# taz.de -- Flüchtlingsdebatte im Bundestag: Wenn Fragen ins Leere gehen | |
> Die Opposition will mit der Regierung über den Flüchtlingspakt mit der | |
> Türkei debattieren. Doch die blieb der „Aktuellen Stunde“ fern. | |
Bild: Von links nach rechts: | |
BERLIN taz | Es geht um nichts weniger als die Kernfragen der deutschen | |
Flüchtlingspolitik, als 48 Abgeordnete der Regierungsparteien im Plenum des | |
deutschen Bundestags Platz nehmen. 48 von 510. Auf der Regierungsbank: Kein | |
Minister, keine Bundeskanzlerin. Und so wirkt die Frage deplatziert, die | |
Oppositionspolitikerin der Grünen, Claudia Roth, am Redepult stellt: „Haben | |
Sie darüber verhandelt, dass Flüchtlinge mit einer Mauer von der Flucht | |
abgehalten werden?“ | |
Es geht um das Abkommen der EU mit der Türkei, um den Deal also, mit dem | |
die EU ihre Außengrenzen abdichten und die Versorgung von Flüchtlingen weg | |
verlagern will. Der Bundestag hat nie über diesen Vorgang abgestimmt, die | |
Opposition trotzdem Fragen. Deshalb hatte die Linksfraktion eine aktuelle | |
Stunde auf die Tagesordnung gesetzt. Nur wem sollen sie ihre Kritik | |
darlegen, wenn die Verantwortlichen nicht da sind? | |
Die Opposition fragt trotzdem, beispielsweise, ob das Abkommen überhaupt | |
durchführbar ist, fragt Claudia Roth. Ist der Preis, über | |
Menschenrechtsverbrechen zu schweigen, nicht zu hoch, fragt Sevim Dağdelen | |
von der Linken. Die Abgeordneten der Koalition bewerteten das Abkommen | |
positiver: Das sei kein „schmutziger Deal“, sagt Stephan Mayer von der CSU, | |
sondern ein „wichtiger Baustein im Instrumentenkoffer“ – er wiederholt, | |
dass es für Recep Tayyip Erdoğan keinen „Rabatt“ gäbe, er müsse seinen … | |
der Abmachung erfüllen. | |
Uli Grötsch von der SPD greift schließlich auf ein seltsames Bild zurück: | |
„Wenn man ein Haar in der Suppe sucht, findet man es schon.“ Syrer, die aus | |
der Türkei abgeschoben werden, Berichte von Schüssen an der Grenze – Haare? | |
In einer Suppe? „Keine besonders schmackhafte Suppe“, schiebt Grötsch noch | |
hinterher. | |
## Ein Minister ist da | |
Zuvor hatte das Parlament unter einem früheren Tagesordnungspunkt über | |
Fluchtursachen debattiert und die deutschen Bemühungen, Menschen überhaupt | |
erst von der Flucht abzuhalten. Neben der Sicherung der EU-Außengrenzen und | |
dem Abkommen mit der Türkei, ist das der zentrale Baustein der | |
Flüchtlingspolitik – so hatte es Angela Merkel wiederholt betont. Immerhin, | |
zu dieser Debatte war ein Minister ins Parlament gekommen: Gerd Müller, | |
Entwicklungsminister. | |
Müller erzählt von einem kleinen Jungen in Indien, der Müll sammelt, um | |
Geld zu verdienen. Ob er ihn mit nach Deutschland nehmen könne, habe der | |
Junge den Minister gefragt. Nein, hatte der Minister geantwortet, aber er | |
könne ihm Vorort helfen. Der Junge ist ein klar definiertes Problem. Die | |
Idee, Vor Ort zu helfen, umso diffuser. Müller spricht von | |
Verteilungskämpfen, dem Klimawandel und einer „ganz neuen Dimension | |
globaler Zusammenarbeit“. | |
Die Parlamentarier von SPD und Union hatten einen Antrag gestellt, der die | |
Bundesregierung auffordert, die Ursachen für Flucht noch strategischer zu | |
bekämpfen – in dem sie sich für Stabilisierung und Friedenskonsolidierung | |
in Krisenstaaten einsetzt, dafür, dass Zusagen für Hilfsgelder auch | |
eingelöst werden. Und dafür, die Infrastrukturen in denjenigen Ländern zu | |
verbessern, die Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen, also unter anderem | |
Libyen oder Jordanien. Der Antrag wirbt auch für mehr | |
Städtepartnerschaften. | |
Im Kern heißt das soviel wie: Weiter so, denn an all diesen Maßnahmen | |
arbeiten das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium bereits. Dafür | |
danken die Abgeordneten der Koalition ihren Ministern ausführlich. | |
Den Oppositionspolitikern reicht das nicht. Heike Hänsel von der Linken, | |
kritisiert beispielsweise, dass die Bundesregierung mit autoritären Staaten | |
wie dem Sudan, Eritrea oder Äthiopien kooperiert. „Das ist ein Missbrauch | |
der Entwicklungsgelder“. | |
Die Grünen fordern, Krisen zu bekämpfen, bevor sie in Failed States münden. | |
Aktuell drohe diese Gefahr in der Westsahara. Erst im März hatte der | |
UN-Generalsekretär die dortige Präsenz marokkanischer Truppen als | |
„Besatzung“ bezeichnet. Die Grünen versuchten nun mit einem Antrag, die | |
Bundesregierung zu verpflichten, die völkerrechtswidrige Verwaltung der | |
Westsahara durch Marokko nicht anzuerkennen. Die Abgeordneten von Union und | |
SPD stimmten mehrheitlich dagegen. | |
12 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
## TAGS | |
Bundestag | |
EU-Türkei-Deal | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Türkei | |
Waffenhandel | |
EU-Türkei-Deal | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kanzlerin trifft Erdoğan: Merkel zweifelt an Visafreiheit | |
Angela Merkel sagt, dass es die Reisefreiheit für türkische Bürger zum 1. | |
Juli nicht geben wird. Was heißt das für den EU-Türkei-Deal? | |
Angela Merkel in der Türkei: Erdoğan beherrscht nicht alles | |
Die Bundeskanzlerin hat sich in Istanbul mit Vertretern der türkischen | |
Zivilgesellschaft getroffen. Im Gespräch ging es um die Kurdenfrage und die | |
Flüchtlingspolitik. | |
Kommentar SPD doch gegen Glyphosat: Vernunft in letzter Minute | |
Was immer den Kurswechsel der SPD verursacht hat: Für den Umwelt- und | |
Verbraucherschutz ist die Entscheidung eine gute Nachricht. | |
Schüsse auf Flüchtlinge: Warum sind alle so still? | |
Türkische Grenzbeamte sollen syrische Geflüchtete getötet haben. Viele | |
deutsche Politiker schweigen dazu. Und Frauke Petry triumphiert. | |
Aus „Le Monde diplomatique“: Aufstieg einer gefährlichen Branche | |
Kriege, Rüstungsausgaben und Waffenverkäufe nehmen rasant zu. Auch | |
Konfliktstaaten und Diktaturen sind kein Hinderungsgrund. | |
EU-Abkommen mit der Türkei: Streit um Bedingungen | |
Die Türkei will ihre Antiterrorgesetze nicht ändern. Das ist aber eine | |
Bedingung für die Visafreiheit für Türken in der EU. Juncker und Schulz | |
beraten nun mit Merkel. |