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# taz.de -- Die Wahrheit: Die neue Herzlichkeit
> Thilo Sarrazin entdeckt seinen weichen Kern und reist nach Idomeni. Dort
> trifft er Flüchtlinge und stellt sein empathisches Wesen vor.
Bild: Aufrichtiges Mitgefühl spiegelt sich in Thilo Sarrazins Mienenspiel
Es sind bewegende Bilder aus dem griechischen Flüchtlingslager Idomeni. Mit
vom Meerwind zerzausten Haaren hält ein Brillenträger einen kleinen Jungen
voller Blutergüsse. Ursache: Hartgummi-Munition mazedonischer Grenzer.
Nächstes Foto: Thilo Sarrazin mit einem von Krätze befallenen Mädchen,
Vater verschollen. Dann: Der Buchmillionär beim Abendessen mit einer
Flüchtlingsfamilie. Die Mutter hatte vor drei Tagen am Strand eine
Fehlgeburt. Es gibt Tee und Reis.
Vor einer Woche begleiteten zwei Journalisten und eine Fotografin den
streitbaren Kreuz-und-Querdenker Thilo Sarrazin auf seiner Reise nach
Idomeni. Der „Rassist der Herzen“ (Bild-Online) hatte genug von einseitigen
und verzerrten Statistiken. Er war es leid, sich darüber aufzuregen, dass
man in Deutschland nur ein paar größere Minderheiten verunglimpfen muss und
schon in jede Talkshow eingeladen wird. Sarrazin wollte weg vom
Schreibtisch und hin zu den Menschen. „Ich habe in den letzten Tagen viel
geweint“, gibt der als harter Hund bekannte Exfinanzsenator zu Protokoll.
„So viel Herzensgüte und Frohsinn trotz Elend. Genau andersherum als bei
meiner Frau und mir zu Hause.“
Man glaubt es gern, wenn Sarrazin in einen seiner ruhig vorgetragenen und
doch so scharfen Monologe verfällt: „Was hier passiert, ist eine Schande.
Über 50.000 Menschen hängen im Elend in Griechenland fest. Wozu haben denn
143 Länder die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, wenn sich jetzt
die Mehrheit nicht daran hält? Was ist das denn für ein Europa?“
Dass in Griechenland das Asylrecht nicht funktioniert, sieht Sarrazin als
Ergebnis einer asozialen Politik, bei der vor allem die Armen und
unschuldige Kinder ausbügeln müssen, was korrupte Politiker und windige
Banken an Schuldenlast erzeugt haben. Was nach einem drastischen
Gesinnungswandel aussieht, schlummerte tatsächlich schon lange in dem
nachdenklichen Hugenotten. Bereits in seinem Bestseller „Deutschland
schafft sich ab“ plädierte der Allroundsoziologe für die Förderung von
„Sozialkompetenz“. Auch sein eindrucksvolles Schlusswort hätten die
Mainstreammedien damals totgeschwiegen. Zitat: „Behandle Menschen mit
Respekt, es sei denn, sie sind eh defekt.“
## Zutiefst menschliche Seite
Diese zutiefst menschliche Seite des als Emotionslegastheniker
verunglimpften Volkswirts ist bis jetzt verborgen geblieben. Ständig, so
Sarrazin, habe es nur geheißen: „Was noch Schärferes bitte! Mehr
Kontroverse, mehr Zynismus, mehr Menschenverachtung zwischen den Zeilen!“
Seinen 500-Seiten-Wälzer mit dem Arbeitstitel „Emotionale Intelligenz –
warum uns erst Empathie zu echten Menschen macht“ habe damals niemand
gewollt. „Und immer diese Mails von dem türkischen Trunkenbold mit den
Katzen aus Bonn. Der hat mir doch allen Ernstes angeboten, meine Frau mal
ordentlich …“ Sarrazin bricht ab, schaut aufs Meer. Der Blick eines
verkannten Humanisten. Lautlos rinnt eine Träne die rechte Wange herab.
Sarrazin leidet für uns Menschen. Bisher wollte niemand diese Seite an ihm
erkennen. Dank Sarrazins beherzter Reise nach Idomeni dürfte das jetzt
anders werden.
29 Apr 2016
## AUTOREN
Anselm Neft
## TAGS
Thilo Sarrazin
Flüchtlinge
Empathie
Religion
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Salafismus
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