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# taz.de -- Wachpolizei in Sachsen: Plötzlich Polizist
> Sachsens Polizei hat Personalmangel. Nun führt sie Wachpolizisten mit
> verkürzter Grundausbildung ein. Ein Besuch im Trainingslager.
Bild: Das Fortbildungszentrum der Polizei Bautzen: Angehende Wachpolizisten hab…
Bautzen taz | Stöhnen und Schreie hallen durch den Raum. Weiße Farbe
blättert von den Wänden, rote und grüne Matten verdecken den grauen
Teppichboden der Halle. Auf den Matten liegen, knien und stehen rund
zwanzig junge Auszubildende in weißen Judohosen und blauen T-Shirts mit dem
Aufdruck „Polizei“.
Im Fortbildungszentrum der Polizei im sächsischen Bautzen absolvieren seit
Anfang Februar 42 Männer und fünf Frauen eine zwölfwöchige Ausbildung zur
Wachpolizei. So nennt man in Sachsen Einsatzkräfte, die nach einer von
zweieinhalb Jahren auf drei Monate verkürzten Grundausbildung Personen und
Objekte bewachen. Trotz Kritik an dieser verkürzten Ausbildungsform bildet
Sachsen in den nächsten fünf Jahren insgesamt 1.400 junge Männer und Frauen
zu Wachpolizisten aus. Das Konzept ist nicht neu: Von 2002 bis 2006 gab es
in Sachsen schon einmal eine Wachpolizei. Damals bewachten sie
Regierungsgebäude. Heute stehen die Wachpolizisten bewaffnet vor
Flüchtlingsheimen.
Derzeit fehlen in Sachsen 3.000 Vollzugsbeamte. Eine Folge des radikalen
Stellenabbaus bei der Polizei, den das Land wegen zu geringer
Steuereinnahmen ab 2013 durchsetzte. Im März wurden die Kürzungen gestoppt.
Die Sicherheitslücke überbrückt der Freistaat nun kurzfristig mit der
Ausbildung von Wachpolizisten.
## Die Opposition ist kritisch
Rund ein Dutzend Journalisten führt Ausbildungsleiter Marko Rißland an
diesem Tag durch das Bautzener Fortbildungszentrum. Die meisten
Journalisten waren bereits am ersten Ausbildungstag im Februar schon einmal
hier. Sie wollen sehen, wie gut die Nachwuchskräfte vorbereitet sind. Nach
der Ausbildung arbeiten Wachpolizisten zwei Jahre als Tarifbeschäftigte auf
Zeit bei einer der Polizeidirektionen in Sachsen. Wer sich bewährt, darf
die normale Grundausbildung beginnen. Wachpolizisten sind keine Beamte.
Trotzdem dürfen sie in die Grundrechte Dritter eingreifen. Die Opposition
sieht das kritisch. „Hier werden Tarifbeschäftigten Hoheitsrechte
übertragen“, sagt Enrico Stange, Innenpolitiker der Linken, am Telefon.
„Freiheitsentzug, Waffeneinsatz und unmittelbare Körpergewalt“, er sieht
das als „Verstoß gegen das Verfassungsrecht“.
Beim Einsatz von Wachpolizisten gehe es vor allem darum, die Polizei beim
Schutz von Flüchtlingsunterkünften zu entlasten, hält Stefan Walther,
Pressesprecher der Bereitschaftspolizei Sachsen, dagegen. Krankheit,
Verletzungen und Erschöpfung sorgten in den letzten Monaten für so viele
Dienstausfälle wie noch nie, bestätigt ein Leipziger Polizeiausbilder.
## Patrouille vor Flüchtlingsunterkünften
Eine junge Frau mit rotem Pferdeschwanz und breitem Kreuz liegt, das
Gesicht auf eine Judomatte gepresst, auf dem Boden. Mit einer Drehung
versucht sie sich aus dem Griff der beiden Männer über ihr zu winden, die
ihre Arme und Beine auf dem Rücken verdreht festhalten. Aber ihr Aufbäumen
hilft nicht, sie hat keine Kraft mehr und lässt sich ohne Widerstand, den
Kopf nach unten gedrückt, abführen. So ungefähr könnte die Szene später
auch auf der Straße ablaufen.
