| # taz.de -- Die Wahrheit: Integrationsprobleme andersherum | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung – verglichen mit dem | |
| > Homo sapiens sind andere Primaten Sozialprofis (Teil 5). | |
| Bild: Schon Aristoteles wusste: Menschliche Reisegruppen sind nicht ungefährli… | |
| Die US-Pavianforscherin Barbara Smuts schrieb über „ihre“ Tiere (in „Sex | |
| and Friendship in Baboons“), die sie jahrelang beobachtete: „Zu Beginn | |
| waren die Paviane und ich in keiner Weise einer Meinung.“ Sie musste | |
| zuvörderst die Paviankommunikation annähernd beherrschen: „Erst durch ein | |
| gegenseitiges Kennenlernen konnten sowohl Paviane als auch Mensch ihrer | |
| Arbeit nachgehen.“ Dabei interessierte Smuts jedoch nicht mehr: „Sind | |
| Paviane soziale Wesen?“, sondern sie fragte sich selbst: „Ist dieses | |
| menschliche Wesen sozial?“ | |
| Als sie das schließlich im Hinblick auf „ihre“ 123-köpfige Affenhorde | |
| einigermaßen positiv beantworten konnte, kam sie zu dem Schluss, dass die | |
| nicht-sprachliche Kommunikation, bei der sich die Körper über Blicke und | |
| Grüßen „eng austauschen“, der sprachlichen Verständigung in puncto | |
| Ehrlichkeit und Wahrheit überlegen ist. | |
| Demnach scheint in der Kommunikation/beim Kontakt eine auf die Beteiligten | |
| unmittelbar bezogene Gegenseitigkeit der Gesten und Laute stabilere | |
| Kollektive/Gemeinschaften zu schaffen. Dem gegenüber steht der Austausch | |
| von Äquivalenten, auf die unsere Warensprache abhebt. Der Affe favorisiert | |
| also soziale Erfindungen, der moderne Mensch technische? Schon der | |
| Meeresbiologe Adolf Remane begann sein Buch über den Stand der | |
| Soziobiologie damit, dass „das soziale Zusammenleben den Menschen große | |
| Schwierigkeiten bereitet“. Dies war bereits Aristoteles aufgefallen. Als | |
| Beweis hatte er unter anderem die vielen „Reisegruppen“ erwähnt, in denen | |
| man sich wegen jeder Kleinigkeit streitet. | |
| ## Paviane machen es sich nett | |
| Dem gegenüber kam die US-Primatenforscherin Shirley Strum bei ihrer 42 | |
| Jahre langen Beobachtung von Pavianen in Kenia zu dem Ergebnis, dass in | |
| diesen Horden schier permanent versucht werde, das soziale Zusammenleben | |
| erträglich zu gestalten. Und weil die Paviane dazu weitaus weniger | |
| Hilfsmittel haben als wir (Statussymbole, Sprache, Kleidung, Werkzeug | |
| etc.), sind sie quasi Sozial-Profis im Vergleich zu uns Menschen und machen | |
| das „wirklich nett“, so Strum. | |
| Nicht zuletzt deswegen, „weil im Unterschied zu den Menschen keiner von | |
| ihnen über die Fähigkeit verfügt, die wichtigsten Lebensgrundlagen zu | |
| kontrollieren. Jeder Pavian hatte sein eigenes Futter, sein eigenes Wasser, | |
| seinen eigenen Platz im Schatten und sorgte selbst für die Abdeckung seiner | |
| grundlegenden Lebensbedürfnisse. | |
| ## Aggression als gefesselter Tiger | |
| Aggression konnte zwar als Druckmittel eingesetzt werden, stellte jedoch | |
| einen gefesselten Tiger dar. Grooming, Einander-Nahesein, | |
| gesellschaftlicher guter Wille und Kooperation waren die einzigen | |
| Vermögenswerte, die man gegenüber einem anderen Pavian als Tausch- und | |
| Druckmittel einsetzen konnte. All das waren Aspekte der Nettigkeit'. Was | |
| ich entdeckt hatte, war ein revolutionäres neues Bild der | |
| Pavian-Gesellschaft.“ | |
| Der Anarchist und Ethnopsychoanalytiker Paul Parin hat ebenfalls etwas in | |
| einer Pavian-Gesellschaft entdeckt: Er besuchte einmal den Schweizer | |
| Pavianforscher Hans Kummer im äthiopischen Hochland. Gemeinsam schauten sie | |
| abends dem Treiben auf dem Affenfelsen zu. | |
| In seiner Geschichte „Kurzer Besuch bei nahen Verwandten“ schrieb Parin: | |
| „Es war uns vergönnt, dabei zu sein, wie sich eine Vermutung der Forscher | |
| erstmals bestätigte. Zwei ältliche Junggesellen – ihre Namen müsste ich | |
| verschweigen, wenn ich sie nicht vergessen hätte – lebten seit langem | |
| zusammen und schliefen eng aneinander in einer Felsspalte. An jenem Abend | |
| jedoch, in der Stunde der Geselligkeit, näherte sich ein schlanker Jüngling | |
| dem einen der gesetzten Herrn, kraulte ihm verstohlen das Fell und bot ihm, | |
| wenn der Freund des Alten nicht hinsah, sein hellrotes Hinterteil. Der | |
| Strichjunge, wie wir ihn nannten, hatte Erfolg. Dem Freund des Verführten | |
| waren die Zärtlichkeiten der beiden nicht entgangen. Jetzt war es zu spät. | |
| Aus den Augenwinkeln schielte er hinüber, wie sich sein Freund mit dem | |
| Gespielen einließ. Verlegen blickte er zu Boden. Traurig – das sah man | |
| seinen müden Bewegungen an – turnte er schließlich den Felsen hinauf und | |
| fand einen Platz für seine einsame Nacht. Als es dunkelte, hatte auch das | |
| ungleiche Paar genug vom sinnlichen Spiel. Die beiden setzten hinauf zum | |
| gewohnten Schlafplatz der Freunde.“ | |
| Mir hat an dieser Geschichte besonders der Satz gefallen: „Zwei ältliche | |
| Junggesellen – ihre Namen müsste ich verschweigen, wenn ich sie nicht | |
| vergessen hätte“: So weit sind wir schon, dass wir die Affen nicht nur | |
| benamen, sondern ihnen ihr „Coming-out“ als Schwule auch selbst überlassen, | |
| wenn sie nicht gerade Personen von öffentlichem Interesse sind. | |
| Der Wissenssoziologe Bruno Latour meint: „Ökologie wird nur dann gelingen, | |
| wenn sie nicht in einem Wiedereintritt in die Natur – diesem Sammelsurium | |
| eng definierter Begriffe – besteht, sondern wenn sie aus ihr | |
| herausgelangt.“ Wie das zu verstehen ist, dazu hat sich der | |
| Delphinsprachforscher John C. Lilly geäußert, als er seiner Assistentin | |
| Alexandra Morton riet, die Tiere bloß nicht zu „zoologisieren“. Sie hat | |
| sich dann auch daran gehalten, wie überhaupt die meisten | |
| Verhaltensforscherinnen nicht zum Zoologisieren neigen. | |
| 9 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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