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# taz.de -- Rassismus in Sachsen: Bürgerwehr fesselt Iraker an Baum
> Der 21-jährige Asylbewerber soll auch geschlagen worden sein. Ereignet
> hat sich der Fall im Mai. Die Angreifer wurden nicht festgenommen.
Bild: Die sächsische Polizei ermittelt
Arnsdorf taz | Am Netto-Discounter im sächsischen Arnsdorf herrscht die in
solchen Fällen übliche Verschlossenheit. Ja, sie habe den Vorfall am 21.
Mai beobachtet, wolle sich aber nicht äußern, sagt die Betreiberin einer
Imbissbude am Parkplatz.
Nur die Medien hätten wieder einmal „völlig überzogen“ berichtet. Was an
den Berichten falsch sei, will sie nicht sagen. Ihre Gäste und
Supermarktkunden beschränken sich ebenfalls auf ein „Kein Kommentar!“. Alle
wissen aber offenbar sofort, welches Ereignis gemeint ist, obschon
Medienberichte erst am Donnerstag auftauchten.
Diesen Berichten und Informationen der zuständigen Polizeidirektion Görlitz
folgend, hatte sich ein 21-jähriger irakischer Asylbewerber am 20. Mai eine
Telefonkarte im Markt gekauft. Der junge Mann ist psychisch krank und
zeitweiliger Patient des großen Arnsdorfer Fachkrankenhauses. Weil es mit
der Karte Probleme gab, erschien er einen Tag später zunehmend ungeduldig
weitere zweimal in der Netto-Filiale.
Die Verkäuferin wollte ihm erklären, dass das Telefonguthaben bereits
aufgebraucht sei. Zu einer Verständigung kam es nicht, weil der Mann kein
Deutsch spricht. Zweimal wurde deshalb schon die Polizei gerufen. Am Abend
erschien der Asylbewerber ein drittes Mal. Er soll laut geworden sein und
die Kassiererin mit einer Weinflasche bedroht haben.
## „Du Schwein!“
Was dann geschah, zeigt ein im Internet kursierendes Video. Mindestens drei
Männer in einheitlicher schwarzer Kleidung betreten den Markt. Auf der
Rückseite der T-Shirts soll der Aufdruck „Bürgerwehr“ gestanden haben. Sie
drängen den jungen Mann aus dem Kassenraum. Als der sich wehrt, werden sie
rabiater, knebeln und zerren ihn aus dem Laden. Rufe wie „Du Schwein!“ sind
zu hören.
„Ist schon schade, dass man ’ne Bürgerwehr braucht“, ist eine Kundin zu
vernehmen. Nicht mehr auf dem Video zu sehen ist, dass der Iraker draußen
mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt wurde. So traf ihn die erneut
alarmierte Polizei an. Die Beamten verzichteten allerdings darauf, die
Personalien der selbst ernannten Bürgerwehr aufzunehmen.
Unter diesen befindet sich auch der CDU-Gemeinderat Detlef Oelsner. Der
äußerte sich anderen Medien gegenüber nur ansatzweise, redete aber
ausführlich mit der Zeitung Junge Freiheit. „Wir haben lediglich
Zivilcourage gezeigt, aber offenbar ist das jetzt strafbar“, wird er dort
zitiert. Man habe den Iraker nur fixieren wollen, bis die Polizei
eintrifft.
Nach Oelsners Angaben waren bei deren Erscheinen etwa 20 ortsansässige
Männer zugegen. Die Beamten sollen sich sogar bedankt haben. Die
Filialleiterin des Supermarkts zeigte sich ähnlich genervt wie Kunden und
bestritt, die Bürgerwehr gerufen zu haben. „Das sind Bürger gewesen, die
uns geholfen haben, netterweise“, äußerte sie.
## Kein Ladendiebstahl
Von Matthias Grimm, Verwaltungsdirektor des Arnsdorfer
Psychiatriekrankenhauses, ist zu erfahren, dass der irakische Patient
bereits entlassen war. Er werde aber absehbar immer wieder stationäre
Behandlung in Anspruch nehmen müssen. Seine Erkrankung sei nicht auf ein
Fluchttrauma zurückzuführen. Die Behandlung sei auch durch fehlende
Deutschkenntnisse erschwert worden. Viele Arnsdorfer arbeiteten im
Krankenhaus, von daher hätte man in der Bevölkerung eher Verständnis
erwarten können. „Das Verhalten der Bürgerwehr ist nicht zu billigen“,
stellt Grimm im Namen des Hauses klar.
Ein Sprecher des Sächsischen Innenministeriums verweist auf den Paragrafen
127 der Strafprozessordnung, der jeden berechtige, zur Verhinderung einer
Straftat einzugreifen und andere Personen vorläufig festzunehmen.
„Bürgerwehren dürfen nur das, was jeder andere auch darf“, stellt er
allerdings klar. Ob ein solcher Fall in Arnsdorf vorlag oder ob die Männer
ihre Kompetenzen überschritten, soll nun eine „Ermittlungsgruppe Arnsdorf“
bei der Polizeidirektion Görlitz feststellen.
Es geht um eine mögliche Bedrohung des Personals durch den Asylbewerber, um
das Verhalten der Bürgerwehr und um das Verhalten der am Abend
eintreffenden Polizeistreife. Der Vorwurf eines Ladendiebstahls gegen den
jungen Iraker lässt sich aber nicht halten.
Die sächsische Juso-Vorsitzende, Katharina Schenk, wandte sich vehement
gegen den „Irrsinn“ von Bürgerwehren und deren Selbstjustiz. Bürgerwehren
seien eben oft keine Helfer, sondern „gewalttätige Kriminelle“. Anton
Hofreiter, Grünen-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, zeigte sich besonders
beunruhigt angesichts der Tatsache, dass ein CDU-Mitglied in der Arnsdorfer
Bürgerwehr tätig ist. Es sei eine „dramatische Entwicklung“, wie weit
rechte Gewalt schon in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen ist, so
Hofreiter.
2 Jun 2016
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Sachsen
Rechte Gewalt
Bürgerwehr
Schwerpunkt Flucht
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