Im Fach „Selbstverteidigung und Eingriffstechniken“ lernen die
Auszubildenden sogenannte „Störer“ ruhig zu stellen. Im Einsatz sind auch
Schlagstock, Pfefferspray und Schusswaffe erlaubt. Das hält die
Auszubildende Nadine Donke für sehr wichtig. „Mit Pistole fühlt man sich
einfach sicherer“, sagt sie. „Aber man sollte sie nicht unbedingt
anwenden.“
550 Wachpolizisten müssen laut sächsischem Wachpolizeidienstgesetz ständig
zur Verfügung stehen. Geeignete Kandidaten dürfen nach einiger Zeit bei der
Wachpolizei die eigentliche Grundausbildung beginnen. Um die Mindestzahl zu
erfüllen, rücken fortlaufend Auszubildende nach. Für die Ausbildung bei der
Wachpolizei bewerben sich vor allem Männer und Frauen, die beim
Aufnahmetest für die herkömmliche Polizeiausbildung durchgefallen sind. Im
Mai beginnen die ersten den Dienst. Mit scharfer Schusswaffe und
Schlagstock patrouillieren sie vor Flüchtlingsunterkünften. Der
Ausbildungsleiter Marco Rißland, stämmig, 44, hält das für unbedenklich.
„Die Schießausbildung ist fast identisch mit der bei der normalen
Grundausbildung – also völlig ausreichend.“
Auch andere Bundesländer setzen auf Wachpolizisten. Die Wachpolizei Hessen
beschützt seit 16 Jahren Flüchtlingsheime und übernimmt die Abschiebung von
Asylsuchenden. Auch das Saarland, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen
orientieren sich an dem Modell. In Berlin heißt die Wachpolizei zentraler
Objektschutz und bewacht Regierungsgebäude und Konsulate, jedoch keine
Flüchtlingsunterkünfte.
## „Ich brauche Action!“
Nadine Donke ist 22 Jahre alt und eine von fünf Frauen bei der Ausbildung.
Sie ist knapp über 1,60 Meter groß und erfüllt damit gerade die
erforderliche Mindestgröße. „Ich brauche Action!“, sagt die gelernte
Restaurantfachfrau aus Heidenau. Ursprünglich bewarb sich Donke für den
mittleren Polizeidienst. Bei der Aufnahmeprüfung ist sie im Gruppengespräch
durchgefallen. „Ich konnte mich nicht durchsetzen“, sagt sie und hofft nun
auf eine neue Chance.
Laut Jobausschreibung verdient Donke im Einsatz 2.181 Euro brutto pro
Monat. Nach ihrem Abschluss wird sie hauptsächlich Objekte und Personen
bewachen und Verdächtige in Gewahrsam nehmen. Die Gefahr beim Einsatz vor
Flüchtlingsheimen sieht sie von beiden Seiten des Zaunes. Sie hat Angst vor
Stechereien unter Flüchtlingen. „Gerade ausländische Bürger haben ja viel
mit Messern zu tun“, sagt Donke. „Wir müssen einschätzen können, ob wir
schießen oder nicht.“ Dass sie im Einsatz richtig handeln wird, hofft die
Auszubildende. „Aber wir können jetzt nach drei Monaten nicht sagen: Wir
sind Polizisten. Das ist Quatsch. Dafür ist die Ausbildung einfach zu
kurz.“
Donkes Blick wandert zu einer Gruppe von Auszubildenden – ihrer Clique. Sie
lachen, schauen herüber. Donke zeigt ihnen den Stinkefinger. Die Gruppe
zieht sie auf, weil sie mit der Presse redet. „Damit haben wir keine guten
Erfahrungen“, sagt einer. Ein paar Auszubildende schauen missbilligend
hinüber zu den Kamerateams.
## Zurückhaltung gegenüber der Presse
Anfang Februar gab es schon einmal einen Pressetermin. „Die haben mir die
Worte im Mund herumgedreht“, klagt Donke. Damals bezeichnete die Presse die
Wachpolizisten als ungebildete Hilfs-Cops mit rechten Ansichten. Heute
reden nur wenige. Ihre Sätze wirken einstudiert. Ob die Rechtsbewegung in
Sachsen im Unterricht diskutiert wurde? „Dafür war keine Zeit“, sagt ein
Auszubildender.
