# taz.de -- Western in Niedersachsen: Altmetall statt blaue Bohnen | |
> In seinem Spielfilmdebüt „Schrotten!“ erzählt Max Zähle von | |
> Schrotthändlern, die im niedersächsischen Wald einen Zug ausrauben. | |
Bild: Auf der Suche nach Schrott: Die Brüder Mirko und Letscho. | |
BREMEN taz | Die Schrotthändler sind die Indianer Deutschlands: ein | |
bedrohtes kleines Völkchen, dessen schwindende Büffelherden die Altmetalle | |
sind, die heute auf Recyclinghöfen von den Städten und Gemeinden | |
eingesammelt werden. Diese Grundidee brachte den Filmemacher Max Zähle | |
darauf, im Stil eines Western von den Schrotthändlern zu erzählen. | |
Die kannte er aus seiner Jugend auf dem Land in Niedersachsen, wo sie mit | |
ihren Pritschenwagen noch zum Straßenbild gehörten. Einer seiner Freunde | |
gehörte zu solch einem Clan, und dadurch lernte er diese Subkultur mit | |
ihren eigenen Ritualen, ihrer „Geheimsprache“ Rotwelsch und ihrem starken | |
familiären Zusammenhang kennen. | |
So viel Exotik mitten in der norddeutschen Provinz ist ein Geschenk für | |
einen Filmemacher. Und es wirkt eben nicht lächerlich, wenn von diesem | |
Milieu mit der dramaturgischen Struktur und den Konventionen eines | |
uramerikanischen Genres erzählt wird. Natürlich ist die Wildnis statt der | |
weiten Prärie ein kleines Wäldchen, bei dem man das Gefühl hat, gleich | |
hinter den Bäumen ist schon die nächste Bundesstraße. Aber genau dieses | |
Spiel damit, ob ein Western im ordentlichen Niedersachsen überhaupt | |
funktionieren kann, [1][macht den Reiz von „Schrotten“ aus.] | |
Und da das Genrekino die Archetypen mag – im Grunde kommt ja alles von den | |
antiken Mythen –, beginnt Zähle mit der Geschichte vom verlorenen Sohn. | |
Mirko Talhammer hat es geschafft, aus den Geschäften seines Familienclans | |
auszusteigen und nach Hamburg zu ziehen, wo er als Verkäufer in einer | |
Versicherung arbeitet. Doch schnell stellt sich heraus, dass er mit einem | |
Schneeballsystem seinen Kunden das Geld aus der Tasche zieht. | |
Man kann einen Menschen aus seinem Milieu holen, aber nicht das Milieu aus | |
einem Menschen. Seine Verwandten müssen ihn aus seinem Büro entführen, | |
damit er zum Begräbnis seines Vaters zurück zum heimatlichen Schrottplatz | |
kommt. Aber nachdem er sich dort ordentlich mit seinem Bruder Letscho | |
geprügelt hat, gehört er wieder zur Familie. | |
In den Filmen von Howard Hawks beginnt eine wunderbare Freundschaft immer | |
mit einer Schlägerei und Zähle arbeitet gerne und gut mit solchen Zitaten | |
von den alten Meistern – der erste Satz des Films stammt aus „Der Pate“. | |
Der Schrottplatz des Clans ist so gut wie bankrott, weil es schlicht keinen | |
Schrott mehr zu sammeln gibt. Es bleibt nur ein Ausweg: Man stiehlt das | |
Altmetall, und zwar einen ganzen Waggon davon, der von einem Zug auf | |
offener Strecke abgekoppelt werden soll. Hier zahlt sich Mirkos gute | |
Ausbildung aus, denn er kann genau berechnen, welches Gewicht die eigens | |
dafür neu verlegten Gleise tragen können müssen. Die Beute sind immerhin 40 | |
Tonnen Kupfer. | |
Max Zähle versichert im Gespräch, dass dieser Bahnraub physikalisch so | |
möglich wäre. Kriminologisch ist er natürlich ein Witz, denn deutlichere | |
Spuren als in einem Wäldchen verlegte Gleise und die Spuren der | |
Täterfahrzeuge im weichen Waldboden kann sich die Polizei kaum wünschen. | |
Aber nach den Regeln des Genres sind solche Löcher in der Plausibilität | |
gestattet, solange sie nicht zu offensichtlich sind und der inneren Logik | |
der Geschichte zuwiderlaufen. Wichtiger ist, dass es mit einem mächtigen | |
Recyclingunternehmer, der den Schrottplatz der Familie Talhammer nach deren | |
Bankrott plattmachen will, einen schön öligen Schurken gibt und das es zu | |
einem spannenden Showdown auf dem Schrottplatz kommt. | |
Max Zähle hat 2010 mit „Raju“, seinem Abschlussfilm an der Hamburg Media | |
School, einen Studenten-Oscar gewonnen. Danach hat er einige Folgen der | |
NDR-Serie „Großstadtrevier“ inszeniert. „Schrotten!“ ist sein | |
Langfilmdebüt, an dem er fünf Jahre lang gearbeitet hat. Er hat ein Talent | |
dafür, seine Charaktere oft nur mit kleinen Gesten und wenigen Sätzen | |
präsent wirken zu lassen. | |
So spielt etwa Lars Rudolph eine Nebenfigur mit dem schönen Spitznamen | |
„Träumchen“. Er hat nur zwei oder drei Auftritte, steht als ein Mitglied | |
des Familienclans meist nur am Rand und ist doch so interessant gezeichnet, | |
dass man fast enttäuscht ist, weil nicht mehr von ihm erzählt wird. | |
Lucas Gregorowicz und Frederick Lau sind als die Gebrüder Talhammer perfekt | |
gecastet, aber keiner von ihnen ist eindeutig der Sympathieträger des | |
Films. Stattdessen ist „Schrotten!“ ein Ensemblefilm, in dem die | |
Schrotthändler als eine zugleich verschworene und verschrobene Gemeinschaft | |
gefeiert werden. | |
Gedreht wurde der Film in Celle, dessen Fachwerkhäuserfronten so schmuck | |
ausgestellt werden, dass es im Film selber sogar einen ironischen | |
Seitenhieb darauf gibt. Vor allem aber gibt es in der Umgebung von Celle | |
noch viele Schrotthändler und einer von ihnen entwickelte sich zum Förderer | |
des Filmprojekts. | |
Er selber bekam die kleine Rolle des Patriarchen der Familie, der am Anfang | |
des Films stirbt. Für die Aufnahmen von seiner Trauerfeier haben sich | |
tatsächlich viele von seinen Kollegen versammelt. Er hatte also das | |
zweifelhafte Vergnügen, eine Preview seiner eigenen Beerdigung zu erleben. | |
Auf seinem Betriebshof wurden jene Szenen gedreht, die auf der | |
Recyclinganlage des mächtigen Konkurrenten der Familie Talhammer spielen. | |
Deren Schrottplatz musste extra für den Film gebaut werden, denn er ist | |
eher ein Märchenort, in dem die Metallberge idyllisch in die Landschaft | |
platziert sind und eine Razzia der Polizei wie ein Angriff auf ein | |
Westernfort wirkt. | |
4 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.schrotten-derfilm.de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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