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# taz.de -- Die Wahrheit: Der kluge Hans
> Biologie: Die lustige Tierwelt – heute mit viel Hirnschmalz hoch zu Ross
> – und ihre gar ernste Erforschung (6)
Bild: Der Berliner Volksschullehrer Wilhelm von Osten erzählte seinen Zeitgeno…
Der Berliner Volksschullehrer Wilhelm von Osten hatte irgendwann den
Eindruck, dass sein Pferd Hans noch viel mehr konnte, als von Ostens
Kutsche zu ziehen, und er begann die „Intelligenz“ des Pferdes zu fördern.
Als Hans 1895 starb, schaffte er sich einen zweiten Hans an. Nach
mehrjährigem Unterricht stellte er dieses Pferd der Öffentlichkeit vor.
Zunächst interessierten sich nur einige Kavalleristen für das Tier, das
„zählen, rechnen, lesen, Personen und Gegenstände erkennen und auf seine
Art [mit dem Huf klopfend] bezeichnen“ konnte. Als aber auch Wilhelm II.
Interesse an Hans zeigte, wurde an der Universität schnell eine
Untersuchungskommission gebildet, damit der Kaiser nicht auf einen
Schaustellertrick hereinfalle. Dies war der Anfang eines neuen Fachs:
„Tierpsychologie“.
Beim „Klugen Hans“ kam die Kommission unter der Leitung des
Philosophieprofessors Carl Stumpf zu dem Ergebnis: „Das Pferd versagt, wenn
die Lösung der gestellten Aufgabe keinem der Anwesenden bekannt ist … Es
kann also nicht zählen, lesen und rechnen … Es bedarf mithin optischer
Hilfen, die nicht absichtlich gegeben zu werden brauchen.“ Der Assistent
von Stumpf, Oskar Pfungst, der die Untersuchung experimentell fortführte,
kam dann zu dem Ergebnis, dass von Osten „verschiedene Bewegungsarten“
erkennen ließ, „die den einzelnen Leistungen des Pferdes zugrunde liegen“.
Osten war demnach doch ein Schwindler, obwohl strittig blieb, „ob dessen
minimale Kopfbewegungen zwischen 0,5 mm und 1 mm vom Pferd überhaupt
wahrgenommen werden können“. Ein anderer Tierforscher, Theodor Zell, fand
es zwar interessant, „dass der Hengst manchmal trotz der abweichenden
Ansicht des Lehrers bei seinem Klopfen beharrte und die Stellung des
Buchstabens richtig angab“, aber er bezweifelte, dass ein Tier sich
überhaupt eine „Vorstellung von einem abstrakten Begriff, wie es eine Zahl
ist“, machen könne.
## Das klopfsprechende Pferd
Sodann unternahm der Elberfelder Juwelier Karl Krall einige
Intelligenztests mit Hans, wobei er versuchte, das Übermitteln von Zeichen,
bewussten und unbewussten, zu verhindern. Als von Osten starb, nahm Krall
das Pferd mit nach Elberfeld, wo er Hans weiter „unterrichtete“ – zusammen
mit drei anderen Pferden, von denen eins, Berto, blind war (und deswegen
keine optischen Zeichen wahrnehmen konnte). All das sprach sich herum.
Schon bald mehrten sich in Europa die Nachrichten von klopfsprechenden
Pferden, Hunden und Schweinen – geschult nach der „Krall’schen Methode“.
Noch heute kommt im Sommerloch mindestens ein sprechendes Tier in die
Nachrichten. Zuletzt, 2012, war es ein Elefant in Korea. Als
klopfsprechender „Wunderhund“ galt der Bordercollie „Rico“, der 1999
„Wettkönig“ in einer „Wetten dass ..?“-Sendung wurde und mehr als 200
Plüschtiere auf Kommando herbeiholen konnte. Seine Lernfähigkeit wurde dann
im Leipziger Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung getestet.
Krall hatte 1912 ein dickes Buch, „Denkende Tiere. Beiträge zur
Tierseelenkunde auf Grund eigener Versuche“, veröffentlicht und 1913 die
Zeitschrift Die Tierseele gegründet, dazu eine Gesellschaft für
Tierpsychologie. Gleichzeitig wurde jedoch auf einem internationalen
Zoologenkongress eine Protesterklärung gegen die „durch keine exakte
Methodik gestützten Lehren Kralls“ verabschiedet. Den Wissenschaftlern
waren sie zu okkult, grenzten an Telepathie.
## Gedankenwellen zum Hund
Tatsächlich zog Krall nach München, wo er ein Institut für Tierseelenkunde
und Parapsychologische Forschungen gründete und mit dem sogenannten
Okkult-Professor Albert von Schrenck-Notzing zusammenarbeitete. Es ging
Krall dabei um das Auffangen von Gedankenwellen zwischen ihm und einem
Hund.