Der 21 Jahre alte angehende Wachpolizist Felix Behr aus Dresden sieht
Schwachpunkte in der Ausbildung. Das blaue Polizei-T-Shirt spannt sich über
seinen breiten Schultern und den muskulösen Oberarmen. Vor der Ausbildung
war Behr Rangierbegleiter bei der Deutschen Bahn. Den Job hat er für die
Ausbildung hingeworfen. Im Schneidersitz sitzt er auf einer Judomatte und
zieht durch die Zähne scharf Luft ein, bevor er zu reden anfängt. Das Manko
der Ausbildung sieht er bei den rechtlichen Grundlagen. „In dieser kurzen
Zeit kann man das nicht in jeden reinprügeln“, sagt Behr. Auch das
Einsatztraining, wo die Auszubildenden zum Üben Polizeieinsätze
nachstellen, beurteilt er als lückenhaft. Die Zeit war zu kurz, um oft zu
trainieren.
Durch einen kurzen Gang läuft Ausbildungsleiter Marco Rißland von der
Judohalle zurück auf den Platz vor dem Sportkomplex, wo die Autos parken.
Durch verwinkelte Straßen geht es zurück zum rund drei Kilometer entfernten
Ausbildungszentrum. Am Busfenster zieht eine Brandruine vorbei, der
Bautzener Husarenhof. Das Landratsamt wollte das ehemalige Hotel zum
Flüchtlingsheim umbauen, doch Mitte Februar brannten Extremisten den
Husarenhof nieder. Jetzt ragen die geschwärzten Balken des Dachstuhls wie
verkohlte Finger in die Luft.
## Proben für den Ernstfall
Eine Schranke versperrt den Weg zum Polizeiausbildungszentrum. Der schwarze
Mercedesbus mit den Journalisten hält, der Fahrer nickt einer Frau hinter
der Empfangsscheibe zu, und der Weg ist frei. Das Gelände ist mit hohen
Zäunen abgesperrt. Lange, graue Gebäudeblöcke stehen entlang eines
Betonplattenweges, am Ende einer großen Wiese befindet sich ein graues
Gebäude aus Wellblech, das provisorisch mit Bauzäunen und Absperrband dicht
gemacht wurde. Hinter dem Zaun warten drei Auszubildende in Uniform. Auf
den Schulterklappen steht „Wachpolizei“. Das ist der einzige Unterschied
zur Dienstkleidung von Polizeibeamten.
Die zweite Hälfte der Gruppe trainiert hier im Fach „Einsatzausbildung“ f�…
den Ernstfall. Ihre Mission: das Wellblechgebäude zu beschützen. Ein Mann
filmt die Szene, anhand des Videos analysiert der Ausbilder später Fehler
beim Einsatz. Aus der Ferne grölen Stimmen herüber. Um die Hausecke kommt
eine Gruppe jugendlicher „Störer“ mit Knüppeln und Stöcken. „Bullenpac…
höhnen sie. Einer der Wachpolizisten scharrt nervös mit dem Fuß, die
anderen bleiben starr. Ein Angreifer nimmt Anlauf und klettert den Bauzaun
hinauf. Der Wachpolizist ihm gegenüber greift sich an den Gürtel und holt
ein Spray hervor, das er dem Eindringling ins Gesicht sprüht. Ein anderer
Wachpolizist fordert über Walkie-Talkie Verstärkung an. Aus dem Gebäude
stürmen drei weitere Polizisten mit Waffengürtel und Schutzhelm. Die
grölende Meute zieht sich zurück. „Wir kommen wieder!“, ruft der Anführer
zum Abschied.
Dass die Angreifer in einer echten Situation genauso schnell aufgeben, ist
fraglich. Doch Ausbildungsleiter Marco Rißland versichert, dass die
angehenden Wachpolizisten ausreichend vorbereitet sind. Schwachpunkte sieht
er nicht. Dass rechte Gruppen die Chance nutzen könnten und ihre Leute zur
Wachpolizei schicken, findet Rißland abwegig. „Das Auswahl-Team führt im
Vorfeld mit jedem Bewerber ein Interview und prüft dessen Motivation.“
Darauf verlässt er sich. Pressesprecher Stefan Walther gibt zu, dass man
eine Fehleinschätzung nie ganz ausschließen könne.
11 May 2016
## AUTOREN
Anna-Franziska Kaufmann
## TAGS
Polizei Sachsen
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