz nachts nicht mehr | |
ruhig schlafen. Werden Eltern ihre Kinder anstacheln, darauf zu achten, | |
dass die Elfjährige im Jungskörper aufs Jungsklo geht? Muss die Enkelin | |
Spießruten laufen? HB2, sagt Sue Ellen Horwitz, habe nur Probleme | |
geschaffen, „es hat einen Feuersturm entfacht, den es vorher nicht gab, als | |
ob ein Parlament nicht wichtigere Dinge zu regeln hätte“. | |
Noch etwas stört die kleine, energiegeladene Frau an HB2: dass sich hinter | |
dem Toiletten-Etikett Passagen verbergen, die mit der Materie an sich | |
nichts zu tun haben. Gegen Diskriminierung jeglicher Art, auch am | |
Arbeitsplatz, darf man vor einem Bundesstaatengericht North Carolinas nicht | |
mehr klagen, nur noch vor einem Bundesrichter, was aufwendiger ist und | |
meist teurer. Und keine Stadt in North Carolina darf den Mindestlohn | |
erhöhen, derzeit 7,25 Dollar, solange der Staat die Anhebung nicht | |
flächendeckend beschließt. | |
John Amanchukwu, Direktor der Upper Room Christian Academy, einer | |
christlichen Schule, hat sich vorbereitet auf den Besuch des Reporters. Auf | |
dem Schreibtisch liegt eine aufgeschlagene Bibel, aus der er irgendwann | |
vorlesen wird, dass Gott nur zwei Geschlechter geschaffen habe, ein | |
männliches und ein weibliches. Daneben eine Liste mit den Namen der | |
Künstler, die aus Protest gegen HB2 Auftritte in North Carolina abgesagt | |
haben. Ringo Starr, Bruce Springsteen, Michael Moore, um nur drei zu | |
nennen. | |
Sie könnten absagen, soviel sie wollten, gibt Amanchukwu zu verstehen, es | |
ändere nichts daran, dass dies ein gutes, ein richtiges Gesetz sei. Dann | |
wettert der Pastor gegen Caitlyn Jenner, einst Bruce Jenner, der | |
Zehnkämpfer, der olympisches Gold gewann. „Du kannst dir eine Perücke | |
aufsetzen, dir die Lippen schminken, dir falsche Wimpern ankleben, aber | |
kannst du auch gebären? Siehst du, Gott hat dich nicht als Frau | |
erschaffen.“ Wer Probleme mit seiner Identität habe, dürfe einfach nicht | |
auf die Stimmen in seinem Kopf hören, „Stimmen, die dir einreden, etwas zu | |
sein, was du nicht bist.“ Amanchukwu hat dunkle Haut, seine Brille lässt an | |
Malcolm X denken. Er ist 31 Jahre alt und Jugendpfarrer in einem | |
Wohnviertel, dessen Kinder zu 70 Prozent bei nur einem Elternteil | |
aufwachsen, oft weil die Väter im Gefängnis sind. Es stimmt also nicht, das | |
Klischee, wonach es nur die alten weißen Männer sind, die sich gegen die | |
Transgender-Freiheiten wehren. | |
## Zurück zu alten Werten | |
Frage an Ron Baity, Pfarrer aus der Stadt Winston-Salem im Norden des | |
Bundesstaats: Wie kann es einen derartigen Kulturkrieg geben, wenn die | |
betroffenen Personen nach Schätzungen gerade mal 0,2 Prozent der | |
Bevölkerung ausmachen? Der Pfarrer, alt und weiß, hat eine | |
stockkonservative Kircheninitiative namens Return America gegründet, wobei | |
der Titel aussagen soll, dass Amerika zu seinen alten Werten zurückkehren | |
möge. Zu biblischen Werten, wie Baity betont. Zu einer Gesellschaft ohne | |
Homo-Ehe, mit den Zehn Geboten auf Tafeln in staatlichen Schulen, ohne | |
Zugeständnisse an Menschen, die ihr Geschlecht nicht so empfinden, wie es | |
in der Geburtsurkunde steht. Es klingt nach Apokalypse, wenn er sich fragt, | |
ob es nicht schon zu spät sei, ob es noch einen Weg zurück gebe in dieses | |
Land, das Gott so gesegnet habe und das sich nun so verrannt habe. Mit HB2, | |
so sieht es Baity, führe man eine Abwehrschlacht, vielleicht die | |
entscheidende. | |
Perücke tragen, Lippen schminken, Frauenkleider allein deshalb anziehen, | |
weil es sexuelle Stimulierung verspricht: „Das bin ich nicht, so war ich | |
nie“, sagt Alexis Dinyovszky zu den Worten John Amanchukwus. „Ich habe den | |
Körper eines Mannes einfach nicht als den richtigen empfunden.“ Mit 21 | |
heiratet der Mann, der damals noch John Dinyovszky heißt. Zwei Jahre später | |
offenbart er sich nur seiner Frau, niemandem sonst. Sie bleibt bei ihm, | |
obwohl sie zunächst das Gefühl hat, bei der Hochzeit hinters Licht geführt | |
worden zu sein. Eine Tochter wird geboren, John gründet eine kleine Firma, | |
spezialisiert auf Küchen, und hat so viel zu tun, dass er das | |
Transgender-Thema verdrängt. Derbe, schwielige Hände künden noch heute | |
davon. | |
2001, im Alter von 49 Jahren, kommt er endgültig aus der Deckung. Bald | |
darauf ändert er seinen Vornamen, es folgen Hormonbehandlungen, es folgt | |
eine Reihe von Operationen: Brustimplantate, vollere Lippen, weiblichere | |
Gesichtszüge. 2004 hört Alexis Dinyovszky von einer | |
Transsexuellen-Organisation namens Southern Comfort, besucht einen Kongress | |
und lernt, dass sie nicht an einer Krankheit leidet, dass es anderen | |
ähnlich geht wie ihr. „Die schwierigste Frage ist, was dies nun aus mir | |
macht. Was bin ich überhaupt? Bin ich lesbisch? Bin ich schwul? Ganz | |
ehrlich, ich habe keine Antwort darauf.“ | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Herrmann | |
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