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# taz.de -- Raumfahrt in Russland: Fehlstart in Wostotschnij
> Der Abschuss einer Rakete vom Weltraumbahnhof Wostotschnij muss
> verschoben werden. Da hilft auch der Segen orthodoxer Priester nichts.
Bild: Am Mittwoch noch nicht startklar: der neue Weltraumbahnhof Wostotoschnij
Moskau taz | Der für Mittwoch angekündigte erste Start einer Rakete vom
neuen russischen Weltraumbahnhof Wostotschnij ist in letzter Minute
verschoben worden. Anderthalb Minuten vor dem Startschuss hätte sich das
System automatisch abgeschaltet, teilte Igor Komarow, Direktor der
russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, mit. Der nächste Versuch ist nun für
Donnerstag 5.01 Uhr vorgesehen, exakt 24 Stunden später.
Bis zuletzt hatte der Kreml die Teilnahme von Präsident Wladimir Putin an
der Eröffnung des Weltraumbahnhofs geheimgehalten. Russische Beobachter
vermuteten, der Kremlchef könnte die mit drei wissenschaftlichen Satelliten
bestückte Rakete von Moskau aus ins All schicken. Ginge etwas schief, wäre
er zumindest nicht vor Ort gewesen. Mit dem Misserfolg würde er dann nicht
in Verbindung gebracht. Der Präsident hatte das Prestigeobjekt der
Raumfahrtnation schon beim Baubeginn zu seiner persönlichen Chefsache
erklärt.
Angeblich soll Putin bis zum nächsten Start am Donnerstag im Fernen Osten
bleiben. Die sozialen Medien erörterten sogleich, wie der Kreml aus der Not
eine Tugend machen könnte: Die Priester der orthodoxen Kirche hätten beim
Segnen der Rakete versagt, Putin reiche indes ein Tag, um die Trägerrakete
in die Umlaufbahn zu beamen.
Schon der Bau des Kosmodroms „Wostotschnij“ hatte der Raumfahrtbehörde
Roskosmos schlaflose Nächte bereitet. Ursprünglich war der Countdown für
den ersten Start einer „Sojus“ schon für Ende Dezember 2015 vorgesehen.
Bauprobleme ließen den Termin bereits im Herbst als unrealistisch
erscheinen. Im Oktober inspizierte Bauherr Putin das Kosmodrom und gab
Entwarnung: „Der Kosmos ist nicht die Sphäre, wo Sturmangriffe vonnöten
sind“, überraschte der Präsident.
## Tag des Kosmonauten
Es sei in Ordnung, wenn die Einweihung zum Tag des Kosmonauten 2016
stattfinden könne, sagte Putin. Am 12. April erinnert sich Russland an Juri
Gagarin, der zum Verblüffen der US Konkurrenz den Amerikanern ins All
voraus flog. Seither ist die Raumfahrt Stolz und Aushängeschild russischer
Leistungsfähigkeit – in den Wissenschaften zumindest.
Obwohl später ein Amerikaner als erster den Mond betrat, war und ist
Russland überzeugt, den USA im All immer ein Stück voraus zu sein. Das
schwingt auch in den Worten Igor Komarows mit, der die Roskosmos-Behörde
leitet: „Wostotschnij verkörpert alles, was der Mensch im 21. Jahrhundert
leisten kann“.
Der neue Weltraumbahnhof macht Russland vor allem unabhängig. Bislang
mietete es beim Nachbarn Kasachstan den alten Bahnhof „Baikonur“ für 100
Millionen Euro im Jahr. Angesichts angespannter nachbarschaftlicher
Beziehungen fürchtet der Kreml indes, dass die Kasachen nach einem
möglichen Systemwechsel auch den Zugang nach Baikonur blockieren könnten.
Das gilt als einer der treibenden Motive für den Neubau.
Nur zwei Wochen verspätet sich die „Sojus“ auf dem Weg ins All. Die Vorgabe
des Kremlchefs wurde fast eingehalten. Allerdings schließt „Wostotschnij“
gleich nach dem Debüt wieder die Tore. Der nächste Start ist nicht vor 2017
zu erwarten. Die endgültige Inbetriebnahme ist laut Igor Komarow erst 2018
vorgesehen.
## Minus 50 Grad
Ausgerechnet das neue Prunkstück russischer Ingenieurskunst war ein Grund
der Verzögerung: ein mobiler Versorgungsturm, der sich von außen um die
Rakete schiebt und erlaubt, Startvorbereitungen in geschütztem Raum
vorzunehmen.
Nicht unwichtig bei Außentemperaturen von bis zu minus 50 Grad Celsius. Nur
war der Turm zu klein für die 52 Meter hohe Rakete, die schon fertig in der
Montagehalle lagerte. Es klang, als hätte nun auch in Wostotschnij ein Team
vom Berliner Flughafen die Bauleitung übernommen.
Der für die Raumfahrtindustrie zuständige Vizepremier Dmitrij Rogosin hätte
den Fehler am liebsten nach dem Muster sowjetisch-russischer
Hauruckverfahren noch fristgerecht hin gebogen. Doch da stand Putin davor.
Für den Bahnhof wurde eine 700 Quadratkilometer große Schneise durch die
Taiga gefräst. 115 Straßenkilometer und 125 Kilometer Gleise wurden gelegt
sowie Wasserstoff- und Sauerstofffabriken errichtet. Eine dichte
Infrastruktur entstand.
## Rudimentäre Schulbildung
Die Arbeitskräfte reichten unterdessen vorne und hinten nicht. 9.000
Arbeiter waren im Einsatz, 15.000 wären für eine pünktliche Übergabe
erforderlich gewesen, behaupten zumindest die Unternehmen. Bauleiter
klagten zudem über niedrige Qualifikation und Vorstrafenregister der
Arbeiter aus der Region. Viele verfügten nur über eine rudimentäre
Schulbildung.
Dass zu einem nationalen Großprojekt wie „Wostotschnij“ auch
Korruptionsskandale gehören, nahm Russland mit Langmut zur Kenntnis. Nach
dem Motto: Auf die teuersten Winterspiele der Welt in Sotschi folgt nun der
kostspieligste Weltraumbahnhof im Fernen Osten. Mehr als 20 Strafverfahren
leitete die Staatsanwaltschaft bislang wegen Veruntreuung in „großem
Maßstab“ ein.
Von rund vier Milliarden Euro Gesamtkosten wurden mindestens 500 Millionen
Euro nicht verbaut. Tausende Arbeiter erhielten monatelang keine Löhne.
Proteste und Hungerstreiks waren an der Tagesordnung. Putin versprach den
Arbeitern bereits vor einem Jahr Abhilfe. Auch die Allmacht des Kremlchefs
stieß dabei an Grenzen.
27 Apr 2016
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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Panama Papers
Ramsan Kadyrow
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