| # taz.de -- Forscherin über Biotierhaltung: „Besser, aber nicht gesünder“ | |
| > Schweine in Ökobetrieben können ihr natürliches Verhalten besser | |
| > ausleben: Professorin Ute Knierim über Krankheiten, Auslaufflächen und | |
| > Kontrollen. | |
| Bild: In Ökobetrieben sind die Bedingungen besser: auch für Ferkel | |
| taz: Frau Knierim, auch in der Biolandwirtschaft gibt es immer wieder | |
| Skandale: Sauen in engen Käfigen, überbesetzte Hühnerställe und verletztes | |
| Vieh. Geht es Ökotieren wirklich besser als konventionellen? | |
| Ute Knierim: Da muss man zwischen Verhalten und Gesundheit unterscheiden. | |
| Die meisten Biotiere sind nicht gesünder. Die Untersuchungen dazu haben bei | |
| den meisten Krankheitsbildern und Tierarten ähnliche Erkrankungsarten | |
| gefunden. Ausnahmen sind zum Beispiel Lahmheiten bei Milchkühen, die im | |
| Schnitt bei Biotieren seltener auftreten. Denn in der Regel sind die | |
| Liegeflächen für Biokühe beispielsweise mit weichem Stroh eingestreut, und | |
| sie haben mehr Weidegang. Die Tiere stehen nicht so viel auf feuchten, | |
| harten Böden, was zu Klauenerkrankungen führen kann. | |
| Bei welchen Krankheiten und Tierarten schneidet Bio im Schnitt schlechter | |
| ab? | |
| Zum Beispiel beim Parasitenbefall von Schweinen, was sich widerspiegelt in | |
| Narben an den Lebern. Auch das ist unter anderem dadurch zu erklären, dass | |
| Bioschweine Einstreu und Auslauf ins Freie haben. Das erhöht das Risiko, | |
| dass sie Wurmeier aufnehmen. Wenn die Tiere rauskönnen, ist es | |
| grundsätzlich schwieriger, sie vor potenziellen Krankheitserregern | |
| abzuschirmen. | |
| Wie kann man Erkrankungen verhindern und die Tiere dennoch draußen und auf | |
| Stroh halten? | |
| Man muss verschmutzte Einstreu wechseln und zum Beispiel Schweinen Platz | |
| geben, damit sie genügend Abstand zu ihrer Kotecke halten können. Der | |
| Auslauf sollte regelmäßig gesäubert werden. | |
| Aber selbst dann dürfte es im Auslauf mehr Erkrankungen geben als in | |
| hermetisch abgeriegelten konventionellen Ställen. Sollten die Bios trotzdem | |
| am Auslauf festhalten? | |
| Wenn die Bedingungen für das Tier insgesamt stimmen, kann der Auslauf auch | |
| zu einer gesteigerten Abwehrkraft beitragen. Und nicht jede Erkrankung | |
| schränkt das Wohlbefinden der Tiere ein. Ein milder Parasitenbefall ist zum | |
| Beispiel normal und keinesfalls kritisch. Aber es stimmt schon, die | |
| Anforderungen an ein gutes Management durch die Tierhalter steigen. | |
| Was kann die Biokontrolle tun, damit die Tiere gesünder sind? | |
| Die Bioverbände sind ja schon länger auf dem Feld aktiv. Sie haben | |
| Leitfäden für ein gutes Management erstellt und seit letztem Jahr in ihre | |
| Kontrollen einen Tierwohlcheck aufgenommen. Es wird nun stärker darauf | |
| geachtet, dass nicht nur die Stallmaße stimmen, sondern auch darauf, wie | |
| viele lahme Tiere habe ich denn, wie ist denn die Eutergesundheit und | |
| solche Sachen. | |
| Reicht dieser Tierwohlcheck? | |
| Nun, er ist noch entwicklungsfähig. Die Herausforderung ist, in einer | |
| relativ kurzen Zeit, momentan im Mittel etwa 30 Minuten pro Betrieb, | |
| ausreichend belastbare Informationen zu gewinnen. | |
| Muss der Tierwohlcheck länger dauern? | |
| Wahrscheinlich schon. Eine genaue Zahl kann ich noch nicht benennen. Aber | |
| es geht auch darum, effizientere Vorgehensweisen zu entwickeln, zum | |
| Beispiel eine intelligente Kombination aus Eigenkontrolle durch die | |
| Landwirte und externer Kontrolle. | |
| Sind die Verhaltensmöglichkeiten von Biotieren besser als die von | |
| konventionellen Tieren? | |
| Ja, durch die höheren Anforderungen der EU-Ökoverordnung haben die Tiere | |
| tatsächlich bessere Voraussetzungen, ihr normales Verhalten auszuführen. Es | |