Im „Klub“ des „Hypnosearztes“ Schrenck-Notzing verkehrte auch Thomas Ma…
wo er den Magenspezialisten Dr. Loeb am Kamin über Hundekrankheiten
befragte. Er hatte selbst Hunde und schrieb während des Ersten Weltkriegs
ein Hundebuch: „Herr und Hund. Ein Idyll“, das dem Hundeexperten Konrad
Lorenz als „die schönste Schilderung der Hundeseele“ galt.
Für die „Elberfelder Pferdeschulung“ hatten sich zuvor bereits andere
Künstler wie Kafka, Rilke und Maeterlinck interessiert, sie vertraten dabei
eine „mediumistische“ Auffassung. Thomas Manns Hund, Bauschan, holte seinen
Herrn stets von der Straßenbahnhaltestelle ab, wobei er seltsamerweise zu
wissen schien, wann dieser aus der „Welt“ (München) zurückkehren würde.
## Der „Kluge-Hans-Fehler“
Den Herrn freute das jedes Mal so, dass ihm darüber seine „Weltlaune
verrauchte“. Seine jüngste Tochter, die Seerechtsdiplomatin Elisabeth
Mann-Borgese, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 in einem abgelegenen Haus
in Kanada lebte, lehrte ihren Hunden dort das Schreiben auf einer
Schreibmaschine und das Klavierspielen: „Sie freuen sich darauf“, erklärte
sie in ihrem Buch, „Das Abc der Tiere“, von 1967.
In der Wissenschaft hat der „Kluge-Hans-Fehler“ bis heute negative Folgen:
„Man hat daraus lediglich eine Konsequenz gezogen, nämlich die, in
wissenschaftlich anerkannten Experimenten den Einfluss des Menschen mit
allen Mitteln auszuschalten“, kritisiert der Zürcher Tierpsychologe und
Zoodirektor Heini Hediger. Die „positive Folgerung“, die man aus dem
„Kluge-Hans-Fehler“ hätte ziehen sollen, „wäre die genaue Analyse jener
störend wirkenden persönlichen Zeichen und die Abklärung ihrer Wirkung
gewesen. Die experimentelle, d. h. die ans Laboratorium und dessen übliche
Versuchstiere gebundene Tierpsychologie seziert und analysiert immerfort
nur die eine Hälfte der tierlichen Psyche, während sie die andere ebenso
wichtige Hälfte, die Gefühlssphäre, nicht nur unterdrückt, sondern sie sehr
oft vollkommen übergeht.“ Dabei gebe es bei Säugetieren eine hoch
entwickelte Fähigkeit, „menschliche Ausdrucksweisen aufs Feinste zu
interpretieren. Das Tier, besonders das Haustier, ist oft der bessere
Beobachter und der präzisere Ausdrucksinterpret als der Mensch.“
## Was wechselwirkt da?
Nach dem Zweiten Weltkrieg interessierten sich einige aus der
Lenkwaffenforschung in den Frieden entlassene Kybernetiker bei ihrer
Beschäftigung mit einer „mathematischen Theorie der Kommunikation“ für das
„Kluge-Hans-Phänomen“, wie es fortan genannt wurde. „Das Wort Kommunikat…
wird von uns im weitesten Sinne verwendet, um alle Möglichkeiten zu
erfassen, mit denen jemand das Bewusstsein eines anderen beeinflusst“,
erklärte im Jahr 1949 der US-Mathematiker Warren Weaver in seiner
„mathematischen Theorie“, in der er das Problem behandelte, wie man
erkennen könne, dass keine „Kommunikation“ stattfinde. In diesem
Zusammenhang brachte er die „Pferde von Elberfeld“ ins Spiel. Weaver
erwähnte, Karl Krall habe auf den Vorhalt, seine Tiere würden „lediglich
auf die Kopfbewegungen ihres Dompteurs reagieren“, die Pferde selbst
gefragt, ob sie solche kleinen Bewegungen überhaupt erkennen könnten,
worauf sie nachdrücklich mit „Nein“ geantwortet hätten.
Der Grazer Medienwissenschaftler Daniel Gethmann nahm diese Anekdote im
Jahr 2012 zum Ausgangspunkt eines kommunikationstheoretischen Aufsatzes.
Für ihn hatte sich bereits in dem Pfungst-Gutachten von 1907 die
„kommunikative Perspektive“ umgekehrt: „Es war nicht länger Hans, der in
einer ,Hufsprache' spricht, sondern von Osten, dessen Körpersprache die
entscheidenden Signale gab … Die Theorie der Übertragung kommunikativer
Zeichen war damit um das ,Kluge-Hans-Phänomen‘ reicher.“ Aber ärmer um die
Frage: Was wechselwirkt da?
23 May 2016
## AUTOREN
Helmut Höge
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