# taz.de -- Kommentar neue Koalition in Ba-Wü: Ein historisches Zeichen | |
> Erstmalig dürfen die Grünen die LandtagspräsidentIn stellen. Sie hätten | |
> eine ausgezeichnete Kandidatin, geboren in der Türkei. | |
Bild: Kretschmann und Strobl haben sich geeinigt: wir fünf Ressorts, ihr fünf… | |
Diese Regierung soll historisch werden? Schon klar: Das Ergebnis der Wahl | |
in Baden-Württemberg war historisch, weil die Grünen erstmals stärker | |
abschnitten als die CDU. Natürlich: Eine Koalition, in der die CDU nur die | |
Juniorpartnerin der Grünen spielen darf, ist auch noch nie da gewesen. Und | |
sicher: Winfried Kretschmann ist der Rekordhalter, das personifizierte | |
Gab-es-noch-nie. | |
Aber als Kretschmann und sein künftiger Vize Thomas Strobl von der CDU am | |
Montagmittag die Ergebnisse ihrer Verhandlungen vorstellten, da machten sie | |
den starken Eindruck: Diese Regierungszeit droht zur reinen | |
Routineangelegenheit zu werden, sie wird fad, vielleicht sogar historisch | |
langweilig. | |
Dass der Klimaschutz zu den Schwerpunkten zählt – für die CDU überhaupt | |
keine Selbstverständlichkeit – ist wichtig. Dass im Autoland ein paar | |
Radschnellwege gebaut werden, ist schön. Dass 1.500 neue Polizeistellen | |
geschaffen werden, ist okay. Dass Polizeibeamte bei Demonstrationen nicht | |
individuell mit Nummern, geschweige denn mit Namen gekennzeichnet werden, | |
ist schlecht. | |
## Kompromisslastiger Politkitsch | |
Wichtig, schön, okay, schlecht. [1][Das Vertragswerk sieht nach | |
ordentlicher Kompromisslerarbeit aus.] Zur mutigen Veränderung aber, zur | |
zündenden Idee scheint Schwarz-Grün nicht zu taugen. Digitalisierung, | |
Stärkung der Kommunen, Nachhaltigkeit – solche Formulierungen finden sich | |
in praktisch jedem Regierungsvertrag. Der Politkitsch der Koalitionäre | |
klingt so leer wie die Ansagen eines Spielzeugroboters mit nur noch halb | |
geladener Batterie: Mittelstandsland, Gründerland, Kinderland, | |
Fachkräfteland, Exportland, Sportland, Innovationsland, Technologieland, | |
Holzbauland. Baden-Württemberg, das Musterland. | |
Auch der Zuschnitt der Ministerien lässt keine Veränderungen erwarten. | |
Kretschmann und Strobl haben bei ihrem Auftritt am Montag zwar so getan, | |
als ob sie hart – beinhart! – um jedes einzelne Staatssekretärshandy | |
gekämpft hätten. Aber das wirkte alles in allem eher so wie in der | |
Theater-AG am Gymnasium in Sigmaringen. Am Schluss haben sich die beiden | |
geeinigt: wir fünf Ressorts, ihr fünf Ressorts. | |
Der CDU-Innenminister wird die Rolle spielen, die wir von | |
CDU-Innenministern kennen. Die grüne Wissenschaftsministerin wird weiter | |
eine gute Arbeit machen. Der CDU-Wirtschaftsminister wird sich genau wie | |
sein SPD-Vorgänger ärgern, dass die Unternehmer und Manager Winfried | |
Kretschmann umschmeicheln und nicht ihn selbst. Die Naturschutzverbände | |
werden froh sein, dass ihr Bereich nicht im künftig schwarzen | |
Agrarministerium bleibt, sondern ein Reservat im grünen Umweltministerium | |
zugewiesen bekommt. Und der Agrarminister von der CDU wird den | |
Fleckviehbauern auf der Zollernalb guten Tag sagen. Historisch? Alltag. | |
## Die Chance ist jetzt da | |
Für ein Ministerium ändert sich allerdings ganz schön viel: Ein | |
eigenständiges Integrationsministerium wird nicht mehr existieren. Das | |
Ressort wird aufgespalten und zwischen dem Innen- sowie dem | |
Sozialministerium aufgeteilt. Eine türkischstämmige Ministerin wie die | |
herrlich gradlinige Sozialdemokratin Bilkay Öney: bisher nicht in Sicht. | |
Öney war Integrationsministerin. Eine klassische Besetzung, denn bisher | |
bekamen in Deutschland Politikerinnen mit Migrationshintergrund gewöhnlich | |
dieses Ressort ab. Das ist nicht falsch, aber es ist nur ein Anfang. Das | |
stärkere Signal wäre es, ein Schlüsselressort mit jemandem aus einer | |
Einwandererfamilie zu besetzen oder noch besser: ein Staatsamt. | |
Die Chance ist jetzt da. Der Posten des Landtagspräsidenten oder der | |
Landtagspräsidentin ist frei. Ihn darf die stärkste Fraktion im Parlament | |
besetzen. Das sind – zum ersten Mal – die Grünen. Sie hätten eine | |
ausgezeichnete Kandidatin. [2][Muhterem Aras], 50 Jahre alt, geboren in | |
Ostanatolien, groß geworden in Filderstadt. Finanzpolitikerin, gut | |
organisiert, kämpferisch. Bei der Wahl 2011 wurde Aras grüne | |
Stimmenkönigin, nun holte sie im Wahlkreis Stuttgart I 42,4 Prozent. | |
Die erste Parlamentspräsidentin von den Grünen, geboren in der Türkei. Sie | |
wäre die oberste Parlamentarierin, ausgerechnet jetzt, da die AfD im | |
Landtag von Stuttgart sitzt. Was wäre das für ein Zeichen! Genau: ein | |
historisches. | |
3 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.cdu-bw.de/uploads/media/2016-05-02-Entwurf-Koalitionsvertrag.pdf | |
[2] https://twitter.com/muhterem_aras | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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