| gibt natürlich Abweichungen im Einzelfall, ein Biobetrieb kann auch mal | |
| schlechter als ein konventioneller sein, aber im Schnitt ist das Ökoniveau | |
| höher. | |
| Was sind die wichtigsten Unterschiede bei den Haltungsbedingungen zwischen | |
| konventionell und bio? | |
| Mehr Platz, zum Beispiel hat ein 100 Kilogramm schweres Ökoschwein mehr als | |
| dreimal so viel Fläche zur Verfügung wie ein konventionelles. Dann Zugang | |
| zum Außenklima. Und, soweit möglich, auch Weidegang. Anders als im | |
| konventionellen Bereich ist beim Geflügel die Zahl der Tiere begrenzt, die | |
| maximal in einem Stallabteil gehalten werden dürfen. Bei Masthühnern müssen | |
| langsamer wachsende Rassen eingesetzt werden, was einen ganz starken Effekt | |
| auf das Wohlbefinden der Tiere hat. Man hat bei den Säugetieren entweder | |
| verlängerte Säugezeiten – etwa bei den Schweinen – oder Zeiten, in denen | |
| die Tiere natürliche Milch bekommen müssen. Bei Milchkühen etwa gibt es in | |
| der konventionellen Haltung keine Vorschriften für Mindestflächen und | |
| Angebot von Einstreu, bei Bio schon. | |
| Warum ist Einstreu wichtig? | |
| Mit Stroh etwa können sich die Tiere vielfältig beschäftigen. Schweinen | |
| ermöglicht es, Nester zu bauen, zum Beginn der Geburt oder zum Ruhen. Das | |
| trägt erheblich dazu bei, dass sie sich nicht mangels Beschäftigung | |
| gegenseitig verletzen. Einstreu kann auch den Liegekomfort erhöhen, bei | |
| niedrigen Temperaturen isolieren und von den Tieren gefressen werden. | |
| Konventionellen Tieren werden die Schnäbel und Schwänze gekürzt. Wie ist | |
| das bei Bio? | |
| Das Verbot von nichtkurativen Eingriffen ist rigoroser. Das sind Eingriffe, | |
| die eigentlich nicht zur tierärztlichen Behandlung gehören, sondern die | |
| Tiere an die Haltungsbedingungen anpassen. Dort, wo Ausnahmen bei Bio | |
| gemacht werden oder auch bei der Kastration männlicher Tiere, sind die | |
| Anforderungen an die Schmerzausschaltung strenger. | |
| Manche konventionelle Landwirte sagen, dass Weidegang für Kühe nicht so | |
| wichtig sei. Was lässt sich dazu aus wissenschaftlicher Sicht sagen? | |
| Es ist gut belegt, dass der Weidegang bei der Kuh viele positive | |
| gesundheitliche Effekte haben kann. Kühe mit Weidegang leben nach einigen | |
| Untersuchungen im Schnitt länger, sie haben weniger Schäden an der Haut und | |
| den Gelenken, zum Beispiel weniger Schwellungen, Geschwüre oder offene | |
| Stellen. | |
| Woran sieht man in der Praxis, dass die Kühe gern draußen sind? | |
| Zum Beispiel, wenn sie im Frühjahr das erste Mal auf die Weide gehen, | |
| rennen sie wie wild durch die Gegend – sie spielen, was man ja bei | |
| erwachsenen Kühen nicht unbedingt erwarten würde. Sie laufen mit hoch | |
| erhobenem Schwanz herum und erkunden alles, bis sie wieder in ihren | |
| gemächlichen Gang übergehen und anfangen zu weiden. Wenn Kühe die freie | |
| Wahl haben – einige Untersuchungen hat es dazu gegeben –, bevorzugen sie | |
| durchaus den kühlen schattigen Stall, falls es draußen sehr heiß ist. Aber | |
| im Frühjahr etwa, wenn die Außentemperaturen für die Kühe sehr angenehm | |
| sind, bleibt keine Kuh imStall. | |
| Es wird immer wieder kritisiert, dass es so viele Ausnahmen von den | |
| Biovorschriften gebe. Wie ist das beispielsweise beim Weidegang? | |
| Es gibt auch Biomilchviehbetriebe ohne Weidehaltung, etwa weil die Ställe | |
| im Ort liegen und sie keinen Zugang zu Weiden haben. Aber wo der Weidegang | |
| möglich ist, muss er gewährt werden. Tatsächlich gibt es insgesamt mehr | |
| Weidegang im Biobereich als in der konventionellen Haltung. | |
| 14 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
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